Modernisierung von Großwohnsiedlungen
Viele Großwohnsiedlungen aus den 1960er und 1970er Jahren sind mittlerweile in die Jahre gekommen – sowohl in architektonischer, städtebaulicher als auch in energetischer Hinsicht. Verschiedene Förderprogramme helfen Wohnungsunternehmen, diese Siedlungen attraktiv zu gestalten. Doch welches Ziel steht dabei an erster Stelle?
Welches Ziel zuerst: Energetische Modernisierung, sozialräumliche Stabilisierung oder der Erhalt preisgünstigen Wohnraums? Gerade im Fall von Großwohnsiedlungen können Zielkonflikte auftreten. Viele Siedlungen, die im Sinne der ideologischen Gestaltungsprinzipien und den bautechnischen Erkenntnissen der 1960/70er Jahre errichtet worden sind, befinden sich heute, rund 40 bis 50 Jahre später, noch nahezu im Urzustand. Entsprechend gering sind die energetischen Standards; hinzu kommen teilweise schlecht in Schuss gehaltene Frei- und Erholungsflächen im jeweiligen Wohnumfeld, die nicht mehr den heutigen Erwartungen und Bedürfnissen der Bewohner gerecht werden.
Auch die Bochumer Hustadt, die Ende der 1960er Jahre als Universitätsrahmenstadt für Bedienstete der neu erbauten Ruhruniversität errichtet wurde, gilt als Paradebeispiel des Siedlungsbaus jener Zeit. Bestehend aus 1 200 Wohnungen in Hochhäusern, umgeben von Einfamilienhäusern, ist heute insbesondere der hochgeschossige Teil der Siedlung ein multikultureller Stadtteil mit vielen jungen Bewohnern. Seit 2007 ist die Hustadt Projektgebiet des Städtebauförderprogramms Stadtumbau West, das zum Ziel hat, die Wohnanlage für die Zukunft zu rüsten. Dabei beziehen sich notwendige Anpassungen an heutige Standards und Bedürfnisse einerseits auf den Wohnungsbestand, d.h. Ausbesserung von Gebäudeschäden, Fassadendämmung sowie Modernisierung der Heizungs- und Lüftungstechnik. Andererseits sind auch städtebauliche und freiraumbezogene Aufwertungen notwendig sowie Maßnahmen, die zur Stabilisierung der Mieterstruktur sowie zur Identifizierung und somit zu einem positiven Quartierimage beitragen. Dabei sollten alle Maßnahmen möglichst keine bzw. nur geringe Mieterhöhung verursachen. Sicherlich gilt dies für einen Großteil jener Siedlungen. Im Einzelnen müssen jedoch die jeweiligen Defizite eines Quartiers analysiert und Handlungsfelder gewichtet werden, um daraus entsprechende Maßnahmenschwerpunkte ableiten und gesamtsiedlungsbezogene Entwicklungsziele formulieren zu können.
Die Hustadt, als ehemals sehr begehrtes Wohnviertel, weist auch heute durchaus noch viele Qualitäten auf. Dazu gehört die autofreie innere Erschließung, zu der zwei Quartierplätze zählen, weitläufige Grünflächen und großzügige Grundrissqualitäten, eine gewachsene Nachbarschaftsstruktur, die direkte Nähe zu Freizeit- und Erholungsgebieten sowie eine gute verkehrliche Anbindung an Universität und Innenstadt. Diese Qualitäten gilt es zu stärken. Darüber hinaus sollen insbesondere Studenten, kinderreiche Familien sowie Senioren als Hauptzielgruppen angesprochen und deren langfristiger Verbleib im Quartier gefördert und gesichert werden.
Um dies zu erreichen, sind teilweise Grundrissanpassungen sowie Umbau- und Sanierungsmaßnahmen am Bestand notwendig. So werden z.B. Maisonettewohnungen in Wohngemeinschaften für Studierende mit teilmöblierten Gemeinschaftsräumen umgewandelt. Des Weiteren soll eines der Hochhäuser komplett barrierearm umgebaut werden, um generationsübergreifenden Wohnraum zu schaffen und dem Bielefelder Modell folgend, auch Senioren Sicherheit und Pflege im Alter zu gewähren. Darüber hinaus werden alle Dächer gedämmt, die Heiztechnikanlagen erneuert sowie Wärmeschutzfenster eingesetzt. Dies hat u.a. anderem die Reduzierung der Nebenkos-ten zum Ziel, um die Mietkosten, insbesondere für große Wohnungen, niedrig zu halten. Jedoch reichen energetische und gebäudetechnische Maßnahmen alleine nicht aus, um die erwähnten Zielgruppen langfristig an die Hustadt zu binden. Hier sind vor allem Erneuerungen auf anderer Ebene gefragt: In Workshops und Gesprächen mit den Anwohnern wurden insbesondere Themen wie Orientierung und Sicherheit angesprochen. Dazu gehören attraktivere und gut ausgeleuchtete Wegeverbindungen ebenso wie helle und von weitem sichtbare Hauseingänge. Auch die Neugestaltung der Müllstandorte ist von zentraler Bedeutung, da sich diese vielerorts in dunklen, abgelegenen Ecken befinden. Darüber hinaus wurde eine bessere Nutzung des öffentlichen Raumes gewünscht, in Form kleinteiliger Kommunikationsräume und gestalterischer Aufwertung der weitläufigen Grünbestände.
Zentrales Thema des Stadtumbaus ist daher die Neugestaltung der beiden großen Plätze als Anfangs- bzw. Endpunkte der inneren Erschließungsachse. Im ersten Schritt wird der nördlich gelegene Brunnenplatz umgebaut, wobei weite Teile der Planung bereits umgesetzt sind. Mit einem einladenden und farbenfrohen Durchbruch durch eines der Wohngebäude hat die VBW Bauen und Wohnen GmbH ein sichtbares Zeichen gesetzt, das den Burgcharakter der Hustadt aufbricht und eine Verbindung zwischen Siedlungsinnerem und angrenzenden Nachbarschaften sichert. Außerdem wurde der zentrale Brunnen neu gestaltet, der dem Platz seinen Namen verleiht. Dieser ist stufenförmig angelegt und dient so als Sitz- und Kommunikationsgelegenheiten für die Bewohner. Auch Kinder nehmen die Brunnenanlage begeistert als neue Spielmöglichkeit an. Eine weitere Erneuerung ist der teilweise in die Ebene des Brunnens integrierte Pavillon, der von einer Künstlerin in Zusammenarbeit mit den Bewohnern entwickelt worden ist. Dieser Ort bietet die Möglichkeit, sich zu Treffen und Veranstaltungen abzuhalten wie z.B. Open-Air-Kinoabende und mehr.
Überdies sollen Einzelhandel und öffentliche Einrichtungen den Platz zusätzlich beleben. Dazu werden in der neu zu gestaltenden Erdgeschosszone einzelne Wohnungen in Ladenlokale umgebaut und die Eingänge an den Brunnenplatz verlegt. Neben dem Vorortbüro der VBW sind dort das Stadtumbaubüro, multikulturelle Kinder- und Jugendtreffs sowie Gastronomie und ein Kiosk angesiedelt. Im kommenden Jahr soll auch der zweite Platz, der Hufelandplatz, umgestaltet und erneuert werden.
Auch die Freiflächen im Inneren einzelner Gebäudeblöcke bedürfen einer Erneuerung. Im Gegensatz zur öffentlichen Achse in der Siedlungsmitte beziehen sich die Innenhöfe mehr auf die Bewohner der umliegenden Wohnungen und können daher stärker zielgruppen- oder themenorientiert gestaltet werden; beispielsweise machen sich die Studierenden für Grillecken und Boule-Bahnen in „ihrem Innenhof“ stark. In diesem Sinne wäre auch ein eher ruhiger „Sinnesgarten“ oder ein dynamischer „Garten der Bewegung“ für Jung und Alt vorstellbar.
Das siedlungsübergreifende Farbkonzept trägt neben der Attraktivierung des äußerlichen Erscheinungsbildes der Fassaden auch zu einer verbesserten Orientierung im gesamten Quartier bei. In diesem Zusammenhang ist zudem ein Lichtprojekt geplant, das einerseits auf Wegen und an Hauseingängen für Helligkeit sorgen und damit zur Sicherheit beitragen soll. Andererseits werden die baulichen Besonderheiten – im Fall der Hustadt vor allem vertikale Strukturen – hervorgehoben, um die Hustadt als „Leuchtende Stadtkrone“ über Bochum von weitem sichtbar zu machen.
Das Beispiel macht deutlich, dass für jedes Quartier dezidiert zu prüfen ist, mittels welcher Strategien eine mittel- bis langfristige Perspektive entworfen werden kann. Dabei spielen energetische Modernisierungsmaßnahmen eine wichtige Rolle, je nach Standort, Zielgruppe und Ausgangslage dürfen jedoch andere, „weiche“ Maßnahmen im soziodemografischen Kontext oder etwa die Aufwertung des Freiraums und Wohnumfelds nicht vernachlässigt werden. Daher muss, angesichts begrenzter Budgets, immer eine sorgfältige Abwägung und Schwerpunktsetzung zwischen allen relevanten Themen stattfinden.
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Eine weitere Auswirkung auf den Freiraum, aber auch auf den Gebäudebestand, hat das siedlungsübergreifende Farbkonzept: Jedem Gebäude wird eine Farbe zugeordnet, anhand der einzelne Bauelemente in verschiedenen Schattierung hervorgehoben werden.