Vorfertigung

Mut und Spaß

Durch die Diskussion über die Notwendigkeit zur kurzfristigen Schaffung von preiswertem Wohnraum werden der Vorfertigung Potentiale zugeschrieben. Im Interview mit dem Berliner Architekturjournalisten Ulf Meyer erklären Dipl.-Ing. Olaf Scheinpflug und Prof. Christian Schlüter-Vorwerg vom Büro ACMS Architekten ihre Vorstellungen von Vorfertigung im Baubereich. Ihre Ideen für ein industrielles oder serielles Bauen gründen auf Erfahrungen mit „hybriden“ Bau- und Tragwerken.

Im Rahmen der Digitalisierung der Produktion ist im Baubereich die Vorfertigung in den Fokus gerückt. Durch die Diskussion über die Notwendigkeit zur kurzfristigen Schaffung von preiswertem Wohnraum wird der Modulbauweise Potential zugeschrieben. Steht uns eine zweite Welle von „Plattenbauten“ und „Neuer Heimat“ bevor?

Christian Schlüter-Vorwerg: Gleichförmiges Bauen findet auch schon heute in konventioneller Bauweise statt. Die gerne angeführten Kosteneinsparungen beim Bauen sind auch nicht der Hauptvorteil der Modulbauweise, es ist eher die bessere Bauqualität. Die Ausführungs- und Bauqualität auf der Baustelle hat sich allgemein – auch befördert durch ein unausgewogenes Vergaberecht – verschlechtert. Die Reduktion der Energiebedarfe erfordert jedoch eine höhere Ausführungsqualität. Kosteneinsparpotential wird häufig bei der Planung und damit den Baunebenkosten, die etwa 20 % der Bausumme ausmachen können, gesehen. Das erklärt den Wunsch nach replizierbarer Realisierung einer einmal erstellten Planung. Daher wird Serielles Bauen leider oftmals mit seriellem Planen und damit Planungsverzicht gleichgesetzt! Es wäre aber schade, wenn modulares Bauen zu Gleichförmigkeit führen würde. Wir sind der Auffassung, dass ein Einsparen von Planungskosten in den meisten Fällen nicht zu einer wirtschaftlicheren Lösung führt, da die Optimierungspotentiale einer individuellen Planung auf die jeweiligen Gegebenheiten ein höheres wirtschaftliches Potential beinhalten.

Der GdW (Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e.V.) hat unlängst ein europaweites Ausschreibungsverfahren für serielles und modulares Bauen abgeschlossen. Die Ergebnisse sind architektonisch größtenteils medioker und auch preislich gibt es kaum Ausschläge nach unten.

Olaf Scheinpflug: Modulbauweise wird auch nicht den kurzfristigen Wohnungsbedarf befriedigen. Kostengünstiges Bauen hängt vor allem an der Verfügbarkeit bezahlbarer Baugrundstücke. Zahlreiche Kommunen haben in den vergangenen Jahren nicht mehr genutzte Industrie- und Bahnanlagen, ehemalige Militärareale oder sonstige Brachen in Bauland umgewandelt. Diese Reserven neigen sich aber nun dem Ende zu. Ein weiteres Problem besteht darin, dass die Kapazitäten der Baufirmen bei boomender Konjunktur knapp sind. Ein weiterer Engpass ist die Genehmigung. Heute dauert die Genehmigung teilweise länger als der Bau.

Schießt sich der Berufsstand der Architekten selber in den Fuß, wenn er serielles Planen (be-)fördert?

Christian Schlüter-Vorwerg: Die Bedenken hatten wir anfangs auch. Aber seriell gebaut wird heute ohnehin schon allerorts, nicht nur im Einfamilienhausbau. Mit einer individuellen Planung kann man Mehrwerte schaffen. Heute sind überall Sonderlösungen gefragt, weil wir nicht mehr auf der grünen Wiese bauen, sondern städtisch nachverdichten.

In der Postmoderne erhielt der Begriff des „Genius Loci“, also der der Ortsbezug in der Architektur, eine neue Bedeutung. Widerspricht das nicht dem Mantra der Moderne und des Seriellen? In Amerika spricht man von „Cookie-Cutter-Architektur“, die wie ausgestanzt und repliziert wird. Propagieren Sie eine Kombination von „Thema und Variation“?

Christian Schlüter-Vorwerg: Deshalb arbeiten wir auch nicht mit vorgefertigten Räumen, mit Ausnahme von Nasszellen. Wir sind ein Freund von vorgefertigten Komponenten wie zum Beispiel Fassaden-Paneelen, die bereits Fenster eingebaut haben. Durch die Fertigung unter kontrollierten Werksbedingungen sind die notwendigen hohen Ausführungsqualitäten gut zu erreichen. Die Fassadenelemente können ohne Gerüst von innen verschraubt werden, ohne örtliches Aufmaß des Rohbaus.

Olaf Scheinpflug: Es ist schade, dass serielles Bauen mit Gleichförmigkeit in der Gestaltung gleichgesetzt wird und somit vermeintlich für individuelle Bauaufgaben ausfällt. Bei unserem Projekt in Hannover haben wir einen historisch wertvollen, denkmalgeschützten Straßenzug ergänzt. Unserer Klinkerfassade sieht man nicht an, dass sich dahinter eine vorgefertigte Holztafelbauweise verbirgt. 

Sie thematisieren die Vorfertigung nicht architektonisch?

Olaf Scheinpflug: Genau. Die hybride Konstruktion mit fertigen Tafelelementen wenden wir auf Grund ihrer vielfältigen Vorteile immer wieder an, aber sie kann Holz-, Putz- oder Paneelfassaden tragen. Die Bauweise lässt alle Erscheinungen zu und erlaubt gestalterische Freiheit.

Haben Sie die Bauweise erfunden oder von einem Hersteller übernommen?

Christian Schlüter-Vorwerg: Wir haben den Holzrahmenbau nicht erfunden, aber wir haben schon langjährige Erfahrungen damit. Es gibt auch schon interessante europäische Forschungsergebnisse zu dem Thema. Durch die gestiegenen energetischen Anforderungen erleben Tafelbauweisen einen Aufschwung, weil die Dämmung in der Konstruktionsebene liegt. So entstehen sehr schlanke und vor allem wirtschaftlich vorteilhafte Lösungen. Zur Vorfertigung kamen wir über das ökologische Bauen mit Holz, bei dem der Schutz vor Feuchte und eine gute Ausführungsqualität eine wichtige Rolle spielen. Heute sind die Vermeidung von Wärmebrücken und die Luftdichtigkeit wichtig. Dies alles ist mit der Vorfertigung viel leichter und besser zu garantieren.

Geben die gestiegenen Anforderungen dem Holzrahmenbau einen Schub?

Christian Schlüter-Vorwerg: Ja, vor allem bei hohen Dämmstandards wird er auch wirtschaftlich konkurrenzfähig.

Viele behaupten, dass Deutschland in seinen Dämmanforderungen zu weit gegangen ist. Lassen sich die Standards im Namen der Kostenersparnis zurückschrauben?

Christian Schlüter-Vorwerg: Nein, Dämmstandards zu reduzieren, halten wir nicht für sinnvoll, denn die Baukosten für Dämmung sind im Vergleich zu den Betriebskosten sehr gering. Im Betrieb sind die Investitionskosten schnell vielfach wieder eingespielt. In gut gedämmten Gebäuden ist entgegen manch falscher Vorurteile auch das Schimmelrisiko deutlich geringer. Und es gibt viele Alternativen zum Einsatz von Polystyrol als Wärmedämmung.

Olaf Scheinpflug: Man sollte nur nicht herkömmliche Bauteilaufbauten einfach beliebig aufblähen. Wenn die Dämmung dicker ist als die tragende Wand dahinter, wird bei einem dreischaligen Aufbau der Abstand zwischen tragender Wand und Außenverkleidung zu groß. Genau hier liegen die Vorteile von Holzrahmenbauweisen, welche Trag- und Dämmebene zusammenführen. 

Holz als ökologischem Baustoff fliegen die Herzen zu, meines auch. Aber sind Labels wie FSC nicht zu lasch?

Christian Schlüter-Vorwerg: Es gibt selbstverständlich noch andere Label, und leider ist der Zertifizierungsweg nicht immer eindeutig. Aber generell muss man auf die Gesamtbilanz achten. Auch „Plusenergiehäuser“ in Holz retten nicht die Welt sowie auch Elektro-Autos nicht pauschal umweltfreundlich sind. Jedes neue Gebäude belastet die Umwelt. Deshalb setzen wir auch auf die Reduktion der Wohnflächen. CO2-neutrale Bauten oder „Plus-Energie-Häuser“ gibt es nicht ohne ein abstraktes System von Gutschriften. Wir müssen vor allem unser Verhalten und unsere Ansprüche verändern. Die Politik kann nicht garantieren, dass jeder für 8,50 Euro pro Quadratmeter im Zentrum von München eine große Wohnung mieten kann. Mikro-Wohnungen und Tiny Houses wurden zuletzt in der Architekturdebatte neu gedacht. 

Sind Greenbuilding-Rating-Systeme wie DGNB oder LEED sinnvoll? Setzen Sie sie ein?

Christian Schlüter-Vorwerg: Ja, wir bauen zur Zeit ein Gebäude nach DGNB-Gold-Standard. Als Gründungsmitglieder der DGNB halten wir die Ratingsysteme für hilfreich bei der Quantifizierung von nachhaltige Bauen, auch wenn kein System alle Aspekte eines Gebäudes exakt erfassen und abbilden kann.

Das setzt im Grundriss an. Bauen Sie loftartige Grundrisse?

Christian Schlüter-Vorwerg: Das Wohnen wird sich verändern und wir wissen nicht, wie. Deshalb reduzieren wir das Tragwerk und machen die Grundrisse offen und flexibel. Häuser sollen mitwachsen können. Im Einfamilienhausbau arbeiten wir auch mit Holzbalkendecken, die leicht zu transportieren, zu montieren und zu variieren sind. Wenn eine junge Familie einen Raum später ausbauen kann, freut sie sich und wird sich auch nicht über mangelnden Schallschutz beschweren. Wir haben viele Referenzen beim Bau von Studentenwohnhäusern. Dort ist der sparsame Umgang mit Flächen von besonderer Bedeutung. Unser „Vario-Modul“ für eine Kombination von Küche und Bad hat sich hingegen leider bisher nicht realisieren lassen. Da fehlt es derzeit noch am Verständnis.

In Japan gibt es bereits viele interessante Konzepte für qualitätvolles Wohnen auf kleinem Raum. Kleine Wohnungen müssen sich nicht anfühlen wie eine „U-Bootküche mit Katzenklo“. Gewohnt wird in der Stadt. Der Convenience Store ersetzt den Kühlschrank und das Café das Wohnzimmer, nach Hause geht man nur zum Schlafen. Mit dem Wohnen wird dort auch nicht repräsentiert.

Olaf Scheinpflug: In Europa gibt es jedoch zugleich den umgekehrten Trend zum „Homing“ – zu Hause sein und Freunde einladen ist „in“. Deshalb brauchen wir angepasste Konzepte. Aber auch hier sind Flächeneinsparungen möglich und notwendig.

Dient bei Ihren Planungen der Erschließungskern aus Beton in einem Skelettbau lediglich der Aussteifung und als thermische Masse?

Olaf Scheinpflug: Ja, wir vermeiden viel Ortbeton oder Schottenbau. Aufgrund der schlechteren CO2-Bilanz von Beton sollte er nur dort eingesetzt werden, wo seine Vorteile (z.B. Brandschutz, thermische Speicherfähigkeit) stark sind. Leichtbauweisen haben auch im Transport Vorteile. Bei der Baustoffauswahl sollten die sortenreine Demontier- und Rückbaubarkeit sowie Weiterverwendung im Fokus stehen. Durch die meist mechanischen und somit lösbaren Verbindungstechniken haben vorgefertigte Bauweisen auch an dieser Stelle Vorteile. 

Wann ist Bauen mit Holz nachhaltig und ressourcensparend? Müssen für umfassenden Holzbau unsere Wälder geplündert werden? Wie sieht es mit Brandschutz, Schallschutz, Wärmedämmung aus? Ist die Bauwirtschaft auf massenhaften Holzbau überhaupt vorbereitet?

Christian Schlüter-Vorwerg: Forstwirtschaftlich sind die Ressourcen und Kapazitäten in Deutschland auf jeden Fall vorhanden. Der springende Punkt ist vielmehr die Fügetechnik. Änderungen in den Landesbauordnungen (LBO) könnten ebenfalls hilfreich sein. 

Benötigen Sie ein bestimmtes Set von Baufirmen, um ihre Ideen umsetzen zu können oder können Sie überall mit den ortsansässigen Firmen agieren?

Christian Schlüter-Vorwerg: Wir können überall mit ortsansässigen Firmen agieren, denn wir kombinieren vorhandene Bauweisen. 

Unterstützt die HOAI denn das serielle Planen?

Christian Schlüter-Vorwerg: Die Koppelung der Honorare an die Baukosten ist natürlich antiquiert. 

Wenn Sie dem Berufsstand der Architekten, der Bauherrenschaft oder der Politik etwas zurufen könnten, was wäre es?

Olaf Scheinpflug: Mehr Mut und Spaß bei der Planung! Geld und Wohnungsbedarf sind ja da! Das ist eine Chance für neue Ideen!

Vielen Dank für das Gespräch!

Heute sind überall Sonderlösungen gefragt, weil wir nicht mehr auf der grünen Wiese bauen, sondern städtisch nachverdichten.

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