Nachhaltig wohnen im Marienhof
Der Marienhof in Leutkirch ist ein Wohnensemble, das eine Baugemeinschaft errichtet hat. Die Neubauten wurden aus nachwachsenden Rohstoffen errichtet und gruppieren sich mit einem Bestandsgebäude um einen Innenhof.
Schon länger hatte der Allgäuer Architekt Edwin Heinz damit geliebäugelt, dem zunehmend verfallenden Bauernhof in seiner direkten Nachbarschaft neues Leben einzuhauchen. Der 1955 errichtete Marienhof war einmal der Wirtschaftshof des Leutkircher Kinderheimes St. Anna, stand in den letzten Jahren aber überwiegend leer. 2014 wurde aus der Idee Realität: Edwin Heinz und sein Bruder, befreundete Familien und weitere, per Anzeige und Mund-Propaganda gefundene Mitstreiter, kauften zusammen das 4600 m² große Grundstück von der Stadt Leutkirch. Die Planung übernahm Edwin Heinz, Partner des Architekturbüros GMS Freie Architekten in Isny, selbst.
In zwei Punkten war sich die Baugemeinschaft einig: Die Umsetzung des Vorhabens sollte möglichst nachhaltig erfolgen und das gesamte Ensemble bis hin zu den Grünflächen eine gestalterische Einheit bilden. Denn ein Nebeneinander verschiedenster Stilrichtungen auf unterschiedlich eingefriedeten kleinen Grundstücken, wie man es heute so oft in neuen Siedlungen findet, wollte die Gruppe nicht.
Von den ursprünglichen Gebäuden des Marienhofs konnte nur der ehemalige Kuhstall erhalten und in eines der sieben Wohngebäude integriert werden. Als Reminiszenz an die Vorgeschichte blieben einige Felder des alten Außenputzes sichtbar erhalten und das Gebäude erhielt als einziges ein Satteldach. Alle anderen Bestandsgebäude mussten aufgrund ihrer maroden Bausubstanz abgerissen werden, die sechs Neubauten bekamen alle Pultdächer. Heute bieten die insgesamt sieben Häuser Raum für 23 Bewohner, davon acht Kinder und Jugendliche. Die Bebauung gruppiert sich um einen Innenhof, dessen Zentrum ein Hofbrunnen bildet. „Um diesen Brunnen ist eine wunderbar funktionierende Nachbarschaft entstanden“, freut sich Edwin Heinz.
Die Häuser wurden in Holztafelbauweise mit einem hohen Vorfertigungsgrad errichtet, bis auf das erhaltene Stallgebäude, das im Erdgeschoss als massiver Mauerwerksbau, im Obergeschoss aber ebenfalls als Holzbau ausgeführt ist. Die Errichtung der Gebäudekonstruktion und -hülle übernahm oberhalb der Bodenplatte die Firma Baufritz. Sie schnitt Wand- und Deckenelemente computergesteuert zu, das sparte Energie und Ressourcen. Die Garagen sind in die Häuser integriert und die Garagentore verschwinden in den Fassaden. Edwin Heinz: „Autos und Garagentorfronten dominieren unsere Siedlungen. Im Marienhof wollte ich dies vermeiden. Bislang wird das Konzept gut akzeptiert und die Autos verschwinden tatsächlich in den Garagen. In unserer ländlichen Region hat jeder Haushalt meist zwei Autos. Der Hof im Marienhof ist jedoch in der Regel autofrei und somit ungefährlicher für spielende Kinder. Schon die nur drei Meter breite und damit schmale Zufahrt bremst die Fahrzeuge ab.“
Im Sockelbereich wurden aus Gründen der besseren Feuchtigkeitsresistenz Bleche und Beton verbaut, ansonsten dominiert – beim Tragwerk ebenso wie bei Innenausbau, Dämmung und Fassade – der Baustoff Holz. Die vertikale, hellgraue, unterschiedlich breite Holzschalung aus Weißtannenholz sorgt für ein prägnantes äußeres Erscheinungsbild. Das Schalholz wurde mit dem Dura-Patina-Verfahren behandelt, das die natürliche Vergrauung des Holzes durch eine beschleunigte Oxidation und spezielle Farbpigmente besonders gleichmäßig vorwegnimmt. Das Verfahren beinhaltet auch das intensive Einbürsten von Lein- und Sonnenblumenöl in die Holzstruktur. Das Holz wird von innen heraus wasserabweisend, was eine dauerhaft pflegefreie Fassade garantieren soll. Bis zu zehn Jahre alte Referenzobjekte bezeugen dies bislang. Ein gering dosierter chemischer Pilzschutz kommt bei diesem Verfahren hinzu.
Bei der Hobelspänedämmung in den Außenwänden sorgt eine Imprägnierung mit Molke und Soda für den Pilz- und den Brandschutz. Die Späne könnten so eines Tages nach Gebrauchsende sogar kompostiert werden. Dafür steht das Cradle-to-Cradle-Zertifikat für vollständig kreislauffähige Produkte, die die Firma Baufritz für die Spänedämmung als weltweit erstem Naturdämmstoff erhalten hat. Beim Fenstereinbau verzichtete Baufritz auf Polyurethan-Schäume, die vorgefertigten Tür- und Fenstermodule wurden bereits im Werk millimetergenau und winddicht in die Hausfassade eingearbeitet.
Im Innenausbau kamen weitere nachwachsende Rohstoffe zum Einsatz, z. B. Holzfaserdämmstoffe in den Innenwänden und geölte Parkettböden. Insgesamt sind die Gebäudehüllen der Häuser aufgrund ihres hohen biobasierten Anteils nachweisliche CO2-Senken. Das bedeutet, dass sie größere Mengen Kohlenstoff speichern, als in Form von CO2 durch den Energieverbrauch für den Hausbau freigesetzt wurde.
Alle sechs Neubauten erreichen den Energiestandard KfW-Effizienzhaus 55 nach ENEV 2016. Die Beheizung und Belüftung erfolgt bei vier Häusern über Luft-Wasser-Wärmepumpen mittels Fußbodenheizung und kontrollierter Wohnraumlüftung mit Wärmerückgewinnung. In drei Häusern sind Luft-Luft-Wärmepumpen eingebaut, die zusätzlich kühlen können. Alle Häuser haben zudem 8 kWp-Photovoltaikanlagen zur Eigenverwendung von Strom und zur zusätzlichen Einspeisung ins Netz. Eine umfangreichere Speicherung zur Erhöhung des Eigenverbrauchs für die Zukunft ist geplant.
Zu den nachhaltigen Details gehört außerdem die Versickerung des Regenwassers auf dem Grundstück über belebte Humusschichten in Gräben und über fünf Rigolen – beides entlastet Kanalnetze und Gewässer und trägt zur Grundwasserneubildung bei. Die Gesamtanlage umfasst neben den Gebäuden einen Landschaftspark mit 35 heimischen Obstbäumen, Heckenelementen und Pflanzbeeten. Auf Zäune zwischen ihren Grundstücken haben die befreundeten Parteien verzichtet, ein Effekt, der die Grundstücke größer erscheinen lässt und der Anlage Parkcharakter verleiht.
Nicht zuletzt war auch das gemeinsame Bauen ein Beitrag zur Nachhaltigkeit. „An dieser Baustelle standen z. B. nur zwei und nicht sieben Kräne, nur zwei und nicht sieben Bau-WCs. Nachhaltig ist auch der soziale Aspekt des gemeinsamen Bauens: „Das Mitbestimmen und gemeinsame Entscheiden ab der ersten Planung schafft Identität und Identifikation mit der Gesamtanlage, schafft schlichtweg Heimat!“ meint Architekt Edwin Heinz.
Das Projekt überzeugte auch die Jury des Bundeswettbewerbes HolzbauPlus – Bauen mit nachwachsenden Rohstoffen. Das Bundeslandwirtschaftsministerium lobte diesen Wettbewerb 2016 zum 3. Mal aus. Der Marienhof Leutkirch gewann in der Kategorie „Wohnungsbau Neubau“ den ersten Preis.
Die Neubauten wurden in Holztafelbauweise mit einem hohen Vorfertigungsgrad errichtet.
Die Versickerung des Regenwassers erfolgt über belebte
Humusschichten in Gräben und über fünf Rigolen.