Nachhaltigkeit weiterdenken
In einem Ost-Berliner Plattenbau ist das C2C LAB entstanden, die weltweit erste umfassende Bestandssanierung nach Cradle-to-cradle-Kriterien. Genutzt wird die Fläche als Reallabor, um Akteuren aus der Bau- und Immobilienwirtschaft kreislaufbasiertes Bauen nahezubringen.
Die Bauwirtschaft ist weltweit einer der größten Ressourcenverbraucher und Abfallerzeuger: Rund 50 Prozent der Treibhausgasemissionen und mehr als 90 Prozent des Biodiversitätsverlustes sowie des Wasserstresses lassen sich nachweislich auf die Gewinnung und Verarbeitung von Ressourcen zurückführen. Beispiel Sand: Einer Studie der Vereinten Nationen zufolge werden pro Jahr global bis zu 50 Milliarden Tonnen des „gelben Goldes“ für die Herstellung von Beton abgebaut. Das ist die dreifache Menge dessen, was vor 20 Jahren benötigt wurde. Den Grund für den Anstieg sehen die Verfasser im globalen Bauboom. Weil immer mehr Menschen in Städte ziehen, werde immer mehr gebaut. Dringend müssten deshalb Alternativen wie Recycling und ressourcenschonende Bauweisen eingesetzt werden, um Umweltschäden zu vermeiden.
Eine Notwendigkeit, die auch in Deutschland immer aktuer wird, angesichts des steigenden Rohstoffbedarfs für das Bauen von Häusern, Brücken und Straßen und der begrenzten Vorkommen, die oftmals unter Ackerflächen und Schutzgebieten liegen, wie etwa Kies. Tradierte Bauprozesse und erprobte Wertschöpfungsketten umzustellen, ist jedoch nicht einfach. Das C2C LAB in Berlin zeigt, wie die Transformation gelingt.
Aus grau wird grün
An der Landsberger Allee, die vom Alexanderplatz in östliche Richtung nach Lichtenberg führt, packten Nora Sophie Griefahn und Tim Janßen die Sache im Haus Nr. 99c an: Unter Mitwirkung von 44 Bauproduktherstellern (darunter Busch-Jaeger, Drees & Sommer, Grohe, Lindner, Schüco, Tarkett und ZINQ) und eines versierten Helferteams haben die geschäftsführen-den Vorstände der gemeinnützigen Cradle-to-Cradle-Organisation (kurz C2C NGO) eine stark sanierungsbedürftige Gewerbefläche im Erdgeschoß eines DDR-Plattenbaus aus kommunalem Wohnungsbestand in ein 400 Quadratmeter großes Demonstrationsobjekt für kreislaufbasiertes Bauen verwandelt, mit dem Ziel, einen Ort für alle am Bau Beteiligten zu schaffen, wo sie sich praxisorientiert informieren und gewerkeübergreifend austauschen können.
Die schweißtreibenden Sanierungsarbeiten haben sich gelohnt: Entstanden ist die weltweit erste umfassende Bestandssanierung nach Cradle-to-cradle-Kriterien, die kreislaufbasiertes Bauen für einen großen Interessentenkreis – von Expertengruppen bis Schulklassen -praxisnah erlebbar macht.
C2C-Prinzipien zum Anfassen
Damit die abstrakte Thematik für Entscheider*innen in Immobilienunternehmen, die in ihrem Berufsallltag praktisch nie mit Bauchemie und Recyclingverfahren zu tun haben, dafür um so mehr mit Investitions-, Instandhaltungs- und Betriebskosten, konkret wird, bieten die Initiatoren einen etwa 90-minütigen Rundgang durch die Räumlichkeiten an, bei dem sie die Prinzipien von C2C anhand von Produkten und Materialien erläutern. Zu erfahren ist beispielsweise, das die verbauten Aluminium-Fensterrahmen entgegen der herkömmlichen Weise nicht mit Bauschaum eingeklebt wurden, sondern verschraubt sind, damit eine abfallfreie Demontage möglich ist.
Der auf C2C-Basis hergestellte Linoleum-Fußboden kann, wenn er das letzte Stadium seines Lebenszyklus erreicht, aufgrund seines intelligenten Designs zu einem neuen hochwertigen Belag verarbeitet werden, ohne Müll zu verursachen. Ist dieser dann obsolet, lässt sich die Transformation ohne Qualitätsverluste fortsetzen. Ebenso ist das verlegte Eichenholzparkett endlos recycelbar, für dessen turnusmäßiger Wiederaufbereitung ein speziell dafür entwickeltes Rücknahmesystem sorgt. Im Sanitärbereich kam Lehmputz statt Silikon zur Abdichtung der Fugen zum Einsatz, der die Feuchtigkeit reguliert und Schadstoffe absorbiert.
Ökodesign macht den Unterschied
Elementar für kreislaufbasiertes Bauen ist, dass nur einstoffliche Materialien genutzt und generell auf Verbundwerkstoffe verzichtet wird, die in der konventionellen industriellen Fertigung jedoch üblich sind. „Bisher wird ein Produkt nur für die Dauer eines Lebenszyklus betrachtet. Dass wertvolle Ressourcen nicht verloren gehen und die Umwelt nicht geschädigt werden darf, steht bisher nicht im Fokus des Produktdesigns“, beklagen die beiden Initiatoren, „C2C steht für Innovation und Qualität und bettet das Produkt in biologische und technische Kreisläufe von Materialien und Nährstoffen ein – das ist echte Nachhaltigkeit und Ökoeffektivität!“
Am Ende des Rundgangs erhalten die Besucher*innen noch einen Exkurs in klimapositiver und nutzerfreundlicher Büroausstattung. So können die Bürostühle im C2C LAB nach Ablauf der vereinbarten Leasingzeit abfallfrei wiederaufbereitet werden. Die als Raumtrenner eingesetzten Pflanzenwände sorgen für ein gesundes Raumklima. Und die recyclingfähigen Stehlampen über den Schreibtischen spenden den Mitarbeiter*innen biodynamisches Licht.
Noch fehlen Geschäftsmodelle
Noch steht die Bau- und Immobilienwirtschaft bei der Entwicklung von Geschäftsmodellen für kreislauffähige Gebäude ganz am Anfang. Zumal die Akteure des Rückbaus und der Demontage nicht in Prozesse zur Entwicklung innovativer Produkte involviert sind. Oftmals fehlt Bauherren und Planern zudem das Wissen über alternative Produkte und Verfahren. Weder Investoren noch Finanzierer haben derzeit adäquate Bewertungsmaßstäbe.
Doch auch hier geben Griefahn und Janßen Impulse, indem sie Aktien auf die hochwertige Zinkfassade, die noch am Haus, in dem sich das C2C LAB befindet, angebracht wird, ausgeben und sie auf diese Weise zum Anlageobjekt machen. Schließlich ist Zink eine begehrte Ressource, für die Rohstoffanleger Höchstpreise zahlen. Spinnt man die Idee weiter, ist die Rentabilität einer Immobilie künftig mit der Recyclingfähigkeit der in ihr verbauten Ressourcen und der Entwicklung der Rohstoffmärkte verbunden. Ein Ansatz, der die über Jahrzehnte gefestigten Prozesse in der Bau- und Immobilienbranche grundlegend verändern würde.
Erste Projektentwickler denken um
Erste Projektentwickler denken Nachhaltigkeit im Sinne von C2C nicht nur theoretisch weiter, sondern bauen praktisch danach: So realisiert die TRIQ GmbH in Stuttgart Deutschlands erstes ganzheitlich nachhaltiges Wohngebäude, das zu 80 Prozent aus natürlichen Baustoffen besteht und dessen Materialien zu 100 Prozent wiederverwendbar sind. Die Landmarken AG entwickelt in der Hamburger HafenCity in Zusammenarbeit mit dem Architekturbüro Kadawittfeld das erste Wohnhochhaus hierzulande nach dem C2C-Prinzip. In Düsseldorf baut Interboden mit „The Cradle“ das erste Holzhybrid-Bürogebäude der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt in C2C-Bauweise.
Das prominenteste Beispiel für kreislaufbasiertes Bauen ist momentan wohl das „SKAIO“ in Heilbronn, das mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis für Architektur 2020 prämiert wurde. Dass es bei C2C um mehr als „nur“ Bauen geht, zeigt ein Blick in die Niederlande: Dort wird in der Region Venlo nicht nur danach gebaut, sondern grundsätzlich Kreislaufwirtschaft betrieben. Die Diskussionen im C2C LAB dürften also intensiv sein, sobald die Corona-Lage wieder Veranstaltungen vor Ort zulässt.
Noch steht die Bau- und Immobilienwirtschaft bei der Entwicklung von Geschäftsmodellen für kreislauffähige Gebäude ganz am Anfang.
Erste Projektentwickler denken Nachhaltigkeit im Sinne von C2C nicht nur theoretisch weiter, sondern bauen praktisch danach.