Nachverdichtung

Platz ist in der kleinsten Lücke

Die Berliner HOWOGE realisierte im Lichtenberger Ortsteil Fennpfuhl zwei achtgeschossige Mietshäuser in monolithischer Bauweise mit rund siebzig Wohnungen und einer Kita als Nachverdichtung im Innenbereich einer bestehenden Wohnanlage.

Bezahlbare Wohnungen, die hochwertige Räume für alle bieten, sind in unseren Städten zur Mangelware geworden. Ob Aufstockungen, Dachgeschossausbauten oder Verdichtungen – mit unterschiedlichen Strategien wird nun versucht, den Wohnungsbestand zu ergänzen. Wie dies gelingen kann, zeigt ein Projekt in Berlin-Lichtenberg.

Dort realisierte die städtische Wohnungsbaugesellschaft HOWOGE zusammen mit dem beauftragten Architekturbüro HEIDE & VON BECKERATH zwei achtgeschossige Mietshäuser mit rund siebzig Wohnungen und einer Kita als Nachverdichtung im Innenbereich einer bestehenden Wohnanlage. Errichtet wurden die beiden Wohntürme mit Ytong Porenbeton und Silka Kalksandstein, mit zwei massiven Bausystemen also, die sich aufgrund ihrer positiven Eigenschaften ideal im mehrgeschossigen Wohnungsbau ergänzen.

Berlin wächst seit einigen Jahren rasant. Ein Bericht des Berliner Senats prognostiziert, dass die Einwohnerzahl bis zum Jahr 2030 um mehr als 266.000 auf ca. 3,8 Mio. zunehmen wird. Auch Städte wie Hamburg, Frankfurt, Köln oder Düsseldorf verzeichnen deutliche Zuwachsraten, allerdings nicht im gleichen Maße im Wohnungsbau. Die Grundstücke – vor allem in den Innenstädten – sind rar, dazu kommen lange Baugenehmigungsverfahren. Die Folge: Die Mieten und die Preise für Wohneigentum steigen extrem. Dringend sind also Lösungen von politischer und stadtplanerischer Seite gefragt, um dieser Entwicklung etwas entgegenzustellen.

So setzen die Städte mittlerweile zunehmend unter anderem auf eine Nachverdichtung, das heißt, bestehende Grundstücke sollen genutzt und Lücken geschlossen werden, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Die Städte bauen höher und enger. Hierbei darf aber eines nicht vergessen werden: die Qualität der neuen Wohnbauten und die Qualität der städtischen Gemeinschaft. Wie kann also eine lebenswerte und durchdachte Wohnarchitektur zu bezahlbaren Preisen geschaffen werden, durch die gleichzeitig neue urbane Identitäten in den Stadtquartieren entstehen?

Diese Frage stellte die HOWOGE ausgewählten Architekten im Jahr 2015, die an einem begrenzten Wettbewerb in Form eines Bieterverfahrens für ein Wohnungsbauprojekt an der Paul-Zobel-Straße teilnahmen. Das Architekturbüro HEIDE & VON BECKERATH fand mit ihrem Entwurf für zwei monolithische Wohnhäuser hierauf eine räumlich, wirtschaftlich und baukonstruktiv passende Antwort. Ihr Konzept sah vor, zeitgemäße Wohngrundrisse für individuelles und gemeinschaftliches Leben anzubieten, und die Weiterentwicklung des Quartiers mithilfe der Neubauten zu fördern.

Gemeinschaftlich leben im Kiez

Das Grundstück befand sich im Lichtenberger Ortsteil Fennpfuhl in einem von zehngeschossigen Plattenbauten umrahmten Innenhof. Die Großsiedlung Fennpfuhl entstand in den 1970er- und 1980er-Jahren im Zuge des sogenannten komplexen Wohnungsbaus, eines Wohnungsbauprgramms der DDR, das mithilfe industrieller Technologien (z. B. Plattenbauweise) die Wohnungsnot der damaligen Zeit beheben sollte. Auch die soziale Infrastruktur wie Schulen, Kindergärten, Dienstleistungs- und Gastronomieeinrichtungen wurden in diese Wohngebiete integriert. Die Flächen zwischen den Zehn- und Elfgeschossern dienten als Spiel- und grüne Erholungsräume.

Solche Freiflächen wie an der Paul-Zobel-Straße werden mittlerweile in Berlin nachverdichtet. Die HOWOGE erwarb daher vor einigen Jahren das rund 4000 m² große Grundstück, um dort neuen Wohnraum zu moderaten Mieten zu schaffen. Der Architekt Tim Heide, Partner im Büro HEIDE & VON BECKERATH, erläutert seine Analyse des Standorts zu Beginn des Entwurfs: „Solche Freiflächen wurden zu DDR-Zeiten intensiv von den Bewohnern in der Freizeit genutzt und gepflegt, nach der Wende verwilderten sie jedoch mehr und mehr. Heute stellen diese Räume ein städtebauliches Problem dar. Wir fragten uns also, wie man an diesem Standort mit einer Architektur antworten kann, die den bestehenden Raum würdigt und den Hofraum verbessert. Uns ging es nicht darum, einfach nur nachzuverdichten. Die Dichte, die durch die geplante bauliche Struktur entstehen würde, sollte vielmehr eine neue Qualität für den Raum mitbringen. Wir wollten etwas Positives hinzufügen, nicht den Raum einfach wegnehmen.“

Denn gerade Letzteres war eine große Sorge der alteingesessenen Bewohner des Kiezes: Sie fürchteten, man wolle ihnen die kleine Grünfläche nehmen, auf dem das Haus errichtet werden sollte, wodurch die Wohnqualität im Viertel leiden würde. Vehemente Proteste der Bürger und lautstark geäußerte Kritik waren die Folge. Der HOWOGE und den Architekten lagen die Befürchtungen der Bewohner sehr am Herzen. Daher lautete auch eine der zentralen Aufgaben an die Planer, die Förderung der Gemeinschaft in das städtebauliche und architektonische Konzept zu integrieren. Die Alteingesessenen und die neuen Kiezbewohner sollten miteinander in Kontakt kommen und das Zusammengehörigkeitsgefühl gestärkt werden.

Tim Heide und seine Büropartnerin Verena von Beckerath stellten vor allem die Förderung der Gemeinschaft in den Mittelpunkt ihres Konzepts: Die alteingesessenen Bewohner des Kiezes, wie solche Wohnquartiere in Berlin liebevoll gennant werden, und die neuen sollen miteinander in Kontakt kommen und das Zusammengehörigkeitsgefühl gestärkt werden. Sie entwickelten einen großen gefassten Freiraum – eine Art Platz –, der sich zwischen den Plattenbauten und den Neubauten aufspannt.

Tim Heide erklärt: „Wir überlegten dann, wie wir die Bewohner zusammenbringen können. Läden konnten wir in dem Neubau natürlich nicht realisieren. Aber wir brauchen hier in Berlin ja immer große Abstellräume für Fahrräder. Wir schlugen daher vor, diese Fahrradräume im Erdgeschoss unterzubringen und etwas größer zu machen als nötig, um sie zum einen als temporäre Fahrradwerkstätten allen Quartiersbewohnern zur Verfügung zu stellen und um sie zum anderen auch für andere Zwecke, zum Beispiel Nachbarschaftsfeste oder Kulturveranstaltungen, zu nutzen. Über große Falttüren öffnen sich die Fahrradräume nach außen, sodass auch der Platz davor bespielt werden kann. Wir wollten einen attraktiven Raum schaffen, der gleichzeitig Eingangsbereich, Begegnungsort und Bindeglied zwischen Neu- und Altbauten ist.“

Von traditionell bis experimentell

Zwei achtgeschossige Wohntürme planten HEIDE & VON BECKERATH auf dem Grundstück, die Fahrradräume sind jeweils in den Sockelgeschossen untergebracht. Eine eingeschossige Kindertagesstätte verknüpft die leicht zueinander versetzten Wohnbauten. „Zu den Aufgaben, die die Howoge an uns Architekten stellte“, sagt Tim Heide, „gehörte auch, neben den klassischen Wohnungsgrundrissen neue Ideen für gemeinschaftliches Wohnen zu entwickeln. Das können beispielsweise Mutter-Kind-, Senioren- oder Studenten-WGs sein. Unser Ziel war es, individuelles und gemeinsames Zusammenleben in diesen Wohnungen zu kombinieren.“

Tim Heide und Verena von Beckerath schlugen vor, hierfür das Hochparterre zu reservieren. Jede Wohnung besteht aus einer Küche und einem Bad zur kollektiven Nutzung, dazu steht jedem Bewohner ein eigener Raum mit acht bis elf Quadratmetern und eine kleine Terrasse zur Verfügung. Diese ist zugleich Freibereich und privater Zugang zu den Wohnungen. „So muss man nicht zwingend den Hauptzugang vom Treppenhaus nutzen“, erklärt Tim Heide das Konzept. „Die Räume sind zwar klein, aber separat erschließbar, was jedem Bewohner ein wichtiges Stück Privatsphäre sichert. Solche Kleinigkeiten finden wir im heutigen Wohnungsbau wichtig.“

Auch für die Zwei- bis Fünf-Zimmer-Wohnungen in den Regelgeschossen hatten sich die Architekten eine besondere Flexibilität überlegt: Die Räume sind um einen innen liegenden Kern aus Bad und Küche angeordnet. „Lassen die Bewohner die Zimmertüren weg – außer zum Bad –, entsteht ein offener, fast loftartiger Grundriss um das Küche-Bad-Element herum“, sagt Heide. „Wünscht der Mieter hingegen Türen, erhält er viele Einzelzimmer. Diese sind ungefähr gleich groß, sodass man selbst die jeweilige Nutzung definieren kann. Ein einfaches Grundrissprinzip.“

Zu jeder Wohnung gehört auch mindestens ein privater Freiraum in Form eines weit auskragenden Balkons, große Wohnungen haben bis zu drei Balkone. Alle Balkone haben die gleiche Größe, die gleiche Gestaltung und rotieren in Richtung des Sonnenlaufs um die beiden Wohntürme herum. Erschlossen wird jedes Gebäude über ein innen liegendes Treppenhaus. Rund 30 Prozent der Wohnungen entsprechen in der Größe und in den Zuschnitten den Förderbedingungen des sozialen Wohnungsbaus.

Starke Partner im Mehrgeschosswohnungsbau

Um Grundrisse zu erhalten, die sich an den Bedürfnissen der Mieter orientieren, war auch eine besondere Gebäudekonstruktion nötig. „Wir wollten eine monolithische Bauweise ohne Wärmedämmung, wenige Anschlussdetails und massive Außenwände, die Sonnenwärme speichern“, sagt Tim Heide. Eine weitere Herausforderung für die Tragstruktur waren die Öffnungen in der Fassade, da diese zwar alle gleich groß sind, aber nicht übereinander liegen. Da diese Parameter bereits in der Wettbewerbsphase fest standen, holten die Architekten gleich zu Beginn die Tragwerksplanerin Nicole Zahner vom Büro StudioC ins Boot.

„Bei all diesen Vorgaben war für uns früh klar, dass wir tragende Außenwände brauchen“, erklärt Zahner. „Wir entschieden uns für großformatige Porenbetonsteine von Ytong als Vollwandkonstruktion. Diese hatten wir schon bei kleineren Gebäuden eingesetzt. Bei den beiden Wohntürmen berechneten wir im Vorfeld ganz genau die Verteilung der Lasten und der Spannungen, gerade im Hinblick auf die nicht übereinander sitzenden Fenster. Denn wir wollten unbedingt diese Außenwandkonstruktion realisieren – massiv, nachhaltig ohne WDVS, gleichzeitig hoch tragfähig und dämmend. Gut geeignet also für den Wohnungsbau.“

Für die Außenwände der oberen sieben Geschosse kamen Ytong Jumbo im Doppelpack-Steine mit der Breite 42,5 Zentimeter zum Einsatz, die neben dem hohen Wärmeschutz ebenso einen hohen Schall- und Brandschutz aufweisen. Das Erdgeschoss besteht aus Stahlbetonfertigteilen. Die Wohnungstrennwände hingegen sind aus Silka Kalksandsteinen gemauert, da hier vor allem der Schallschutz zu beachten war: Durch ihre höhere Rohdichte sorgen sie dafür, dass weniger Lärm und störende Geräusche zwischen den Wohnungen übertragen werden. Außerdem ermöglicht die hohe Druckfestigkeit mehr Wohnraum durch schlanke Wände. Auch der tragende Treppenhauskern besteht aus Kalksandstein. Zusammen bilden Ytong und Silka also ein gutes Team im Mehrgeschossbau.

Als Wetterschutz erhielt die Fassade außen einen Putz und einen dunklen Anstrich, der den beiden Wohnhäusern nicht nur ein auffallendes Äußeres verleiht, sondern darüber hinaus die Wärmespeicherung in den massiven Außenwänden fördern soll. Im Inneren sind die Wände weiß verputzt, ein bestimmtes Farb- und Lichtkonzept sorgt für eine angenehme Atmosphäre und für Orientierung. Im Januar 2019 wurden die Bauarbeiten abgeschlossen. Seitdem können viele Familien, Singles, Junge und Alte das Konzept aus Vielfalt, Vermischung und Begegnung zu Hause und in der Nachbarschaft (er-)leben.

Die Großsiedlung Fennpfuhl entstand im Zuge des sogenannten komplexen Wohnungsbaus, eines Wohnungsbauprogramms der DDR.

Rund 30 Prozent der Wohnungen entsprechen in der Größe und in den Zuschnitten den Förderbedingungen des sozialen Wohnungsbaus.

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