Urteile
Bauplanungsrecht; Gründung eines Planungsverbandes/Zweckverbandes
BauGB § 205
1. Satzungen, mit denen sich Gemeinden zu einem Planungsverband nach § 205 Abs. 1 BauGB zusammenschließen, sind nach den Vorschriften öffentlich bekannt zu machen, die das Landes- und Kommunalrecht für die Veröffentlichung gemeindlicher Satzungen normiert hat.
2. Die wirksame Gründung eines Zweckverbandes, dem Aufgaben der Bauleitplanung übertragen werden, setzt voraus, dass die Gründungssatzung Regelungen enthält, die einen wirksamen Vollzug des Städtebaurechts gewährleisten und die gemeindliche (Letzt-)Verantwortung für das städtebauliche Geschehen wahren.
BVerwG, Urteil vom 17. Mai 2018 - 4 CN 9.17
Aus den Gründen:
Der Senat lässt offen, ob die Gründungssatzung in den Veröffentlichungsorganen des Kreises C. und des Landkreises D. hätte bekanntgemacht werden müssen. Er folgt dem Oberverwaltungsgericht jedenfalls darin, dass die Satzung einer Bekanntgabe in den Publikationsorganen der Städte A. und D. bedurft hätte. Satzungen, mit denen sich Gemeinden zu einem Planungsverband zusammenschließen, sind nach den Vorschriften öffentlich bekannt zu machen, die das Landes- und Kommunalrecht für die Veröffentlichung gemeindlicher Satzungen normiert hat (vgl. Runkel, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand August 2017, § 205 Rn. 54; Schmidt-Eichstaedt, in: Brügelmann, BauGB, Stand September 2017, § 205 Rn. 17; Hornmann, in: Spannowsky/Uechtritz, BauGB, 3. Aufl. 2018, § 205 Rn. 23; Battis, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 13. Aufl. 2016, § 205 Rn. 4; Jarass/Kment, BauGB, 2. Aufl. 2017, § 205 Rn. 6; Schrödter, BauGB, 8. Aufl. 2015, § 205 Rn. 1; Gaentzsch, in: Berliner Kommentar zum BauGB, 3. Aufl. 2002, Stand März 2018, § 205 Rn. 12). Die Gründungssatzung ist eine gemeindliche Satzung, weil die Bauleitplanung nach § 2 Abs. 1 Satz 1 BauGB zu den eigenen Angelegenheiten der Gemeinden mit der Befugnis gehört, den Bebauungsplan als Satzung zu beschließen (§ 10 Abs. 1 BauGB), und auch mit der Übertragung der Befugnis zur Bauleitplanung an einen Planungsverband nach § 205 Abs. 1 BauGB von der Zuständigkeit nach § 2 Abs. 1 Satz 1 BauGB Gebrauch gemacht wird.
Dem Oberverwaltungsgericht ist darin beizupflichten, dass die gebotene ortsübliche Bekanntmachung in den Veröffentlichungsorganen der Städte A. und B. durch die Bekanntgabe der Gründungssatzung und ihrer Genehmigung im Amtsblatt der Bezirksregierung Detmold vom 27. April 2009 nicht ersetzt worden ist. Für eine wirksame Ersatzverkündung fehlt es an der erforderlichen Rechtsgrundlage. Sie ist namentlich nicht in § 11 Abs. 1 GkG NRW zu finden, der anordnet, dass die Aufsichtsbehörde die (Zweck-)Verbandssatzung und ihre Genehmigung in ihrem amtlichen Veröffentlichungsblatt bekanntzumachen hat und die Gemeinden und Kreise in der für ihre Bekanntmachungen vorgeschriebenen Form auf die Veröffentlichung hinzuweisen haben.
§ 205 Abs. 1 bis 5 BauGB mit seinen Regelungen zum Planungsverband verweist nicht auf das Zweckverbandsrecht. § 11 Abs. 1 GkG NRW ist auch nicht über § 32 GkG NRW anwendbar, der bestimmt, dass auf Planungsverbände nach § 205 BauGB die Vorschriften des Gesetzes über die kommunale Gemeinschaftsarbeit entsprechend anzuwenden sind, soweit sich aus dem Baugesetzbuch nichts anderes ergibt. Die in § 11 Abs. 1 GkG NRW normierte Pflicht zur Bekanntmachung der Verbandssatzung und ihrer Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde knüpft daran an, dass die Zweckverbandssatzung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 GkG NRW der aufsichtsbehördlichen Genehmigung bedarf. Die Satzung nach § 205 Abs. 1 Satz 2 BauGB unterliegt indessen keinem Genehmigungsvorbehalt. Es gibt deshalb auch keine Aufsichtsbehörde, in deren amtlichem Veröffentlichungsblatt die Verbandssatzung und deren Genehmigung veröffentlicht werden könnte. Aus dem Verzicht des Bundesgesetzgebers auf die Pflicht zur Genehmigung einer Satzung, mit der ein Planungsverband im Sinne des § 205 Abs. 1 BauGB gegründet wird, lässt sich folgern, dass für eine ergänzende Heranziehung des § 11 Abs. 1 GkG NRW kein Raum ist (vgl. auch OVG Koblenz, Urteil vom 9. August 2001 - 8 C 11352/00 - NVwZ-RR 2002, 102).
Als Zweckverband ist der Antragsgegner gleichfalls nicht wirksam gegründet worden. Das Oberverwaltungsgericht hat entscheidungstragend angenommen, die Gründungssatzung gewährleiste nicht, dass die Städte A. und B. mit der Gesamtheit ihrer Stimmen einen Bebauungsplan gegen den Kreis C. und den Landkreis D. durchsetzen könnten. Das bestehende faktische Vetorecht der (Land-)Kreise C. und D. sei als Einschränkung der grundgesetzlich garantierten und durch das Baugesetzbuch bundesrechtlich abgesicherten Planungshoheit der Gemeinden unzulässig. Außerdem stelle die Satzung das planerische Initiativrecht der Städte nicht hinreichend sicher, beachte insbesondere die gemeindliche Aufgabe nach § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB nicht im erforderlichen Umfang.
§ 205 Abs. 6 BauGB lässt es zu, dass Aufgaben der Bauleitplanung auf nach Landesrecht gegründete Zweckverbände übertragen werden. Wie das Bundesverwaltungsgericht bereits entschieden hat, darf die Norm nicht als Vorschrift verstanden werden, die selbst zur Übertragung der Zuständigkeit für die Bauleitplanung ermächtigt, sondern muss als eine Vorschrift angesehen werden, die den (ausschließlichen) Geltungsanspruch der Zuständigkeitsvorschriften des Baugesetzbuchs für die Bauleitplanung zurücknimmt und dem Landesrecht einen Bereich lässt, in dem dieses eigene Vorschriften zur Übertragung der Zuständigkeit für die Bauleitplanung vorsehen kann (BVerwG, Beschluss vom 18. Oktober 2016 - 10 B 6.15 - juris Rn. 6). Der Spielraum des Landesrechts ist jedoch begrenzt. Zu der Vorgängervorschrift des § 205 Abs. 6 BauGB, dem § 4 Abs. 8 BBauG, hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Zusammenschlüsse aufgrund besonderen Landesrechts dieselben Entscheidungsstrukturen wie ein „echter“ Verband haben müssen und hierzu auch eine Initiativbefugnis zählt, wie sie die Gemeinden in einem „echten“ Planungsverband über ihre Vertreter hätten und durch die sie erzwingen könnten, dass der Planungsverband eine planerische Entscheidung über einen von ihnen vorgelegten Antrag fällt (BVerfG, Beschluss vom 9. Dezember 1987 - 2 BvL 16/84 - BVerfGE 77, 288 <305 f.>). Der Senat hat aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abgeleitet, dass die Regelungen des Landesrechts einen wirksamen Vollzug des Städtebaurechts gewährleisten und die gemeindliche (Letzt-)Verantwortung für das städtebauliche Geschehen wahren müssen (BVerwG, Urteil vom 3. Juli 1998 - 4 CN 5.97 - Buchholz 406.11 § 165 BauGB Nr. 4 S. 21). Das Oberverwaltungsgericht ist dieser Rechtsprechung gefolgt.
Zu Unrecht sieht der Antragsgegner die gemeindliche Letztverantwortung für das städtebauliche Geschehen durch § 205 Abs. 7 BauGB gesichert, wonach die Entwürfe der Bauleitplanung mit Begründung vor der Beschlussfassung hierüber den Gemeinden, für deren Gebiet der Bauleitplan aufgestellt werden soll, zur Stellungnahme innerhalb angemessener Frist zuzuleiten sind. Zwar mag dem Antragsgegner darin zuzustimmen sein, dass die Vorschrift „noch einmal eine besonders qualifizierte Beteiligung der Gemeinden absichert“. Sie bietet aber nicht die Gewähr dafür, dass sich die Gemeinden bei der Beschlussfassung über einen umstrittenen Bebauungsplanentwurf mit ihren Planungsvorstellungen gegenüber den anderen Beteiligten des Zweckverbandes durchsetzen. Dass nach Auflösung eines Zweckverbandes mit der Aufgabe der Bauleitplanung die beteiligten Gemeinden ihre Planungshoheit in vollem Umfang zurückgewinnen, führt auf kein anderes Ergebnis. Ein späterer Rückfall der Planungshoheit wiegt den Mangel einer gemeindlichen (Letzt-)Verantwortung für das Städtebaurecht während der Existenz des Zweckverbandes nicht auf. Das Oberverwaltungsgericht hat schließlich nicht die konkreten Rahmenbedingungen der Planung des Antragsgegners verkannt, die nach dem Vortrag des Antragsgegners dadurch gekennzeichnet sind, dass die Grundentscheidungen für den Weserport in den von den Städten A. und B. in eigener Verantwortung aufgestellten bzw. geänderten Flächennutzungsplänen getroffen worden sein sollen. Für die vom Oberverwaltungsgericht vermissten Regelungen bestand auch vor dem Hintergrund der Flächennutzungsplanung noch Bedarf, weil, wie der Antragsgegner selbst einräumt, im Bebauungsplan noch Regelungen zu treffen waren, die in den Flächennutzungsplänen fehlen.
Naturschutzrechtluche Eingriffsregelung; Reichweite der naturschutzfachlichen Prüfung
GG Art. 19 Abs. 4 Satz 1
Stößt die gerichtliche Kontrolle nach weitestmöglicher Aufklärung an die Grenze des Erkenntnisstandes naturschutzfachlicher Wissenschaft und Praxis, zwingt Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG das Gericht nicht zu weiteren Ermittlungen, sondern erlaubt ihm, seiner Entscheidung insoweit die plausible Einschätzung der Behörde zu der fachlichen Frage zugrunde zu legen. Die Einschränkung der Kontrolle folgt hier nicht aus einer der Verwaltung eingeräumten Einschätzungsprärogative und bedarf nicht eigens gesetzlicher Ermächtigung.
In grundrechtsrelevanten Bereichen darf der Gesetzgeber Verwaltung und Gerichten nicht ohne weitere Maßgaben auf Dauer Entscheidungen in einem fachwissenschaftlichen „Erkenntnisvakuum“ übertragen, sondern muss jedenfalls auf längere Sicht für eine zumindest untergesetzliche Maßstabsbildung sorgen.
BBVerfG, Beschluss vom 23. Oktober 2018 - 1 BvR 2523/13, 1 BvR 595/14
Aus den Gründen:
Die Verfassungsbeschwerden werfen bezüglich des in § 44 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz - BNatSchG) enthaltenen Tötungsverbots für besonders geschützte Tierarten die Frage nach der durch Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gebotenen Reichweite verwaltungsgerichtlicher Kontrolle auf.Die Beschwerdeführerinnen begehrten die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für Windenergieanlagen. Eine Genehmigung wurde in beiden Fällen wegen Unvereinbarkeit mit § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG versagt, der es verbietet, wild lebende Tiere der besonders geschützten Arten zu töten. Das Tötungsverbot steht der Genehmigung entgegen, wenn sich durch das Vorhaben das Tötungsrisiko für die geschützten Tiere signifikant erhöht (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. März 2008 - 9 A 3.06 -, juris, Rn. 219; siehe jetzt auch § 44 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BNatSchG). Die Genehmigungsbehörden nahmen in beiden Fällen an, das Risiko der Kollision von Greifvögeln der Art des Rotmilans mit den beantragten Windenergieanlagen sei signifikant erhöht.
In den Berufungsentscheidungen hat das Oberverwaltungsgericht unter Verweis auf die Entscheidung des 9. Senats des Bundesverwaltungsgerichts zur Nordumfahrung Bad Oeynhausen (BVerwG, Urteil vom 9. Juli 2008 - 9 A 14.07 -, juris, Rn. 65 ff.) ausgeführt, der zuständigen Behörde müsse eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative zuerkannt werden, weil zur fachgerechten Beurteilung der Frage der signifikanten Risikoerhöhung ornithologische Kriterien maßgeblich seien, die zu treffende Entscheidung prognostische Elemente enthalte und naturschutzfachlich allgemein anerkannte standardisierte Maßstäbe und rechenhaft handhabbare Verfahren fehlten (OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 26. Oktober 2011 - 2 L 6/09 -, juris, Rn. 60; Urteil vom 19. Januar 2012 - 2 L 124/09 -, juris, Rn. 46).
Auf die Revisionen der Beschwerdeführerinnen hin hat das Bundesverwaltungsgericht festgestellt, das Berufungsgericht sei zu Recht davon ausgegangen, dass der Genehmigungsbehörde für die Prüfung dieses Verbotstatbestandes eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative zuerkannt werden müsse. Die behördliche Beurteilung richte sich auf außerrechtliche Fragestellungen, für die allgemein anerkannte fachwissenschaftliche Maßstäbe und standardisierte Erfassungsmethoden fehlten. Wenn und solange die ökologische Wissenschaft sich insoweit nicht als eindeutiger Erkenntnisgeber erweise, fehle es den Gerichten an der auf besserer Erkenntnis beruhenden Befugnis, eine naturschutzfachliche Einschätzung der sachverständig beratenen Zulassungsbehörde als „falsch“ und „nicht rechtens“ zu beanstanden (BVerwG, Urteil vom 21. November 2013 - 7 C 40.11 -, juris, Rn. 14). Seien verschiedene Methoden wissenschaftlich vertretbar, bleibe die Wahl der Methode der Behörde überlassen (BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2013 - 4 C 1.12 -, juris, Rn. 15).
Die Beschwerdeführerinnen machen mit ihren Verfassungsbeschwerden vor allem geltend, in ihrem Recht auf effektiven Rechtsschutz verletzt zu sein (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG), weil die Gerichte den Behörden eine nicht zu rechtfertigende Einschätzungsprärogative eingeräumt hätten.
Die Verfassungsbeschwerden sind unzulässig. Sie entsprechen nicht dem Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde (unten I) und sind nicht hinreichend begründet worden (unten II).
Die Gerichte haben die mit den Verfassungsbeschwerden beanstandete Begrenzung der gerichtlichen Kontrolle damit begründet, dass es zu den hier durch § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG aufgeworfenen außerrechtlichen Fragestellungen zum Tötungsrisiko für Rotmilane nach derzeitigem Erkenntnisstand der ökologischen Wissenschaft und Praxis keine eindeutigen Antworten gebe. Die Beschwerdeführerinnen machen demgegenüber in ihren Verfassungsbeschwerden geltend, dass die nötigen naturschutzfachlichen Erkenntnisse bereits existierten. Dies hätten sie wegen der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde im fachgerichtlichen Verfahren rechtzeitig substantiiert vortragen müssen.
Bauplanungsrecht; Nachbarschützende Wirkung von Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung
BauGB § 31 Abs. 2
1. Ob Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung auch darauf gerichtet sind, dem Schutz des Nachbarn zu dienen, hängt vom Willen der Gemeinde als Plangeber ab (wie BVerwG, Beschluss vom 19. Oktober 1995 - 4 B 215.95 - Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 131).
2. Wollte der Plangeber die Planbetroffenen mit den Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung in ein wechselseitiges nachbarliches Austauschverhältnis einbinden, sind diese Festsetzungen nachbarschützend. Dies gilt auch, wenn der Plangeber die nachbarschützende Wirkung im Zeitpunkt der Planaufstellung nicht in seinen Willen aufgenommen hatte.
BVerwG, Urteil vom 9. August 2018 - 4 C 7.17
Bauordnungsrecht; Verwaltungsverfahrensrecht; Nachbarwiderspruch
Die Prüfung, ob das verfahrensrechtliche Recht zum Widerspruch gegen eine einem Dritten erteilte Baugenehmigung verwirkt ist, kann nur veranlasst sein, wenn die Baugenehmigung nicht schon wegen Versäumung der Widerspruchsfrist bestandskräftig geworden ist.
BVerwG, Beschluss vom 11. September 2018 - 4 B 34.18