Vom „Gesundschrumpfen“ zum Wohnraummangel
Die Situation auf dem deutschen Wohnungsmarkt ist eine zentrale soziale Frage unserer Zeit geworden. In allen Parteien ist das Thema auf der politischen Agenda. In den Medien genießt es zu Recht einen hohen Stellenwert. Teil 1 unserer Serie zur Wohnungs- und Bodenpolitik.
Ich erinnere mich noch gut an die Zeit, als die Städteplaner von der „entwickelten Stadt“ philosophierten und jeglicher Weiterentwicklung Prügel zwischen die Beine warfen. Deutschland galt als ein Land, das schrumpfte. Vom „Gesundschrumpfen“ war die Rede – und das nicht nur im Osten Deutschlands.
Bund oder Land: Die Suche nach dem „Schwarzen Peter“
Dieses Gedankengut steckte bis vor wenigen Jahren in der Politik und in den Verwaltungen in vielen Köpfen. Der Bund hatte sich in der Föderalismusreform einvernehmlich mit dem Bundesrat aus der Wohnungsbauförderung zurückgezogen, sie an die Länder übertragen und dafür den Ländern zunächst jährlich mehr als 500 Mio € für Sozialen Wohnungsbau zur Verfügung gestellt. Die Mittel wurden später aufgestockt. Dies war vom Prinzip her auch richtig, denn die Situation auf dem Wohnungsmarkt ist von Land zu Land sehr unterschiedlich.
Die Länder können besser beurteilen, in welchen Städten und Regionen auf dem Wohnungsmarkt Handlungsbedarf besteht. Die Nachfrage nach Wohnraum ist in München, Berlin und Frankfurt eine andere als im Bayrischen Wald oder in der Westpfalz. Leider sind Gelder, die den Ländern vom Bund für Sozialen Wohnungsbau überwiesen wurden, von vielen Ländern zur Schuldentilgung oder für andere Dinge verwendet worden, anstatt diese in Sozialwohnungen zu investieren.
Jetzt wundert man sich landauf, landab, dass in Deutschland bezahlbare Wohnungen fehlen (Grafik 1) und schiebt den „Schwarzen Peter“ nach Berlin.
Vom Neubau-Boom zum Stillstand
Die bedrohliche Entwicklung am Wohnungsmarkt wurde von Wenigen vorausgesehen. Viele wollten sie nicht wahrhaben. Ein Blick in die Statistik hilft zu zeigen, wie sich in den letzten 25 Jahren die Zahlen beim Wohnungsneubau entwickelt haben. Sie gingen rapide zurück: Anfang der 1990er-Jahre entstanden noch jährlich 600.000 Wohnungen, davon 300.000 in Mehrfamilienhäusern. In den Jahren 2002 bis 2010 wurden gerade noch 50.000 Mehrfamilienhauseinheiten pro Jahr gebaut (Grafik 2).
Die Folge waren Kapazitätsabbau in der Bauwirtschaft und fehlende Ausbildung in die klassischen Bauhandwerksberufe. Ein Ingenieur- oder Architekturstudium war verpönt. Ganze Studiengänge wurden geschlossen. Heute werden händeringend qualifizierte Heizungsinstallateure, Elektriker oder andere Bauhandwerker gesucht.
In den Bauverwaltungen der Kommunen wurde das Personal heruntergefahren. Viele gute Leute sind in die Privatwirtschaft abgewandert und jetzt wundern wir uns, wenn keine Baugenehmigungen mehr vom Tisch kommen und Bauwillige viel zu lange brauchen, bis sie endlich bauen können.
Zuzug in die Großstädte
Diese Entwicklung rächt sich enorm. Sie ist vor allem in den attraktiven Universitätsstädten wie München, Frankfurt, Hamburg oder inzwischen auch Berlin besonders sichtbar. Immer mehr Bundesbürger ziehen aus den ländlichen Gebieten fort und drängen in die Städte und Ballungsräume.
Unabhängig von der Flüchtlingsfrage bleibt die Zuwanderung nach Deutschland hoch, denn der Facharbeitermarkt kann nur von außen bedient werden, d.h. die Nachfrage am Wohnungsmarkt steigt weiter.
Für viele ist Großstadtwohnen inzwischen unbezahlbar geworden. Schnelle Lösungen sind nicht in Sicht, denn Bauen ist ein langfristiges Geschäft, das viele Jahre Vorlauf braucht. Wenn hier etwas geändert werden soll, muss man sich nicht nur die Situation in der Stadt, sondern auch das Verhältnis zwischen den Städten und dem ländlichen Raum anschauen.
Offline auf dem Land
Solange es in Deutschland nicht überall verlässliches, schnelles Internet gibt, ziehen die Menschen auch aus diesem Grund weiter in die Städte. Unternehmen gehen nicht aufs Land, denn um wettbewerbsfähig zu sein, sind sie auf schnelles Internet angewiesen. Schulkinder brauchen es nicht nur in der Schule, sondern auch zu Hause. Schnelles Internet auf dem Land kann mit dazu beitragen, dass die Menschen sich für das Wohnen auf dem Land entscheiden und so die Wohnungssituation in den Städten zu entschärfen.
Kleinwohnungen: Mehr Bedarf, weniger Angebot
Hinzu kommt: Großstädter wohnen immer häufiger allein oder maximal zu zweit. In mehr als der Hälfte der Stadthaushalte leben Menschen allein – doch nur 14 % des Wohnungsbestandes sind kleiner als 45 m², d.h. viele Alleinlebende leben in großen Wohnungen. Es gibt viel zu wenige Kleinwohnungen und die Miete nach einem Umzug in eine kleinere Wohnung ist vermutlich genauso teuer oder noch teurer als die Miete in der bisherigen großen Wohnung. Deshalb ist es nicht verwunderlich, wenn sich hier wenig bewegt.
Als mein Sohn vor 30 Jahren sein Tierarztstudium in München aufgenommen hat, war er in Schwabing Untermieter bei einer älteren Dame, die allein in einer großen Wohnung wohnte. Sie hatte das nicht genutzte Kinderzimmer immer wieder an Studenten vermietet. Ob das System heute noch funktioniert, wage ich zu bezweifeln, denn vermutlich wollen nur wenige Mieter sich den Stress einer Untervermietung antun.
Außerdem suchen sich die meisten Studenten von heute eine eigene Wohnung und drängen damit auf den Wohnungsmarkt. Dadurch, dass die Zahl der Studierenden in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen ist, wird die Situation zusätzlich weiter verschärft.
Mehr bauen – aber wie? Die inzwischen jährlich entstehenden etwa 250.000 Wohnungen reichen bei weitem nicht aus. Nur durch mehr Wohnungen können die überhitzten Wohnungsmärkte entlastet werden. Aber das ist leichter gesagt als getan. Denn nach wie vor gibt es viele staatlich verursachte Hemmnisse durch überhöhte Bauvorschriften. Immer strengere Normen verteuern das Bauen (Grafik 3)
Mit Blick auf die Klima- und Energiepolitik wird erwartet, dass der Wohnungsbau einen wichtigen Beitrag zur Problemlösung leistet. Und: Zu Recht haben wir in Deutschland hohe Erwartungen an eine hochwertige qualitätvolle Bau- und Planungskultur. Die Konsequenzen sind höhere Mietpreise. Wenn die Kosten am Bau Mieten von 10 bis 12 €/m² erfordern und die Mehrzahl der Wohnungssuchenden für ihre Wohnung nur 6,- € bezahlen wollen oder können, löst der oft zitierte Slogan „ Bauen – Bauen – Bauen“ alleine das Problem am Wohnungsmarkt nicht.
Was jetzt hilft – und was jetzt bremst
Und zu glauben, dass die massive Erhöhung der finanziellen Mittel für den Sozialen Wohnungsbau die richtige Lösung ist, bezweifle ich. Hier teile ich die Auffassung des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsminister, der die sehr hohe Förderung des Sozialen Wohnungsbaus öffentlich kritisiert. Fehlbelegungen und damit eine Fehlleitung von Subventionen sind die Folge.
Intelligenter, sozial gerechter und günstiger für den Steuerzahler wäre es, das Wohngeld für Menschen mit geringem Einkommen auszubauen und auslaufende Belegungsbindungen im sozialen Wohnungsbestand zu kaufen oder durch Prämien zu verlängern.
Auf irgendwelche vielleicht noch so gut gemeinte, regulierende und in den Markt eingreifende Strangulierungen wie die Mietpreisbremse sollte verzichtet werden. Sie werden keine Mengenprobleme lösen. Im Gegenteil: Sie verschärfen in vielen Fällen die Situation, da sich zusätzlich Wohnungssuchende mit der Illusion auf den Weg in die mit einer Mietpreisbremse belegten Städte machen, in dem Glauben, eine preisgünstige Wohnung zu erhalten.
Grundsteuerreform: Chance für einfaches Steuerrecht
Die anstehende Reform der Grundsteuer ist eine einmalige Chance für eine radikale Vereinfachung des Steuerrechts. Diese Chance sollte unter Beibehaltung des kommunalen Hebesatzrechts genutzt werden. Das Flächenmodell, nach dem Grundstücks- und Gebäudeflächen als Bemessungsgrundlage herangezogen werden, ist dafür hervorragend geeignet. Auf aufwändige regelmäßige Wertermittlungen kann verzichtet werden.
Die Umlagefähigkeit der Grundsteuer verbieten zu wollen, ist der durchsichtige Versuch durch die Hintertür die Grundsteuer zu einer Vermögenssteuer zu machen. Dies führt letzten Endes bei der Kaltmiete zu Mieterhöhungen. Vermieter werden versuchen, die Grundsteuer in die Miete einzukalkulieren, damit sie nicht auf den zusätzlichen Kosten sitzenbleiben. Wohnungssuchenden und Mietern ist damit nicht gedient.
Grundsteuer C: Wirkungslos und überholt
Auch die im Zusammenhang mit der Grundsteuerreform diskutierte Grundsteuer C wird nicht zur Problemlösung beitragen. Sie ist aus mehreren Gründen der falsche Weg. Sie hat übrigens auch mit Vereinfachung nichts zu tun. Nach Einführung in den 1960er-Jahren wurde sie schnell als wirkungslos erkannt und daher bereits nach zwei Jahren wieder abgeschafft.
Der Versuch, durch Regulierung und staatliche Bevormundung den Wohnungsmarkt beeinflussen zu wollen, offenbart eine gewisse Ohnmacht bei der Suche nach einer Problemlösung.
Es ist besser, die Fenster am Wohnungsmarkt zu öffnen, als sie durch neue Bürokratie zu schließen.
Die bedrohliche Entwicklung am Wohnungsmarkt wurde von Wenigen vorausgesehen.
Für viele ist Großstadtwohnen inzwischen unbezahlbar geworden.
Über den Autoren
Peter Götz ist Mitglied im Politischen Beirat des BFW Bundesverbandes Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen. Von 1990 bis 2013 war er Mitglied des Deutschen Bundestages. Als Kommunalpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Beauftragter für Bau und Stadtentwicklung im Bauausschuss des Bundestages gehörten die Stadtentwicklungs-, Wohnungs- und Immobilienpolitik zu seinen Aufgabenschwerpunkten.
16 Jahre lang war der frühere Bürgermeister Bundesvorsitzender der Kommunalpolitischen Vereinigung der CDU und CSU Deutschlands. Heute ist er deren Ehrenvorsitzender.
Ferner war Götz bis 2014 Präsident des Board of Directors der Global Parliamentarians on Habitat (GPH), einer internationalen Parlamentarierorganisation, die eng mit UN-Habitat zusammenarbeitet. Als Präsident des Advisory Council der GPH und Co-Chair des Executive-Committee der General Assembly of Partners (GAP) der Vereinten Nationen beschäftigt er sich nach wie vor weltweit mit Stadtentwicklungsthemen.