Zwischen Stagnation und Aufbruch
Der europäische Rechtsrahmen für Bauprodukte
Europa soll eine „gemeinsame Sprache“ sprechen, wenigstens bei den Bauprodukten. Dies ist das Konzept der EU-Bauproduktenverordnung (Verordnung (EU) Nr. 305/2011; EU-ABl. L 188 v. 4.4.2014, S. 5). Sie will die freie Handelbarkeit von Bauprodukten dadurch gewährleisten, dass Hersteller in Bezug auf bestimmte Wesentliche Merkmale in standardisierter Weise zuverlässige Informationen liefern, also sich einer „gemeinsamen Sprache“ bedienen müssen.
Hierfür muss der Hersteller eines Bauproduktes, für das es eine harmonisierte europäische Norm (hEN) gibt, eine Leistungserklärung erstellen (Art. 4 (1)) und es mit der CE-Kennzeichnung versehen (Art. 9). Die Leistungserklärung muss dem Bauprodukt im Handel beiliegen oder nach bestimmten Konditionen im Internet abrufbar sein (Art. 7 (3) und Delegierte Verordnung (EU) Nr. 157/2014).
Um welche Informationen es geht und auf welche Weise sie zu ermitteln sind, ist in harmonisierten europäischen Normen (hEN) niedergelegt (konkret im Anhang ZA). Dabei müssen Hersteller nicht zu allen in der Norm aufgeführten Wesentlichen Merkmalen eine Leistung deklarieren, sondern lediglich zu mindestens einem solchen Merkmal (Art. 6 (3) c). Ansonsten muss „no performance determined“, abgekürzt „NPD“, also „keine Leistung ermittelt“ angegeben werden (Art. 6 (3) f).
Eine Ausnahme gilt für den Fall, dass ein Hersteller zielgerichtet anstrebt, sämtliche in einem Mitgliedstaat in den Anwendungsbereich einer Norm fallenden Anforderungen an Bauwerke abzudecken. In diesem Fall muss er alle diesbezüglich relevanten Leistungsangaben machen (Art. 6 (3) e). Zu beachten ist schließlich, dass der Hersteller zu Produkteigenschaften außerhalb der Leistungserklärung nur dann positiv etwas sagen darf, wenn er zu dem relevanten Merkmal auch innerhalb der Leistungserklärung eine Angabe gemacht hat (Art. 4 (2)).
Wenn eine harmonisierte Norm für ein Bauprodukt kein oder kein geeignetes Prüfverfahren enthält oder wenn es keine solche Norm gibt, gibt es einen zweiten Weg zu europäischer Leistungserklärung und CE-Kennzeichnung. Ein Hersteller kann bei einer Technischen Bewertungsstelle – in Deutschland beim DIBt – eine Europäische Technische Bewertung (ETB) beantragen. Die ETB wird auf der Grundlage eines in der Europäischen Organisation der Technischen Bewertungsstellen (EOTA), in der alle Bewertungsstellen Mitglied sind, abgestimmten Europäischen Bewertungsdokumentes (EAD) ausgestellt.
Wohlgemerkt: dieser Weg ist freiwillig. Das bedeutet, ein Hersteller kann eine ETB beantragen und die Behörden der Mitgliedstaaten müssen sie anerkennen. Amtlicherseits verlangt werden kann eine Nachweisführung über eine ETB indessen nicht.
Die Leistungserklärung bedeutet nicht, dass das Bauprodukt mit der angewendeten Norm übereinstimmt. Ihr Erklärungswert beschränkt sich vielmehr auf die Aussage, dass die erklärten Leistungen korrekt – also nach hEN oder ETB – ermittelt wurden. Für die Beschaffung von Bauprodukten bedeutet dies, dass festgelegt werden muss, zu welchen Leistungsmerkmalen Angaben nötig sind. Dies wiederum ergibt sich aus den bautechnischen Notwendigkeiten eines bestimmten Bauprojektes, zu denen auch – aber nicht nur – das zählt, was in den Landesbauordnungen oder etwa in den Ausschreibungsbedingungen öffentlicher Stellen niedergelegt ist.
Ggf. sind neben dem, was in der Leistungserklärung angegeben werden kann, weitere Produktinformationen nötig. Dies kann etwa der Fall sein, wenn eine hEN oder eine ETB eine Produkteigenschaft nicht als Wesentliches Merkmal qualifiziert oder für sie kein Prüfverfahren vorhält. Solche Informationen muss der Hersteller bereitstellen, damit die bestehenden landesbauordnungsrechtlichen Anforderungen erfüllt werden können und auch um selbst zivilrechtliche Haftung zu vermeiden.
Weitere Vorschriften
Das von der Bauproduktenverordnung errichtete Informationssystem wird von einer Reihe weiterer Vorschriften flankiert und unterstützt. Einige sollen hier genannt werden:
Die Grundanforderungen an Bauwerke (Art. 3, Anhang I) gelten nicht unmittelbar. Sie geben vielmehr nur den Rahmen zur Qualifizierung von Produkteigenschaften als „Wesentliche Merkmale“ vor. Die Befugnis zur Regelung von Bauwerksanforderungen liegt dagegen nach wie vor bei den Mitgliedstaaten.
Die Kommission legt Systeme der Bewertung und Überprüfung der Leistungsbeständigkeit von Bauprodukten fest (Art. 28). Diese Konformitätsbewertungssysteme sehen in unterschiedlichen Settings eine werkseigene Produktionskontrolle sowie die Einschaltung von Drittstellen vor.
Die Initiative zur Erarbeitung von harmonisierten Normen geht von der Kommission aus. Sie beauftragt durch Mandate bzw. Normungsaufträge die europäischen Normungsorganisationen CEN bzw. CENELEC. Soweit hEN nicht in Übereinstimmung mit dem Mandat sind, sieht die Bauproduktenverordnung die Möglichkeit formaler Einwände vor (Art. 18). Ein formaler Einwand ist auch gegen EAD möglich (Art. 25).
Vorschriften zur Marktüberwachung (Art. 56-59) sind der Schlussstein des europäischen (Bau-) Produktrechts.
Umsetzung des EuGH-Urteils vom
16. Oktober 2014
Kein Beitrag zur Bauproduktenverordnung ohne Erwähnung des 2014 gegen Deutschland ergangenen EuGH-Urteil (Rs. C-100/13). Der Gerichtshof hatte in verwaltungsmäßigen Zusatzanforderungen an CE-gekennzeichnete Bauprodukte in Form von Zulassungen und dem deutschen Ü-Zeichen einen Verstoß gegen die Bauproduktenrichtlinie erkannt.
In der Folge haben die Länder Novellen der Landesbauordnungen auf den Weg gebracht und das bautechnische Regelwerk umgestellt. Einzelheiten finden in diesem Beitrag leider keinen Platz (Näheres: https://www.dibt.de/de/DIBt/DIBt-EuGH-Urteil.html).
Offen ist zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Beitrages, wie inhaltlich mit den hierzu bereits eingegangenen Stellungnahmen von Kommission, anderen Mitgliedstaaten und Wirtschaftsakteuren umgegangen werden sollte. Die Frage nach der Möglichkeit von Rahmenbedingungen für freiwillige Herstellerangaben in Ergänzung zur Leistungserklärung ist – neben anderem – auch hier ein Kernthema.
Ausblick
Das Bauproduktenrecht ist in Bewegung. Zurzeit werden die Verfahren der harmonisierten Normung kritisch geprüft und auf Beschleunigungspotential ausgelotet. Die Normen sollen gerade auch im Hinblick auf erkannte Mängel und Lücken zügig überarbeitet werden. Auch das deutsche Regelwerk bedarf – gerade auch nach der im Zuge der Urteilsumsetzung erfolgten Neuaufstellung – weiterer Anpassung und Fortschreibung. Auch das Verhältnis von nationalem Bauwerksrecht und europäischem Produktrecht ist weiter zu klären. Einen Beitrag hierzu liefern die von Deutschland im August 2015 eingelegten formalen Einwände gegen sechs harmonisierte Normen, über die die Kommission leider noch immer nicht entschieden hat. Vielleicht wird hier auch ein weiterer Richterspruch benötigt, um alle offenen Fragen zu klären.
Mit Blick auf die Zukunft des Binnenmarktes sollten nun Kommission und Mitgliedstaaten gemeinsam und mit Augenmaß die Handlungsoptionen prüfen. Ein Angebot im Rahmen des geltenden Rechts haben die Länder mit ihrer Urteilsumsetzung gemacht: Weg mit nationalen Zulassungen und Zeichen, hin zu Bauwerksanforderungen. Europäisch wäre dann aber anzuerkennen, dass die Harmonisierung nur step by step arbeiten kann. Ein einheitliches Format für ergänzende Angaben – neben der freiwilligen ETB – könnte womöglich beim Bauen die nötige Rechtssicherheit schaffen und zugleich gute Informationen über den realen Bedarf für die weitere Harmonisierung liefern.
Mittelfristig stellt sich – trotz aller aktuellen Probleme im Bereich der Harmonisierung – die Frage, ob es überhaupt noch nationale Nachweis- und Kennzeichnungssysteme geben soll. Den Rechtsrahmen für eine Nachweisführung für Produkteigenschaften für alle Bauprodukte mit dem CE-Zeichen zu schaffen und dabei zugleich sicheres und umweltgerechtes Bauen zu gewährleisten, wäre eine angemessene heutige Zielstellung im Geiste der europäischen Einigung.
Dr. Bernhard SchneiderBundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und ReaktorsicherheitReferat B I 2 – Europäische Harmonisierung technischer Baubestimmungen, Bauproduktenrecht