Gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung und die Ukraine
Stadtentwicklung ist auch in internationalen Kreisen ein Thema im Aufwind. Vieles, was uns planerisch und politisch täglich beschäftigt, ist auf das Engste mit der Frage verbunden, wie unsere Städte gesellschaftlich, politisch, aber auch räumlich zu einer Antwort auf globale Zukunftsfragen beitragen können. Diese Erkenntnis hat im Jahr 2022 bei der Staatengruppe der sieben weltweit führenden Wirtschaftsnationen – den G7 – erstmalig dazu geführt, sich mit den Fragen einer partizipativen, gemeinwohlorientierten und nachhaltigen Stadtentwicklung zu befassen.
Unter deutscher Präsidentschaft richtete Bundesbauministerin Klara Geywitz Mitte September in Potsdam das erste G7-Ministertreffen zur Stadtentwicklung überhaupt aus und beriet gemeinsam mit den USA, Kanada, Frankreich, Italien, Großbritannien, Japan und der EU darüber, was die stadtentwicklungspolitischen Prioritäten der G7 sind. Das Ergebnis dieser Beratungen wurde in einem Abschlusskommuniqué zusammengefasst und von den G7-StadtentwicklungsministerInnen verabschiedet (Abruf online unter https://www.bmwsb.bund.de/Webs/BMWSB/DE/g7-ministertreffen/G7-Artikel.html).
Neue Form der Zusammenarbeit in der Stadtentwicklungspolitik
Die programmatische Vorlage zu dieser völlig neuen Form der Zusammenarbeit in der Stadtentwicklungspolitik lieferte das deutsche G7-Präsidentschaftsprogramm. Es erschien am 21. Januar 2022 und enthielt, unter Bezugnahme auf die Ziele der Neuen Leipzig-Charta, an prominenter Stelle zentrale gesellschafts- und umweltpolitische Erwartungen an eine Stadtentwicklungspolitik der G7. Nur fünf Wochen nach der Programmveröffentlichung wurde die internationale Staatengemeinschaft mit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine konfrontiert. Fortan musste die deutsche G7-Präsidentschaft sich mit den Folgen dieses Krieges und einer Antwort der Staatengemeinschaftauf die russische Aggression widmen.
Wie tiefgreifend auch Stadtentwicklungspolitik mit globalen Krisen und dem Krieg in der Ukraine verflochten ist, zeigte sich sogleich beim erstmaligen Treffen der G7 Stadtentwicklungsminister:innen: Neben ihren G7-Staaten-Kolleg:innen lud Bundesbauministerin Klara Geywitz auch ihren ukrainischen Kollegen, Minister für Regionalentwicklung und Kommunen der Ukraine, Oleksiy Chernyshov, zur Sitzung nach Potsdam ein. Dieser schilderte eindrücklich, mit welchen Problemen die Ukraine auch jenseits des „engeren Kriegsgeschehens“ im Süden und Osten und den inzwischen wieder befreiten Gebieten im Norden des Landes konfrontiert ist. So sind die Zerstörung ziviler Infrastruktur in der ganzen Ukraine, die Unterbringung von mehr als 6,5 Millionen Binnenflüchtlingen, die Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit des Landes und der Umgang mit vielen vom Krieg traumatisierten Menschen Aufgaben, die das Land unabhängig von den Kampfhandlungen herausfordern.
Der Minister stellte Inhalte, Ziele und Instrumente des Programms „Rapid recovery for survival“ vor. In Fortsetzung der vor dem Krieg begonnen Dezentralisierungsstrategie der Ukraine stellt die Strategie auch die besondere Bedeutung der kommunalen Ebene für die Lösung der Aufgaben in den Mittelpunkt. Mit dem Anspruch, Kommunen für den Umgang mit diesen Herausforderungen angemessen auszustatten und finanzielle Ströme transparent (und damit „korruptionsfest“) zu organisieren, leistet der „Rapid recovery plan“ auch einen Beitrag, um die Ukraine auf dem Weg in die EU zu stärken.
Auch im „Krisenmodus“ eint die sieben Staaten die politische Überzeugung, nach der Städte die Träger einer kommunal selbstbestimmten Stadtentwicklung sind. Auch herrscht die gemeinsame Auffassung, dass man Stadtentwicklung „vom Bürger und vom Quartier her“ denken und mit aufeinander abgestimmten Politikansätzen auf Meso- und Makroebene begleiten und aktiv fördern sollte, bei allen Unterschieden in der Praxis. Und als Wertepartner bekennen sich die G7 auch zu einer partizipativen Stadtentwicklungspolitik: Die partizipative Gestaltung der „direkten Lebenswirklichkeit“ der Menschen (vgl. Politische Schwerpunkt der deutschen G7-Präsidentschaft 2022) verdeutlicht den Wert der demokratischen Teilhabe und stärkt die pluralistische Gesellschaft.
Das Kommuniqué der G7 Stadtentwicklungsminister:innen beschreibt vier zentrale Aufgaben: den gerade begonnenen G7-Prozess fortzuführen, die Kommunen darin weiterhin und noch intensiver einzubinden, die Möglichkeiten des gemeinsamen Handelns der G7 in der internationalen Stadtentwicklung weiter auszuloten und das Leitthema der Resilienz strategisch weiterzuverfolgen. Den erstgenannten Beschluss setzte der japanische Minister noch auf dem Ministertreffen umgehend um und gab bekannt, den Urban Development Track im Rahmen der japanischen Präsidentschaft 2023 fortzusetzen.
Damit leistet der neue G7 „Urban Development Track“ einen Beitrag, um eine partizipative und gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung als Aufgabe der internationalen Gemeinschaft zu verankern. Wie wichtig die Bundesregierung diese Aufgabe nimmt, belegt die Teilnahme von Bundeskanzler Olaf Scholz am Treffen der Stadtentwicklungsminister:innen. Damit werden die Ambitionen Deutschlands in diesem Politikfeld unterstrichen.
Nationale und international Gemeinschaftsaufgabe
Das BMWSB wird diesen Prozess weiter aktiv mitgestalten. Dafür werden die internationalen Aktivitäten des Hauses ausgebaut und eine neue Struktur innerhalb des Ministeriums aufgebaut. Ziel ist es dabei auch, die deutsche Praxis der Stadtentwicklungspolitik durch internationale Erfahrungen in die Lage zu versetzen, schneller auf neue Herausforderungen zu reagieren. Einen besonderen Wert legt das BMWSB dabei darauf, die Partner der Nationalen Stadtentwicklungspolitik – Länder und kommunale Spitzenverbände – aktiv in die internationale Arbeit einzubinden. Stadtentwicklungspolitik ist national und international eine Gemeinschaftsaufgabe.