Impulse aus Europa
Wie kann der bauliche Bestand unserer Städte geschützt und weiterentwickelt werden, und wie kann er auf die Anforderungen unter anderem des demographischen und des Klimawandels reagieren? Mit Fragen wie diesen befasste sich die Partnerschaft der Urbanen Agenda für die EU und rückte Kultur und kulturelles Erbe als Ressource und Entwicklungspotenzial der Stadtentwicklung in den Fokus.
Dabei beschäftigten sich die europäischen Partnerinnen und Partner mit zentralen Aufgaben unserer aktuellen Stadtentwicklung – zum Beispiel damit, wie das baukulturelle Erbe vor dem Hintergrund der Flutkatastrophe 2021 auch zukünftig einen positiven Beitrag zur urbanen Resilienz leisten kann und wie wir die Potenziale des sog. unbequemen Erbes aktiv nutzen können.
Am Ende des Prozesses stellt die Partnerschaft nun wertvolle Erkenntnisse, Produkte und Werkzeuge vor und bietet konkrete Hilfestellungen für die lokale Praxis.
Kultur und Baukultur prägen das Leben in unseren Städten maßgeblich. Doch wie gehen wir mit dem wichtigen kulturellen Erbe um? Wie schützen wir es und entwickeln es weiter? Und wie nutzen wir seine vielfältigen Potenziale? Die Partnerschaft „Kultur und kulturelles Erbe“ (2019-22) in der Urbanen Agenda für die EU, koordiniert von Deuschland (BMWSB) und Italien, hat Kultur und das (bau)kulturelle Erbe als bedeutende Ressource der Stadtenwicklung auf europäischer Ebene stärker in den Fokus gerückt.
Um dafür konkrete Lösungsansätze, Instrumente und Handlungsempfehlungen zu erarbeiten, hat die Partnerschaft besonders relevante Arbeitsfelder in elf Maßnahmen vertieft. Viele dieser sog. „Aktionen“ berühren zentrale Aufgaben unserer aktuellen Stadtentwicklung. Die Bearbeitung von zwei Aktionen lag im besonderen deutschen Interesse: Das bessere Zusammenwirken von Kulturerbe- und Risikomanagement und der Umgang mit dem sog. unbequemen Erbe.
Integrierte Ansätze für das Risikomanagement des baukulturellen Erbes
Das baukulturelle Erbe prägt nicht nur das unverwechselbare Stadtbild vieler Orte, sondern leistet seit jeher einen wesentlichen Beitrag zur Resilienz der gebauten Umwelt. Doch die Folgen des gesellschaftlichen und des Klimawandels bedeuten neue Anforderungen für den Erhalt und Schutz dieses Erbes. Zudem zeigt sich, dass das Bewusstsein von Kulturerbe- und Risikomanagement für die Belange der jeweils anderen Fachdisziplin oft noch sehr schwach ausgeprägt ist.
Hier setzen die Aktion sowie das begleitende Forschungsprojekt im Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR, www.bbsr.bund.de) an.
Iterative Vorgehensweise und gemeinsame
Entscheidungs- und Zielfindung sind Schlüssel
Kommunen und ihre Verwaltungen sind beim Risikomanagement von zentraler Bedeutung. Denn sie sind Mittlerinnen zwischen verschiedenen Akteurinnen und Akteuren und können neue Wege gemeinsamen Handelns gestalten, sie schaffen wichtige Datengrundlagen und treffen Entscheidungen.
Unvorhergesehenes spielt eine große Rolle – „absolute Sicherheit“ gibt es nicht. Umso wichtiger ist es, mit dem sog. All-Gefahren-Ansatz alles in den Blick zu nehmen. Der dynamische Prozess erfordert auch ein iteratives Vorgehen: Neue Erkenntnisse müssen laufend einfließen, Schritte ggf. wiederholt und Handlungsansätze sowie Entscheidungen dauernd überprüft werden. Da insbesondere kleinere Gemeinden oft nur über begrenzte finanzielle und personelle Ressourcen verfügen, sind neue Governance-Ansätze erforderlich, die relevante Akteurinnen und Akteure sowie die Stadtgesellschaft einbeziehen.
Ein Guidance Paper (auf Englisch) sowie ein kommunaler Handlungsleitfaden werden hierzu Vorgehensweisen und leitende Prinzipien auf europäischer und nationaler Ebene vorstellen (Erscheinung Frühjahr 2023).
Mit integrierten Ansätzen Potenziale des
unbequemen Erbes erschließen
Diese Aktion setzt sich mit der Frage auseinander, wie mit integrierten Ansätzen Potenziale des sog. unbequemen Erbes für die Gesellschaft sowie die Stadt- und Regionalentwicklung genutzt werden können. Der Fokus liegt hierbei auf dem Erbe des 20. Jahrhunderts in kleineren und peripheren Orten. „Integriert“ bezieht sich z.B. auf die koordinierte Zusammenarbeit aller relevanten Ebenen, insbesondere die Verknüpfung von Stadtplanung mit Sektoren wie Bildung, Tourismus und Kultur.
Das unbequeme Erbe umfasst Stätten, die von der Gesellschaft mit negativen Assoziationen belegt sind oder als politisch und ethisch belastet wahrgenommen werden. Dazu gehören bspw. bauliche Zeugnisse des Krieges sowie der Verfolgung, Kolonialisierung oder Propaganda.
In einem Forschungsvorhaben des BBSR wurden Umfragen, Fallstudien und Experteninterviews durchgeführt, ebenso fanden ein internationaler Expertenworkshop und ein öffentliches Online-Forum statt. Die Ergebnisse sind in einem Orientierungspapier auf www.dissonant-heritage.eu (auf Englisch) veröffentlicht. Bis 2024 wird ein Werkzeugkasten für die lokale Praxis entwickelt.
Schwieriges Erbe erfordert ständiges Aushandeln und kann Inklusion stärken
Das unbequeme Erbe ist wichtiger Bestandteil unserer Geschichte und unseres Kulturerbes. „Unbequem“ ist dabei kein inhärentes Merkmal, sondern immer vor dem Hintergrund gesellschaftlicher, politischer und historischer Verhältnisse zu verstehen.
Der Umgang mit diesem Erbe erfordert Sensibilität und die Bereitschaft, sich mit mehrdeutigen und oftmals konkurrierenden Sichtweisen und Interpretationen auseinanderzusetzen, die eigene Wahrnehmung zu reflektieren und diese ggf. anzupassen. Dieser ständige (Aushandlungs-)Prozess leistet einen wichtigen Beitrag zur Stärkung von Demokratie und Weltoffenheit.
Urbane Agenda (UAEU) ermöglicht Diskurs auf Augenhöhe
Die UAEU erlaubt Städten, ihre Problemlagen und Bedürfnisse aktiv zu adressieren und direkt an europäischen Entscheidungsprozessen mitzuwirken. Dabei sollen neue Wege eingeschlagen werden, und alle relevanten Akteurinnen und Akteure sitzen an einem Tisch: die Europäische Kommission, Mitgliedsstaaten, Regionen und Städte. Aus der intensiven Arbeit haben sich wertvolle „Netzwerke von Netzwerken“ entwickelt. Das Bundesbauressort hat sich u.a. in die Partnerschaften „Energiewende“, „Digitale Wende“, „Städtische Armut“ und „Kultur und kulturelles Erbe“ eingebracht.
Schlussfolgerungen für Umgang mit Kulturerbe und dessen Weiterentwicklung
Die letztgenannte Partnerschaft hat aus ihrer Arbeit zahlreiche Empfehlungen abgeleitet, darunter:
– Die Einzigartigkeit europäischer Städte lässt sich nur sichern, wenn Kultur und das kulturelle Erbe als wichtige Standortfaktoren sektorenübergreifend gepflegt und weiter entwickelt werden. Der gewissenhafte Umgang mit dem baulichen Bestand muss Ausgangspunkt einer nachhaltigen und integrierten Stadtentwicklung sein.
– Kultur und Kulturerbe stärken unsere Städte: Sie bilden die europäische Identität ab, verknüpfen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und beeinflussen unsere Lebensqualität maßgeblich. Darüber hinaus stellt das baukulturelle Erbe heute mehr denn je unter Beweis, dass es flexibel nutzbar, anpassungsfähig und ressourcensparend ist. Es leistet somit einen wichtigen Beitrag dafür, unsere Städte resilient zu machen, etwa gegen Bedrohungen wie den Klimawandel, Pandemien oder mililärische Konflikte.
– Kultur und Kulturerbe prägen unsere öffentlichen Räume als komplexe und vielschichtige Orte sozialer Interaktion, an denen grundlegende demokratische Werte gelebt und gestärkt werden können.
Die Städtebauförderung von Bund und Ländern bietet direkte Anknüpfungspunkte, um diese Erkenntnisse anzuwenden: Sie ist ein wichtiges Instrument bei der Umsetzung integrierter Ansätze, für die Förderung des Bestands und des baukulturellen Erbes sowie für die Anpassung an den Klimawandel.
Weiterführende Informationen & Kontakt
Internetpräsentation des BMWSB und Anmeldemöglichkeit zum Newsletter: www.bmwsb.bund.de
Online-Plattform „Futurium“ der Europäischen Kommission: www.futurium.ec.europa.eu
E-Mail-Kontakt: