200 Mio. Euro: Das Land Hessen stockt Eigenkapital der Nassauischen Heimstätte | Wohnstadt auf

Klimaziele flexibel umsetzen

Um 200 Mio. Euro hat das Land Hessen als Mehrheitseigentümer das Eigenkapital der Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte | Wohnstadt Ende 2020 aufgestockt. Das Geld investiert Hessens größtes Wohnungsunternehmen in die energetische Modernisierung seiner Bestände. Über 3.000 Wohnungen werden so mittelfristig fit für die Zukunft gemacht. Preissteigerungen, fragile Lieferketten, fehlende Baustoffe und der Mangel an Fachkräften stellen als Folgen der Pandemie und des Ukraine-Konflikts jedoch immense Herausforderungen dar. Um dennoch den größtmöglichen Nutzen zu erzielen, bedarf es innovativer Lösungen und einer angepassten Umsetzungsstrategie.

200 Millionen Euro hat das Land Hessen der Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte | Wohnstadt (NHW, www.naheimst.de) im Zuge einer Eigenkapitalerhöhung Ende 2020 zur Verfügung gestellt. Hintergrund ist die Zielvereinbarung für einen klimaneutralen Gebäudebestand, die die NHW als erstes Wohnungsunternehmen 2019 mit dem Land unterzeichnet hatte. Mit dem Budget, aufgestockt um Fördermittel und Eigenkapital, sollten zunächst bis 2025 insgesamt circa 3.800 Wohneinheiten in 16 Quartieren energetisch modernisiert werden. Seit den enormen Preis- und Finanzierungssteigerungen müssen allerdings sowohl der Zeitraum als auch die Zahl der Vorhaben ständig angepasst und optimiert werden.

Inzwischen werden die ursprünglichen Planungen bis voraussichtlich 2027 weitergeführt. An vielen Stellen ist die NHW aber auch schon in der Umsetzungsphase – aktuell etwa „Am Hirschsprung“ in Dreieich und in der Offenbacher Carl-Ulrich-Siedlung. „Dabei haben wir den Klimaschutz fest im Blick, denn der Gebäudesektor muss zwingend CO2-neutral werden“, so Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir, zugleich auch Aufsichtsratsvorsitzender der Nassauischen Heimstätte. „Jede Sanierung hilft nicht nur dem Klima, sondern sorgt auch dafür, dass die Mieterinnen und Mieter weniger für Heizen und Warmwasser bezahlen müssen.“ Den Wohnungsbestand krisensicher und damit unabhängig von fossilen Energien zu machen, ist ein Aspekt, der angesichts explodierender Kosten in diesem Bereich immer stärker in den Fokus rückt. Für NHW-Geschäftsführerin Monika Fontaine-Kretschmer ist die Erhöhung des Eigenkapitals ein substanzieller Beitrag, um die geplanten Maßnahmen in den nächsten Jahren finanzieren zu können. „Für jede Wohnung, die wir auf diese Weise modernisieren, reduzieren wir den Verbrauch um 60 bis 80 Prozent. Pro Jahr und Wohnung macht das 1,75 Tonnen CO2 aus.“ 

Gemeinsamer Kraftakt

Um das ambitionierte Ziel bis 2045 zu erreichen, müssen jedoch alle an einem Strang ziehen – die Wohnungswirtschaft, die Politik, die Industrie, die Unternehmen sowie die Mieterinnen und Mieter selbst. Teamwork ist gefragt! Denn: Das beste dank finanzieller Förderung CO2-optimierte Gebäude nützt nichts, wenn sich die Bewohner im Alltag nicht auch umweltfreundlich und energiebewusst verhalten. Darum bietet die NHW regelmäßig Informationen und Beratungen rund um energiesparendes Heizen und Lüften an. Zudem wurden im Energiekrisen-Winter 2022/23 hochwertige Thermo-Hygrometer-Kombigeräte an 10.000 Haushalte ausgegeben. Die mitverteilte Fachinformation leitete zu richtigem, energiesparendem und Schimmel vermeidendem Heizen an.

Doch wie gehen umfassende Modernisierung, bezahlbarer Wohnraum und Wirtschaftlichkeit der Unternehmensgruppe zusammen? „Im Zuge der umfangreichen Arbeiten wird eine moderate Mieterhöhung unausweichlich sein“, gibt Fontaine-Kretschmer klar zu verstehen, „jedoch ohne die Mieterinnen und Mieter über Gebühr zu belasten.“ Um der Verantwortung als sozial orientierter Bestandshalter gerecht zu werden, stehe für die Unternehmensgruppe stets eine faire und sozialverträgliche Mietpreisgestaltung im Vordergrund. Aus sozialen Gründen wird nur ein Bruchteil der tatsächlichen Modernisierungskosten auf die Miete umgelegt. Die Mieterschaft profitiert von einem erhöhten Wohnkomfort und modernen Standards. Damit dieser Kraftakt gelingt, muss die Förderkulisse allerdings deutlich verbessert und verstetigt werden. „Wir brauchen Planbarkeit über mehrere Jahre, da wir unsere Investitionen sonst immer wieder auf den Prüfstand stellen oder Projekte streichen müssen“, so Fontaine-Kretschmer.

Realisierbare Planung trotz Zielkonflikten?

Alle Maßnahmen der NHW sind darauf ausgerichtet, größtmögliche CO2-Ersparnis zu erzielen. Neben den Mitteln aus der Erhöhung des Eigenkapitals investiert die NHW kontinuierlich rund 50 Millionen Euro pro Jahr in die Modernisierung und Instandhaltung ihrer Bestände. Ein Fokus des aufgestellten Fünf-Jahres-Plans liegt auf der energetischen Modernisierung der Gebäude, die den größten Instandhaltungsrückstau und Energieverbrauch aufweisen. Schritt für Schritt werden Dächer und Fenster erneuert, Fassaden, Keller- und Dachbodendecken gedämmt sowie Balkone instandgesetzt. Auch die Anlagen zur Wärmeerzeugung werden nach der Modernisierung überwiegend mit Erneuerbaren Energien versorgt. In dieser Umstellung liegt der größte Hebel auf dem Weg zur Klimaneutralität.

Seit 2022 wirken sich jedoch die Folgen der Corona-Pandemie und des Ukraine-Krieges enorm auf die Planungen aus: weltweite Lieferengpässe, Fachkräfte- und Materialmangel, Preissteigerungen der Baustoffe um bis zu zehn Prozent. Insbesondere Energiepreise für Rohstoffe zur Fertigung von Bauprodukten sind deutlich teurer geworden – teils bis zu 70 Prozent. Die Krisen überlagern sich teilweise und lösen einen Domino-Effekt aus. So sind beispielsweise der Einsatz von Photovoltaik und Wärmepumpen für die Energiewende unumgänglich. Lange Wartezeiten – bei Wärmepumpen von bis zu einem Jahr – und Lieferprobleme auch von Ersatzteilen bei bereits installierten Geräten, verteuern diese Technik zusätzlich.

Ist das Material schließlich vorhanden, fehlt oftmals das nötige Know-how für Installation und Wartung. Experten schätzen, dass allein 60.000 Fachkräfte fehlen, die im Einbau von Wärmepumpen versiert sind. Außerdem leidet das Handwerk generell seit Jahren unter Nachwuchsproblemen. Nach Angaben des Zentralverbands des Deutschen Handwerks sind derzeit bundesweit über 250.000 Stellen unbesetzt. Verschärfend kommt hinzu, dass rund ein Viertel der gewerblichen Arbeitnehmer am Bau älter als 55 Jahre ist. Damit scheiden viele erfahrene und qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Berufsleben aus. Mit gravierenden Folgen: Die schon jetzt klaffende Lücke wird immer schwieriger zu schließen, deutschen Baustellen geht das Personal aus.

NHW zeigt Lösungswege auf

Dieses Zusammenspiel macht Neubau- und Modernisierungsprojekte für Wohnungsunternehmen als Auftraggeber und parallel auch für viele ausführende Baufirmen sowie Handwerker derzeit nur schwer kalkulierbar – sowohl zeitlich als auch finanziell. Insbesondere die steigenden Finanzierungskosten machen der Branche massiv zu schaffen. Die NHW sieht sich dank unterschiedlicher Strategien dennoch gut gerüstet: „Natürlich gibt es Probleme, die es zu lösen gilt. Flexibilität lautet das Gebot der Stunde. Hin und wieder müssen wir auch mal unkonventionelle Wege gehen“, beschreibt Karin Hendriks, Leiterin des NHW-Unternehmensbereichs Modernisierung und Großinstandhaltung, die Situation.

Unter anderem sei es denkbar, bei Lieferengpässen auf ein bestimmtes Produkt aus der unternehmenseigenen Standardbaubeschreibung zu verzichten, sofern das Alternativprodukt über die gleiche Qualität verfüge. Ein weiterer Weg, den Herausforderungen zu begegnen, sei die schrittweise Realisierung der Maßnahmen in einzelnen Abschnitten. Hinsichtlich der Terminierung gelte es ebenfalls, besonders agil zu agieren. Gegebenenfalls müssten Projekte auch verschoben und andere vorgezogen werden.

In diesem Kontext betont Hendriks die Verantwortung, die über das eigene Unternehmen hinausgeht: „Wir arbeiten mit vielen Firmen seit Jahren erfolgreich und vertrauensvoll zusammen. Somit ist es auch in unserem Interesse, dass Insolvenzen vermieden werden. Unsere soziale Orientierung betrifft nicht nur die Mieterschaft – Bestandteil unserer Firmenphilosophie ist auch der faire Umgang mit Partnern.“ Natürlich müsse immer mit Blick auf den Einzelfall entschieden werden, aber: „Wir sehen es als unsere Aufgabe an, unseren Partnern Sicherheit zu geben.“ Einen offenen Austausch und enge Kooperationen strebt die NHW auch bei Baufirmen und Generalunternehmern an. „Damit wir unsere Projekte möglichst wie geplant umsetzen können, sind wir auch für neue Geschäftspartner offen“, so Hendriks weiter.

Die energetische Modernisierung ist allerdings nur ein Baustein im umfangreichen Erneuerungsprogramm der NHW-Bestände. Rund 140 Millionen Euro hat Hessens größtes Wohnungsunternehmen 2021 in diesem Bereich investiert. „Dank unserer Klimastrategie haben wir seit 2019 durch Neubau und Modernisierung bereits eine CO2-Reduktion in unserem Portfolio von rund zehn Prozent erreicht“, fasst Monika Fontaine-Kretschmer zusammen. Auch für die Zukunft ist sie zuversichtlich: „Trotz aller widrigen Umstände werden wir das Gros unserer zukünftigen Vorhaben umsetzen. Allerdings werden wir den zeitlichen Korridor deutlich verlängern müssen. Für unsere Mieterinnen und Mieter ist es besser, wenn wir mit den vorhandenen Mitteln möglichst viele Wohnungen anpacken, anstatt die Modernisierung angesichts der aktuell enormen Preise und Finanzierungskosten auf weniger Objekte zu reduzieren. Außerdem hoffen wir zukünftig sowohl auf eine Erhöhung als auch eine größere Verlässlichkeit bei den Fördermitteln, um uns bestmöglich der monumentalen Aufgabe der Klimaneutralität im Bestand stellen zu können!“

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