Nachgefragt

„Nachhaltiges Handeln muss belohnt werden“

Georg J. Kolbe, Leiter Produktmarketing Putz- und Fassadensysteme bei der Saint-Gobain Weber GmbH, spricht im Interview über Potenziale und Hürden der Kreislaufwirtschaft.

Herr Kolbe, auf der BAU 2019 hat Saint-Gobain Weber das erste recyclingfähige Wärmedämm-Verbundsystem auf den Markt gebracht: weber.therm circle. Wie hat sich die Nachfrage in den vergangenen vier Jahren entwickelt?

Georg J. Kolbe: Die Nachfrage hat erfreulicherweise unsere Erwartungen deutlich übertroffen. Wir hatten ursprünglich damit gerechnet, dass weber.therm circle eine Nische besetzt, für die sich vorrangig sehr klimabewusste, idealistische private Hausbauer interessieren. Stattdessen erreichen uns viele Anfragen aus der Wohnungswirtschaft, die auch viel Wert auf Wirtschaftlichkeit legt. Inzwischen haben wir bereits zahlreiche Bauvorhaben realisiert. Die Projekte reichen vom Einfamilienhaus über Jugendzentren bis hin zu ganzen Wohnsiedlungen, wie etwa dem Speicherballett in Berlin. Der Gewinn des Innovationspreises von Vonovia war ein weiterer Meilenstein für unser ‘Zero Waste WDVS’.

Woher kommt das große Interesse der Wohnungswirtschaft Ihrer Meinung nach?

Georg J. Kolbe: Immer mehr Akteure der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft übernehmen gesellschaftliche Verantwortung für Klima- und Ressourcenschutz. Gleichzeitig spielen aber wirtschaftliche Überlegungen weiterhin eine wichtige Rolle bei der Entscheidung. Unsere kreislauffähige WDV-Lösung vereint wirtschaftliche Vorteile mit einer qualitativ hochwertigen und klimaschonenden Bauweise. Nachhaltige Immobilien und Quartiere sind langfristig wertstabil.

Einige politische und gesellschaftliche Entwicklungen begünstigen diese Entwicklung zusätzlich. Durch die EU-Taxonomie-Verordnung etwa werden mehr Unternehmen in die Pflicht genommen, die Klima- und Umweltauswirkungen Ihrer Geschäftstätigkeit zu veröffentlichen. Nachhaltiges Handeln ist nicht mehr nur schmückendes Beiwerk, sondern wird zum wichtigen Bewertungskriterium. Gleichzeitig wird die Transparenz erhöht und Greenwashing verhindert.

Sie sprachen die hohe Qualität an. Wärmedämm-Verbundsystemen waren vor einigen Jahren verstärkt in die Kritik geraten… 

Georg J. Kolbe: In der öffentlichen Debatte um WDVS wurden unterschiedliche Aspekte thematisiert. Neben dem Brandschutz stand etwa eine verstärkte Veralgung gedämmter Fassaden beziehungsweise die Verwendung von umweltschädlichen Bioziden zur Algenabwehr im Fokus der Medienberichterstattung. Einige Planer und Architekten gehen zudem davon aus, dass sich durch WDVS die Möglichkeiten der Fassadengestaltung verringern. Und schließlich wurde die fehlende Möglichkeit zur Trennung und zum Recycling der Verbundkomponenten beanstandet.

Saint-Gobain Weber hat die offenen Punkte Schritt für Schritt abgearbeitet. Mit weber.therm circle haben wir schließlich ein Wärmedämm-Verbundsystem entwickelt, das alle genannten Kritikpunkte beantwortet.

Können Sie das näher erläutern?

Georg J. Kolbe: Als vollmineralisches System der Baustoffklasse A1 ist es nicht brennbar. Die systemeigenen mineralischen AquaBalance-Oberputze schützen die Fassade langfristig gegen Algen- und Pilzbefall, ohne die Umwelt mit Bioziden zu belasten. Ebenfalls algenhemmend wirkt die äußerst solide Putzschicht von bis zu 25 mm Dicke, da sie Wärme besser speichert und daher schneller abtrocknet als dünnschichtige Putzlagen. Durch die robuste Putzschale ist weber.therm circle zudem wartungsärmer als dünnschichtige Systeme, denn sie sorgt für erhöhten Schutz gegen Schlagregen und mechanische Beanspruchungen und sichert einen guten Schallschutz. Der dickschichtige mineralische Putz erlaubt die Gestaltung der Fassade mit vielfältigsten Strukturen.

Zusätzlich zu diesen Vorteilen verfolgt weber.therm circle als erstes Wärmedämm-Verbundsystem konsequent den Ansatz der Rezyklierbarkeit. Alle Komponenten – Dämmstoff, Dübel, Gewebe und mineralische Putzmörtel – können sortenrein getrennt und der Wiederverwendung oder -verwertung zugeführt werden. Dies ist ein Meilenstein in der Geschichte der WDV-Systeme, denn bei der ursprünglichen Konzeption dieser Bauart spielte Trennung und Recycling keine Rolle.

Forscht Weber denn weiter an dem System?

Georg J. Kolbe: Angesichts der sehr positiven Resonanz entwickeln wir weber.therm circle natürlich stetig weiter. Sie dürfen also gespannt sein. Was das Recycling der Systembestandteile angeht, sind die Weichen bereits gestellt. Unser Ziel ist zunächst eine Wiederverwendung; nur, wenn diese nicht möglich ist, eine Wiederverwertung. Um beispielsweise die Putzmörtel wieder in den Kreislauf zu bringen, wird das rückgebaute Material durch einen Dienstleister aufbereitet und dann in unseren Werken wieder in die Produktion eingespeist. Allerdings steht uns hier aktuell noch nicht ausreichend Material zur Verfügung, denn die Lebensdauer von weber.therm circle beträgt immerhin rund 50 Jahre.

Ist die Kreislaufwirtschaft also noch nicht wirklich in der Baubranche angekommen?

Georg J. Kolbe: Die Nachfrage nach recycelten Materialien am Markt ist groß, aber sie kann aktuell nur bedingt befriedigt werden. Dass neue Rohstoffe im Einkauf für die Unternehmen noch günstiger sind als reycelte, unterstützt den Kreislaufansatz nicht. Es bleibt zu hoffen, dass sich hier etwas geändert hat, bis die ersten trennbaren WDV-Systeme wieder rückgebaut werden. Aber das öffentliche Bewusstsein für eine ganzheitliche Betrachtung von Produktlebenszyklen wächst. Eine Supermarktkette machte gerade vor, wie das gehen kann, indem sie einige Produkte real bepreist, also auch die verdeckten Umweltkosten mit in den Preis hineinrechnet.

Was erwarten Sie in dieser Hinsicht von der Politik?

Georg J. Kolbe: Unsere Politik muss sich trauen, die richtigen Anreize zu setzen. Subventionen und Vergünstigungen für Unternehmen, die nicht aus eigener Motivation wirtschaftlich und energiesparend agieren, führen letztlich in eine Sackgasse. Einige aktuell diskutierte Maßnahmen machen klimaschonende Produktion und Bauweisen unattraktiver.

Ihr Wunsch für die Zukunft?

Georg J. Kolbe: Statt Bilanzen schön zu rechnen, sollten wir mehr miteinander reden. Die beste Forschung ist nichts wert, wenn die Erkenntnisse nicht in die Praxis übertragen werden. Die Bauwende gelingt nur gemeinsam. Daher wünsche ich mir, dass alle Akteure – Politik, Wohnungswirtschaft, Architektenschaft, Handwerk und Industrie – sich einem gemeinsamen Ziel verschreiben: dem klimaverträglichen und ressourcenschonenden Bauen.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Steckbrief „weber.therm circle“

weber.therm circle ist das erste sortenrein rückbaubare Wärmedämm-Verbundsystem. Alle Komponenten des vollmineralischen, dickschichtigen Systems können sortenrein getrennt und wiederverwendet werden. Die Dämmplatten werden mechanisch – ohne Klebemörtel – mit Schraubdübeln auf dem Mauerwerk befestigt.

Zudem wird unter der Armierungsschicht eine so genannte Separationsschicht aufgebracht, bei der ein Gewebe in einen eigens entwickelten Separationsmörtel eingelegt wird. Dieses Gewebe wird beim Rückbau bahnenweise mitsamt dem Putz sauber abgezogen.

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