Deutscher Bundestag: Schweizer Architekten realisieren Besucherzentrum
Der überarbeitete Entwurf von Markus Schietsch Architekten und den Lorenz Eugster Landschaftsarchitektur, beides Schweizer Büros, hat überzeugt: Sie sollen das Besucher- und Informationszentrum des Deutschen Bundestags in Berlin planen.
Nachdem das Preisgericht im Wettbewerb für den Neubau des Besucher- und Informationszentrums des Deutschen Bundestages (BIZ) in Berlin Anfang November 2016 zwei erste Preise vergeben hatte, fiel nun die abschließende Entscheidung zugunsten des Entwurfes der Züricher Architekten Markus Schietsch mit Lorenz Eugster Landschaftsarchitektur. Ausgelobt und durchgeführt wurde der internationale offene zweiphasige Wettbewerb für Arbeitsgemeinschaften aus Architekten und Landschaftsarchitekten zum Bauvorhaben des Deutschen Bundestages vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) in enger Abstimmung mit dem Deutschen Bundestag, dem Bundesbauministerium (BMUB) und dem Land Berlin.
Erneut beweist dieses Verfahren: Wettbewerbe schaffen Qualität!
Der Anlass
Anlass für den Wettbewerb war der im November 2015 gefasste Beschluss des Deutschen Bundestages zum Bau eines neuen Besucher- und Informationszentrums. Der Neubau wird Angebote zur Information und Kommunikation sowie Gastronomie bereithalten und den sicherheitskontrollierten Zugang für Besucher des Reichstagsgebäudes ermöglichen. Die Entscheidung zu Realisierung und Standort des künftigen Besucher- und Informationszentrums ist in einem gemeinsamen Abstimmungsprozess von Bundestag und Bundesbauministerium mit dem Land Berlin nach umfangreichen Machbarkeitsuntersuchungen durch das BBR getroffen worden - ein höchst demokratischer Prozess.
Ein Rückblick
Der Beschluss des Deutschen Bundestages vom 20. Juni 1991, die Hauptstadtfunktion von Bonn nach Berlin zu verlegen, ist Geschichte. Das "Band des Bundes", der gekürte städtebauliche Wettbewerbsbeitrag von Axel Schultes und Charlotte Frank, ermöglichte ein Parlament der kurzen Wege. Mit einem Riegel, der die Spree zweimal in ost-westlicher Richtung überquert, wurden Ost- und West-Berlin gleichsam verklammert, die Teilung Deutschlands somit auch baulich überwunden.
Derzeit besuchen jährlich rund 2,4 Mio. Menschen aus dem In- und Ausland das Reichstagsgebäude - Tendenz steigend. Mit einem solchen Ansturm rechnete man in den neunziger Jahren nicht - auch nicht mit den seit dem 11. September 2001 notwendig gewordenen, sogar 2010 erhöhten Sicherheitsanforderungen. Kurzfristig musste ein provisorisches Sicherheitskontrollgebäude für den Besucherzugang errichtet werden, eine in vielerlei Hinsicht unbefriedigende Container-Lösung. Diese Situation wird sich mit dem Neubau des Besucher- und Informationszentrums ändern.
Konkrete Überlegungen zu dem Projekt reichen bis in die vorangegangene Legislaturperiode zurück. Schon 2011 hatte die Kommission des Ältestenrates für Bau- und Raumangelegenheiten des Deutschen Bundestages Voruntersuchungen zu möglichen Standorten und Konzepten beauftragt.
Durch das BBR wurden zahlreiche Machbarkeitsstudien für verschiedene Standorte sowie unterschiedliche Raumprogramme erarbeitet und mit den Beteiligten abgestimmt. Ein höchst anspruchsvoller iterativer Prozess, der sich gelohnt hat. Im Ergebnis diente die von allen Beteiligten getragene Machbarkeitsstudie auf dem Grundstück an der Scheidemannstrasse im Tiergarten als Grundlage für den internationalen interdisziplinären offenen zweiphasigen Planungswettbewerb.
Die Wahl des Standorts – ein diskursiver Prozess…
…und keine leichte Aufgabe. Im Wettbewerb wurde für die derzeitige Situation mit Containern zur Zugangskontrolle eine zukunftsfähige Lösung gefunden. Sie entspricht den heutigen Sicherheitsstandards und der Würde des Ortes.
Der Standort für das neue Entree ist an den Rand des Tiergartens gerückt. Die planungsrechtlichen Voraussetzungen für die Errichtung des Gebäudes – inkl. unterirdischem Besuchertunnel zum Reichstagsgebäude – wird die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen (SenSW) schaffen.
Der Standort ist begrenzt von der Scheidemannstraße, dem Sowjetischen Ehrenmal sowie von Simsonweg, Kleiner Querallee und Zeltenallee und dem schützenswerten Baumbestand des Gartendenkmals Großer Tiergarten. Höhenlage und Verlauf des Besuchertunnels wird durch den von Bahntrassen und technischer Infrastruktur dicht belegten Untergrund bestimmt. Die Tiefbauphase des Projekts wird spannend, wird sie doch bei laufendem Bahnbetrieb erfolgen. Der unterirdische Besuchertunnel gewährleistet, dass nur eine einzige Sicherheitskontrolle für die Besucher des Reichstagsgebäudes nötig wird.
Bauherr Bund – Baukultur
Die Öffentlichkeit erwartet zu Recht, dass der Bund als Bauherr seiner Vorbildfunktion gerecht wird – auch im Sinne der Baukultur.
Baukultur sieht mehr als nur das einzelne Haus oder das einzelne Bauwerk. Sie sieht z. B. auch die Stadt, den öffentlichen Raum, die Geschichte, die Tradition eines Ortes und die stattfindenden Prozesse.
Im Wettbewerb für den Neubau des BIZ war daher auch der Umgang mit dem genius loci, dem Geist dieses besonderen Ortes, ein wesentliches Kriterium. Das Gartendenkmal Großer Tiergarten mit seinen Alleen, dem Einzelbaumbestand und dem Gräberfeld des Sowjetischen Ehrenmals verdient einen respektvollen Umgang. Ebenso das Baudenkmal Reichstagsgebäude, welches Sinnbild für die Deutsche Wiedervereinigung und das Bekenntnis zu Berlin als Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland ist.
Der Wettbewerb
Kein anderes bekanntes Instrument bringt eine derartige Lösungsvielfalt kreativer Prozesse hervor, kein anderes Instrument lässt Bauherren und Planer in einem fairen und transparenten Verfahren zueinander finden. Wettbewerbe bieten auch kleinen und jungen Büros die Chance, sich auf dem Markt bekannt zu machen. Die Anzahl der eigereichten Arbeiten (1. Phase 187, 2. Phase 26 Arbeiten) und die Wettbewerbspreisträger sind Beleg dafür.
Nach Abschluss des Wettbewerbsverfahrens wurden die beiden Preisträger aufgefordert, ihre Wettbewerbsbeiträge entsprechend der Jury-Anmerkungen zu überarbeiten. Der überarbeitete Wettbewerbsentwurf von Schietsch Architekten überzeugte dann durch seine funktionalen räumlichen Anordnungen und logischen Führungen der Besucherströme und durch den städtebaulich klar definierten und einladenden Vorplatz. Dieser schafft eine attraktive Eingangssituation und hebt sich hierdurch von dem zweiten Preisträgerentwurf der Berliner Architekten Markus Bonauer, Michael Bölling und rw+ Gesellschaft von Architekten mbH, zusammen mit capattistaubach Landschaftsarchitekten, ab.
Das architektonische Konzept des Siegerentwurfes greift die Säulenstruktur des Eingangsportikus des Reichstagsgebäudes auf und entwickelt diese zu einem umlaufenden eleganten gebäudehohen Stützenkranz.
Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen (SenSW) unterstützte die Standortwahl und den Wettbewerb und wird die Realisierung des BIZ planungsrechtlich mitgestalten. Die Architektenkammer Berlin wirkte am Wettbewerb beratend mit.
Nur die strikte Einhaltung von festgelegten Verfahrensregeln garantiert eine gerechte Auswahl mit hoher Qualität sowie die notwendige fachliche Akzeptanz und Bestätigung. Bei den Baumaßnahmen des Bundes sind die Richtlinien für Planungswettbewerbe (RPW) verbindlich anzuwenden. Das Bundesbauministerium (BMUB) setzt damit als Richtliniengeber auf den Wettstreit der Konzepte in klar strukturierten - und letztlich auch rechtssicheren - Verfahren. Für das BMUB war dieses Wettbewerbsverfahren genau das richtige und angemessene für diesen Standort, diese Aufgabe sowie für den Nutzer Deutscher Bundestag. Dies hat sich – die Ergebnisse sprechen für sich – bewahrheitet.
Zur 23-köpfigen Jury gehörten neben freischaffenden Architekten und Landschaftsarchitekten Mitglieder aller im Deutschen Bundestag vertretenen Fraktionen und die Vorsitzende der Bau- und Raumkommission des Ältestenrates, Edelgard Bulmahn. Als Vertreter des Bundesbauministeriums war Abteilungsleiter a. D. Günther Hoffmann, als Vertreterin des Landes Berlin die Senatsbaudirektorin Regula Lüscher vertreten. Das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, welches den Wettbewerb im Auftrag des BMUB durchführte, entsandte seine Präsidentin Petra Wesseler.
Ausblick
Nun gilt es, den überarbeiteten Siegerentwurf von Markus Schietsch Architekten und Lorenz Eugster Landschaftsarchitektur in den kommenden Leistungsphasen der HOAI zur Baureife zu führen. Das BBR wird hier das Projektmanagement übernehmen. Dem BBR kommt auch die Aufgabe der Kontrolle über Kosten, Termine und Qualitäten zu - eine höchst verantwortungsvolle Aufgabe für den öffentlichen Auftraggeber.
Mit dem Projekt „Reform Bundesbau“, das sich gerade diesem besonderen Vorhaben widmen wird, will das BMUB die Kosten- und Terminsicherheit bei allen Bundeshochbaumaßnahmen verbessern. Es reicht von einer Verbesserung der Projektvorbereitungsphase, einem verbesserten Risiko- und Projektmanagement über straffere interne Verfahren bis hin zu einer angemessenen Ressourcenausstattung bei Bauherrn, Planern und Auftragnehmern.