ABG Frankfurt Holding: Eine Wohnbaugesellschaft geht den nächsten Schritt

BBB-Exklusiv: Vom Passivhaus zum Aktiv-Stadthaus

Interview mit Frank Junker. Der Geschäftsführer der Frankfurter Wohnungsbaugesellschaft ABG ist Referent des Wohnbau-Kongresses „Nachhaltigkeit in der Wohnungswirtschaft - vom Passivhaus zum AktivPlus-Haus“ des Bauzulieferes Sika (www.sika.com/wohnbau-kongress) am 19. März in Stuttgart, der vom BundesBauBlatt als Medienpartner begleitet wird.

Die ABG Frankfurt Holding setzt auf das Aktiv-Stadthaus - warum?
Junker: Wir setzen auf das Aktiv-Stadthaus aus mehreren Gründen. Der Hauptgrund ist, dass 40 % des deutschen Energieverbrauchs auf die Beheizung von Gebäuden gehen. Daher sagen wir, dass wir einen Beitrag zum Klimaschutz leisten müssen. Das ist eine Verpflichtung, die wir gegenüber nachkommenden Generationen haben.

Wir können inzwischen über 2.500 Wohnungen im Passivhaus-Standard vorweisen. Jetzt verstärken wir unsere Bemühungen noch weiter zum Aktiv-Haus hin.

Warum setzen Ihre Kollegen denn nicht auch auf den Passivhaus-Standard?
Junker: Das würde ich auch gerne wissen. Die Immobilienbranche ist offensichtlich eher träge und es gibt natürlich Zauderer und Zögerer, die die Meinung vertreten: 'was früher gut war, ist auch heute noch gut'. Wir dagegen sagen: 'Stillstand ist Rückschritt'.

Müssen Sie bei Ihrem visionären Blick denn nicht Angst vor Ihren Aktionären haben?
Junker: „Die ABG subventioniert niemanden und nichts. Jedes unserer Projekte muss daher von Anfang an einen positiven Deckungsbeitrag leisten. Das heißt für uns, wenn die Investitionsrechnung, egal ob Passivhaus oder Aktiv-Stadthaus oder eine Modernisierungsmaßnahme nicht zu einem positiven Ergebnis führt, wird das Projekt  nicht realisiert.

Unsere bisherigen Passivhaus-Projekte schließen mit einem hervorragenden Ergebnis ab. Wir halten die Kostenbudgets ein und liegen bei diesen Objekten bei Bau-Mehrkosten von 5 bis max. 7 % im Verhältnis zu Gebäuden, die nicht den Passivhaus-Standard erfüllen.

Wenn ich die EnEV 2014 anwende, schmilzt dieser Kostenblock noch einmal, weil neue Gebäude ohne Lüftungsanlage dann ohnehin nicht mehr auskommen. Ähnlich ist die Situation beim Aktiv-Stadthaus: es gibt eine Investitionsrechnung, die zu dem Ergebnis kommt, dass das Gebäude eine Brutto-Anfangsrendite von ca. 5 % ergibt. Darunter machen wir es nicht. 

Sind derartige neue Technologien nicht viel zu teurer?
Junker: Die Mehrkosten liegen trotz dieser Technologien im oben erwähnten Bereich. Darüber hinaus verweise ich auf eine Studie der Firma Sto, die feststellt, dass die Mehrkosten für ein Passivhaus gegenüber normalem Standard bei 5 bis 7 % liegen. Zusätzlich gibt es eine europaweite Studie der Energieagentur Luxemburg, die besagt, dass unter Zugrundlegung der jeweiligen energetischen Bauvorgaben, die Mehrkosten im Bereich von 5 bis 10% liegen, was die Zahlen von Sto bestätigen.

Sind die Haustechnikkomponenten in Passivhäusern denn praxistauglich?
Junker: Beim Passivhaus gehe ich von einer recht simplen Technik aus: extreme Dämmung, Dreischeibenverglasungen, Wärmerückgewinnung mit Lüftung. Diese Anlagen werden gewartet wie eine normale Heizung. Das verursacht ganz sicher keine Mehrkosten. Durch die ständige Frischluftzufuhr ergeben sich in diesen Neubauten höhere Wohnqualitäten, die in einer konventionellen Wohnung gar nicht machbar sind. Denken Sie nur an die Schimmelproblematik. Für den Mieter ist die Technologie völlig simpel: es gibt ein Thermostat an jeder Zimmertür, das Temperatur und Luftwechselrate reguliert.

Und wie steht es mit der Architekturqualität derartiger Objekte?
Junker: Wenn Sie vor einem unserer Häuser in Frankfurt stehen, können Sie sich an dem Anblick und damit zusammenhängend an der Stadtreparatur erfreuen ohne auf die dahinter stehende Technologie hingewiesen zu werden. Unsere Philosophie ist, dass das Gebäude für sich steht, es betreibt Stadtreparatur oder Stadtgestaltung, aber wir zeigen damit keine überbordende Technik.

Gerade beim Aktiv-Stadthaus zeigen wir, dass diese Technologie eben nicht nur auf der grünen Wiese funktioniert, wo ich die Ausrichtung selbst bestimmen kann, sondern auch in einem städtischen Kontext mit seinen vielfältigen Beschränkungen. Mit unserem Neubau im Westhafen zeigen wir, dass es möglich ist, in einer hoch verdichteten innerstädtischen Lage einen derartigen Standard zu bauen und das zu marktüblichen Kosten. Wenn man sich der Thematik stellt, ist das möglich. Dieses Projekt kann damit als Modellvorhaben dienen, das überall in der Republik seine Umsetzung finden kann.

Ihre Kritiker führen aus, dass derartige Objekte nur im hochpreisigen Frankfurt realisiert werden können. Was antworten Sie denen?
Junker: Den Kritikern sage ich, dass der Mietpreis sich aus zwei Faktoren zusammensetzt: zum einen treiben hohe Bodenkosten, die wir nicht beeinflussen können, den Mietpreis nach oben; zum anderen gibt es die Baukosten, die wir teilweise beeinflussen können. Wenn diese Faktoren addiert werden, ergeben sich für Frankfurt Mietkosten von 14 bis 16 € pro m² und für das flache Land entsprechend niedrigere Kosten.

Beispielhaft dafür bauen wir in der Nachbarstadt Offenbach schöne Passivhaus-Wohnungen an der Hafenmohle, dort kostet der gleiche Standard, der in Frankfurt 13 € kosten würde, 10,50 €. In der Offenbacher Innenstadt, auf einer Industriebrache, haben wir 170 Wohnungen im Passivhausstandard realisiert, die wir wir für 9,50 € vermieten, weil die Grundstückspreise dort niedriger sind als in Frankfurt.

Was sagen Sie Ihren Kollegen und den Verbänden über Ihre Bau-Aktivitäten?
Junker: Wir sagen den Kollegen, dass unsere Neubauten nicht aus der „Bastelecke“ stammen, sondern dass mit diesen Objekten Geld verdient wird. Wenn ich mir unsere Leerstandszahlen und die rege Nachfrage nach Miet- und Eigentumswohnungen bei uns anschaue, kann ich nur sagen: wer unseren Ideen nicht folgt, ist selber schuld.

Wir haben z.B. in Bockenheim eine Eigentumsanlage mit 79 Wohnungen konzipiert, die 4.600 € pro m² kosten, was dort einem mittleren Standard entspricht. Ohne jede Werbeaktion von uns meldeten sich dafür 1.300 Interessenten. Dabei spielten neben der Architektur und der Lage auch die gleichbleibend niedrigen Heizkosten eine Rolle für die große Resonanz.

Wie nehmen Ihre Mieter Ihre energetisch optimierten Angebote an?
Junker: Die Mieter sind zufrieden, weil sie mit einer Passivhaus-Wohnung eine Antwort gefunden haben auf ständig steigende Nebenkosten, da wir kaum Heizenergie benötigen. Bei vielen unserer Passivhaus-Wohnung werden die Heizkosten gar nicht mehr abgerechnet, weil die Erfassung und Abrechnung teurer wären als die Heizkostenpauschale.

Beim Aktiv-Stadthaus z.B. zahlt der Mieter eine Warmmiete, die die Heizung, die Warmwasserbereitung und sogar den Stromverbrauch mit 1.800 kWh pro Jahr beinhaltet. Selbst eine Einbauküche mit Tripple-A-Geräten ist enthalten. Gewöhnliche Neubauwohnungen in dieser Lage werden mit 14 bis 15 € pro m² vermietet – jedoch zuzüglich Heizkosten, Strom und Kücheneinrichtung.

Damit ergibt sich bei unserem Aktiv-Stadthaus eine Netto-Kaltmiete von ca. 11,50 €. Und dies bei einer guten Lage im Westhafen, nah am Zentrum und Hauptbahnhof. Die ABG bietet Passivhaus-Wohnungen in allen Preislagen an: von der Sozialwohnung, erster Förderweg, mit 5,50 € bis zur Eigentumswohnung für 5.000 €. Wir haben in allen Segmenten zufriedene Mieter und Nutzer.

Haben Sie einen Lernprozess bei Ihren Objekten durchlaufen, sei es bei der Bautechnik oder Bewirtschaftung?
Junker: Bei den ersten Projekten vor 15 Jahren würde ich heute architektonisch etwas nacharbeiten. Für die damalige Zeit war das sicher in Ordnung, heute würde man das etwas anders gestalten. Wir wissen heute, dass Passivhaus und Architektur nicht avers sondern durchaus affin zueinander stehen – wenn man es richtig macht. Für uns führt am Passivhaus kein Weg vorbei und wenn es möglich ist, noch mehr zu machen, dann sollte man das mit dem Aktiv-Stadthaus auch tun.

Und ich erinnere daran, dass uns höhere Anforderungen 2020 mit der EU-Gebäuderichtlinie ereilen werden, wenn die Bundesregierung das konsequent umsetzt, was die EU vorgibt. Dann müssen fast alle Neubauten nahe Nullenergiegebäude sein. Damit werden es die nationalen Gesetzgebungen schwer haben. Kritiker dieser strengen Vorgaben kann ich nur einladen, nach Frankfurt zu kommen und zu sehen, wie wir dies bereits heute umgesetzt haben.

Wie steht es in Ihrem Unternehmen mit Sanierungen?
Junker: Bei uns gibt es keine Pinselrenovierungen, denn wir haben früh mit der energetischen Optimierung des Bestandes begonnen. Andere Marktteilnehmer dagegen warten auf politische Enddefinitionen, die es meiner Meinung nach aber nie geben wird, weil es ein Prozess ständiger Weiterentwicklung ist. Dabei kümmern wir uns nicht nur um eine optimale Dämmung, sondern gehen offen an ein Projekt heran. Bei einem denkmalgeschützten Gebäude beispielsweise würde ich den Blick eher auf neue Fenster, auf Dämmung der Geschossdecken und Kellerdecke oder auf die Haustechnik legen. Eine Idee dabei wäre z.B. auch, drei benachbarte Gebäude über ein Blockheizkraftwerk zu versorgen.

Mit einem Ziegelhersteller realisieren wir derzeit die Dämmmöglichkeit mit einer vorgemauerten Fassade und konnten dadurch eine nachhaltige energetische Optimierung eines Gebäudes erreichen. Zusätzlich erreichten wir damit eine Wohnflächenerweiterung ohne den Einsatz von WDVS.

Das Aktiv-Stadthaus ist ein Hybridbau mit vorgefertigten Fassadenelementen aus Holz. Aus Schallschutzgründen wurden sogar Holzfenster eingesetzt.
Junker: „Schon früher wurden Passivhaus-Objekte von uns mit Holzfassaden realisiert, die in Betonschotten eingefügt wurden. Bei unserem Aktiv-Stadthaus sind die Fassaden zusätzlich mit PV ausgestattet. Das elementierte Bauen wirkt sich günstig auf die Bauzeit und damit auf Kosten aus.

Hochgedämmte Passivhäuser haben integrierten Schallschutz.
Junker: Tatsächlich ergibt sich durch den Passivhausstandard ein erhöhter Schallschutz. Es gibt im Rhein-Main-Gebiet Lagen, die lange Zeit für Wohnbebauung ungeeignet waren. Ich denke an die Hansaallee im Frankfurter Westend, die eine Langzeitbrache war. Durch unseren Passivhaus-Standard konnten wir dort eine hochwertige Wohnanlage erstellen, die auch hohen Schallschutzanforderungen gerecht wurde.

Haben sich Ihre Objekte, die ohne Heizkostenabrechnungen betrieben werden, bewährt?
Junker: Wir haben in diesen Fällen ein Mieter-Monitoring um das Nutzerverhalten kennen zu lernen. Durch das IWU-Institut und das Fraunhofer Institut erfuhren wir, dass die Mieter in unterschiedlichen Objekten verantwortungsbewusst mit der Energie umgingen und die Temperatur nicht über die Fenster regulieren. Das ist eine Win-Win-Situation für die Mieter und für uns. Sie bleiben von Nachzahlungen verschont und wir ersparen uns die Erfassungs- und Auswertungskosten.

Sie bieten in Ihrem Aktiv-Stadthaus Ihren Mietern Elektromobilität.
Junker: Energieeffizienz und Dienstleistung hören nicht an der Fassade auf. Wir gehen noch ein Stück weiter und sagen: wir müssen ein Ballungsgebiet anders definieren. Wir setzen einerseits auf den ÖPNV und bieten andererseits für die Individualmobilität Carsharing mit Elektro-PKWs an. Dafür haben wir uns gemeinsam mit dem regionalen Energieanbieter Mainova an einem Carsharing-Unternehmen beteiligt. Innerhalb von drei Jahren konnten wir dessen Nutzerzahlen von 8.000 auf 15.000 erhöhen. Um auch hier die Effizienz zu erhöhen, bieten wir im Aktiv-Stadthaus Parkplätze für elektrobetriebene Fahrzeuge und eine entsprechende Flotte an. Der Strom dafür wird auf dem Dach und an der Fassade produziert.

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