Brandschutz im Einklang mit Holz
In einem neu erschlossenen Wohngebiet in Ulm entstand ein Fünfgeschosser in Holzbauweise. Mit Gipsfaser-Platten konnte dabei ein von der 2014 gültigen Landesbauordnung abweichendes Brandschutzkonzept realisiert werden.
Mit dem Wohngebiet am Lettenwald ist im Ulmer Stadtteil Böfingen ein Stadtviertel für rund 1300 Einwohner entstanden, das neue Maßstäbe für eine Quartiersentwicklung setzt und innovative Lösungsansätze zeigt. Während herkömmliche, starre städtebauliche Strukturen auf eine klare Trennung von Geschossbauten und Einfamilienhausbereichen setzen, werden hier gemischt genutzte, austauschbare Quartiersbausteine eingesetzt. Der nahegelegene Wald wird über mehrere Grünachsen integriert, die jeweils durch ein abwechslungsreiches Spazierwegesystem miteinander verbunden sind. Die Bewohner wohnen hier mitten in der Natur und profitieren gleichzeitig von einer optimalen Anbindung an die Ulmer Innenstadt.
Dem zukunftsweisenden Konzept des Neubauareals entspricht ein von der Gapp Objektbau GmbH aus Öpfingen entwickelter 5-geschossiger Holztafelbau. Das Gebäude, dessen finaler Entwurf der Architekten Obermeier + Traub aus einem Architektenwettbewerb hervorging und in Zusammenarbeit mit der Stadt Ulm ausgewählt wurde, bezieht seine Wirkung aus dem Spannungsfeld von Modernität und solider Schlichtheit und kombiniert dies mit einem überzeugenden ökologischen Konzept. „Das nachhaltige Gebäudekonzept“, ist sich Emanuel Maier, Geschäftsführer der Gapp Holzbau GmbH, sicher, „war letztlich ausschlaggebend für die Zuteilung des Grundstückes.“
Wichtigster Bestandteil ist dabei die hochwärmedämmende Gebäudehülle, die die Anforderungen der KfW-Bank für das Effizienzhaus 40 übertrifft. Sie bewirkt, dass für die Beheizung der zwischen 62 und 164 m² großen Wohnungen nur noch ein geringer Restenergiebedarf nötig ist, der aus dem Fernwärmenetz der Stadt Ulm bezogen wird. Eine Photovoltaikanlage auf dem Dach deckt einen großen Teil des Strombedarfs ab.
Der Baustoff Holz sorgt dabei in Kombination mit einer Innenbeplankung aus Fermacell Gipsfaser-Platten für ein angenehmes und gesundes Raumklima, in dem sich auch Allergiker wohl fühlen. Erst jüngst hat das unabhängige Fraunhofer Institut WKI in Braunschweig die gute Wasserdampf-Adsorptionsfähigkeit der Platten bestätigt. Wie Lehmputze werden sie der Wasserdampf-Adsorptionsklasse WS II zugeordnet. Das bedeutet: Fermacell Gipsfaser-Platten sind hinsichtlich ihrer feuchteausgleichenden Fähigkeiten direkt mit Lehmputzen vergleichbar und können so das Raumklima maßgeblich positiv beeinflussen.
Die Anlage
Insgesamt 19 Wohneinheiten mit zwei bis vier Zimmern – sämtlich barrierefrei ausgestattet – sind in dem Mehrfamilienhaus mit einer Grundfläche von rund 500 m² untergebracht. Großzügige Grundrisse, raumhohe Fenster, eine exklusive Ausstattung und zwei zentral gelegene Personenaufzüge mit direktem Zugang zur Tiefgarage versprechen hohen Komfort.
Die Anlage besteht aus insgesamt zwei Baukörpern mit identischen Grundrissen, die durch ein Entrée miteinander verbunden sind. Jedes Haus verfügt pro Etage über zwei Wohnungen mit Größen zwischen 62 m² und 164 m². Eine Ausnahme bildet das Dachgeschoss: Während sich hier in einem der beiden Häuser ein geräumiges Penthouse befindet, wurden – entsprechend der Nachfrage im Markt – im Nachbargebäude statt dessen drei kleinere Wohneinheiten vorgesehen.
Untergeschoss, die Decke zum Erdgeschoss, die Treppenhäuser und der Aufzugsschacht bestehen aus Stahlbeton. Die oberen Stockwerke entstanden in Holzständerbauweise. Dabei konnten die tragenden und aussteifenden Außenwände ebenso wie die Trennwände mit brandschutztechnisch wirksamer Bekleidung aus Fermacell Gipsfaser-Platten hergestellt werden. Die Decken wurden als Holzbetonverbunddecken ausgeführt. Das Dach ist eine Konstruktion aus Brettschichtholzelementen und extensiver Begrünung.
Das Brandschutzkonzept
Mit Abmessungen von ca. 14 m x 18 m sowie einer Gebäudehöhe von rund 9 m entspricht die Anlage der Gebäudeklasse 4 der 2014 gültigen Landesbauordnung für Baden-Württemberg (LBO). Diese Gebäudeklasse umfasst Gebäude, die eine Fußbodenhöhe des obersten Geschosses mit Aufenthaltsräumen von bis zu 13 m und Nutzungseinheiten bis maximal 400 m² aufweisen. Es sind in dieser Gebäudeklasse tragende Holzkonstruktionen zulässig, sofern ausschließlich nichtbrennbare Dämmstoffe verwendet werden und tragende, aussteifende und raumabschließende Bauteile hochfeuerhemmend ausgeführt werden. Das bedeutet, dass die Bandschutzbekleidung eine Kapselung von 60 Min. aufweist und entsprechend K260 nach DIN EN 13501-2 klassifiziert ist.
Das vom Sachverständigenbüro Dehne, Kruse Brandschutzingenieure GmbH & Co. KG erstellte Brandschutzkonzept weicht von dieser Bestimmung ab. Auf Basis einer umfassenden Risikobewertung des gesamten Bauvorhabens weisen die Sachverständigen in einem individuellen, ganzheitlichen Brandschutzkonzept nach, dass durch geeignete Kompensationsmaßnahmen und durch
das Zusammenwirken von baulichen und anlagetechnischen Maßnahmen die allgemeinen bauaufsichtlichen Schutzziele der 2014 gültigen Baden-Württembergischen Landesbauordnung erreicht werden. Als Begründung verweisen sie auf das massive Treppenhaus, die sehr kurzen Fluchtwege von maximal 15 m sowie auf die großen Fenster, die als zweiter Fluchtweg vorgesehen sind. Als Kompensation für die Abweichungen erhalten die Gebäude eine flächendeckende automatische Brandmeldeanlage in Anlehnung an DIN 14675, EN 54 und DIN VDE 0833-2. „Durch die schnelle Branddetektierung und hausinterne Alarmierung“, so die Gutachter, „ist im Brandfall eine frühe und damit sichere Flucht gewährleistet. Hierzu tragen auch die verkürzten Rettungswege bei.“
Die Abweichungen von der 2014 gültigen LBO bzw. von der M-HFHHolzR (Muster-Richtlinie über brandschutztechnische Anforderungen an hoch feuerhemmende Bauteile in Holzbauweise) bestehen vor allem in der Reduzierung der Kapselklasse der Brandschutzbekleidung von K260 auf K230 nach DIN EN 13501 und beziehen sich auf die tragenden Außenwände. Die Gutachter verweisen in dem Zusammenhang auch darauf, dass mit der geplanten K230-Bekleidung für mindestens 30 Min. nach Brandbeginn eine Gleichwertigkeit der Konstruktion zu einer massiven Stahlbeton- oder Mauerwerksbauweise besteht.
Die Kapselung der tragenden, aussteifenden und raumabschließenden Trennwände dagegen wird in der Kapselklasse K260 entsprechend der DIN EN 13501 hergestellt. Damit ist laut Gutachten „der Nachbarschaftsschutz (hier insbesondere auch die absolute Rauchdichtigkeit) gemäß LBO vollumfänglich sichergestellt.“
Ausgeführt wurde die brandschutztechnisch wirksame Bekleidung der Holzkonstruktion mit Fermacell Gipsfaser-Platten, die je nach Konstruktion Brandschutz bis zur Feuerschutzklasse F120 gewährleisten und gemäß der EN 13501 als nichtbrennbarer Baustoff der Baustoffklasse A2 klassifiziert sind.
Gleichzeitig erfüllt Fermacell alle Anforderungen, die an moderne Wände gestellt werden. Die Platten bieten mit ihrer homogenen Struktur auf Grund ihrer Faserarmierung (recycelte Papierfasern) eine hohe mechanische Beanspruchbarkeit und stellen
mit Material- und Verarbeitungseigenschaften, die dem Holz sehr ähnlich sind, eine gute Ergänzung zur Holzunterkonstruktion dar.
Außenwandkonstruktion
Alle Außen- und Innenwände des Objektes wurden in Holztafelbauweise ausgeführt. Dabei erfolgte die Kapselung der Außenwände in der Kapselklasse K230 raumseitig mit 1 x 18 mm Fermacell Gipsfaser-Platten und darunter angeordneten 18 mm dicken Holzwerkstoffplatten mit luftdicht verklebten Stößen. Außenseitig erhielt die Konstruktion eine einlagige Beplankung mit 1 x 18 mm dicken Gipsfaser-Platten, 12 cm WDVS und einem mineralischen Putz. Die Dämmung im Wandhohlraum der Außenwände erfolgte mit 280 mm Mineralfaser.
Innenwandkonstruktion
Wohnungstrennwände wurden in der Feuerwiderstandsklasse EI 60 K260 hergestellt. Die Kapselung erfolgte mit einer beidseitigen Beplankung aus 2 x 18 mm Fermacell Gipsfaser-Platten mit jeweils darunter angeordneter Dämmung aus 120 mm Mineralfaser (Schmelzpunkt >1000° C) sowie einer mittig angeordneten 20 mm dicken Mineralfaserdämmung zwischen beidseitiger Tyvek Folie. Die Trennwände wurden zudem bis zur Rohdecke bzw. bis unter die Dachhaut geführt. Die Konstruktion der nichttragenden Innenwände besteht aus Metallständerwänden mit einer zweilagigen Beplankung aus Gipsplatten.
Anschlüsse
Um eine ausreichende Rauchdichtigkeit der Bauteilanschlüsse im Bereich der Wände bzw. zwischen Decke und Wand zu gewährleisten, wurden die Anforderungen der 2014 gültigen M-HFHHolzR in die Planung einbezogen. Demnach waren die Fugenstöße auf dem Ständer der Unterkonstruktion auszuführen. Anschlüsse mussten so ausgeführt werden, dass die Brandschutzbekleidung bei den durch Brandeinwirkung entstehenden Verformungen nicht aufreißt. Dazu wurden die Bauteile im Anschlussbereich in Abständen von höchstens 500 mm mit Schrauben von mindestens 12 mm Durchmesser und einer Einschraubtiefe von mindestens 70 mm verbunden. Fugen wurden mit nichtbrennbaren Baustoffen verschlossen. Bei Anschlüssen an Wände mit geringerem oder ohne Feuerwiderstand wurde darauf geachtet, dass die Kapselung nicht unterbrochen wird.
Die Durchführung von Leitungen zwischen verschiedenen Nutzungseinheiten erfolgte in Kombination mit geeigneten Abschottungen, die über einen entsprechenden bauaufsichtlichen Verwendbarkeitsnachweis verfügen. Innerhalb der Holzständerwände wurden einzelne Kabel in einem nichtbrennbaren Hüllrohr, mehr als drei Kabel in einen I30-Kanal verlegt. Bei geschossübergreifenden Installationsführungen kamen die entsprechenden Rohr- bzw. Kabelschotts (R 60 bzw, S 60) zur Ausführung.
Vorfertigung
Die Gapp Holzbau GmbH produzierte sämtliche Holztafelelemente in den eigenen Werkstätten vor. Für die Beplankung der Außenwände sowie der Wohnungstrennwände verarbeiteten die Mitarbeiter der Zimmerei 18 mm dicke Fermacell Gipsfaser-Platten in Standardbreite, die im Fermacell-Werk individuell in den jeweils benötigten Höhen hergestellt wurden. Die Befestigung erfolgte auf einer Unterkonstruktion aus Konstruktionsvollholz (Achsabstand der Holzrippen 625 mm) mit verzinkten Stahlklammern. Bei zweilagiger Beplankung wurde die obere Lage direkt mit Spreizklammern in der unteren Plattenlage befestigt (Befestigung „Platte in Platte“). Wichtig ist dabei, auf einen Stoßversatz der Plattenlagen untereinander von mindestens 200 mm zu achten. Die Fugen der unteren Plattenlage werden hierbei dicht gestoßen, die Fugen der oberen Plattenlage dagegen als Klebefuge ausgeführt.
Die fertiggestellten, bis zu 13 m langen Elemente kamen punktgenau per Tieflader zur Baustelle, so dass sie sofort montiert werden konnten. Durch die sehr genaue Vorplanung und den hohen Vorfertigungsgrad war eine schnelle und reibungslose Abwicklung auf der Baustelle gewährleistet. Innerhalb von nur zehn Arbeitstagen konnte ein Haus fertiggestellt werden, bis zur Gesamtfertigstellung der beiden Gebäude dauert es ab Oberkante Kellerdecke nur knapp einen Monat. Innerhalb von nur einem Jahr war der gesamte Fünfgeschosser bezugsfertig.
Insgesamt hat die Gapp Holzbau bei diesem Objekt 300 m³ (ca. 140 t) Holz verarbeitet. „Damit wurden“, hat Emmanuel Maier ausgerechnet, „etwa 265 t CO2 dauerhaft gebunden. Das entspricht dem CO2-Ausstoß eines Mittelklassewagens auf 1,5 Mio. km.“
Fazit
In der Vergangenheit hat die Realisierung verschiedener mehrgeschossiger Holztafelbauten – insbesondere auch in der Gebäudeklassen 4 und 5 – gezeigt, dass bezüglich des brandschutztechnischen Sicherheitsniveaus keine signifikanten Unterschiede zu Massivbauten aus Stahlbeton oder Mauerwerk bestehen, sofern entsprechende konstruktive Maßnahmen zum vorbeugenden Brandschutz geplant und umgesetzt werden.
Der Fünfgeschosser in Ulm-Böfingen fügt sich nahtlos in diese Reihe wegweisender Holzbauten ein und leistet damit einen weiteren Beitrag auf dem Weg zur grundsätzlichen Etablierung der Holzbauweise. Die hohen Brandschutzauflagen konnten entsprechend eines individuellen ganzheitlichen Brandschutznachweises durch Kapselungen mit Fermacell Gipsfaser-Platten erfüllt werden. Weitere Vorteile sind kurze Bauzeiten und damit eine schnelle Nutzungsmöglichkeit in Verbindung mit einer hervorragenden Ökobilanz.
Durch Kompensationsmaßnahmen und das Zusammenwirken
von baulichen und anlagetechnischen Maßnahmen werden
die allgemeinen bauaufsichtlichen Schutzziele der 2014 gültigen
Baden-Württembergischen Landesbauordnung erreicht.
Alle Außen- und Innenwände des Objektes wurden in Holztafelbauweise ausgeführt.
Bis zur Gesamtfertigstellung der beiden Gebäude dauert es
ab Oberkante Kellerdecke nur knapp einen Monat.