Ein Quartier mit Vorbildfunktion
Im Rahmen von Neubauprojekten wird der Begriff „Quartier“ in den letzten Jahren geradezu inflationär gebraucht. Nicht selten handelt es sich um riesige, wie aus dem Boden gestampfte Festungen am Rande von Großstädten, die schnell und günstig errichtet werden. Kritiker dieser vermeintlich neuen Urbanität bemängeln regelmäßig das fehlende soziale Gefüge und Lebensgefühl.
Dass dieser Titel jedoch auch für eine Stadtplanung mit echtem Mehrwert stehen kann, beweist das Berliner Büro Feddersen Architekten mit seinem Entwurf für eine lange brachliegende Fläche im Osten Braunschweigs. Das derzeit entstehende Quartier „St. Leonhard“ übersetzt die Tradition des Stadtteils unter Berücksichtigung von Inklusion, Bildung und Teilhabe in eine zeitgemäße Nutzung und Architektursprache. Den Anfang macht ein KiTa- und Internatsgebäude, das im Jahr 2018 fertiggestellt wurde.
Im Vordergrund steht der Gemeinschaftsgedanke
Das Gelände rund um die markante Kapelle St. Leonhard ist seit dem Mittelalter von medizinischen, sozialen und pädagogischen Einrichtungen geprägt. Diesen historischen Hintergrund nahmen gleich drei gemeinnützige lokale Träger – die Richard Borek Stiftung, die Evangelische Stiftung Neuerkerode sowie das Christliche Jugenddorfwerk Deutschland – zum Anlass, um auf dem Areal ein offenes und vernetztes Quartier zu schaffen. Durch die Verknüpfung des innerstädtischen und generationenübergreifenden Lebens mit einer Vielzahl von sozialen Angeboten entsteht ein Dreiklang aus Wohnen, Arbeiten und Leben.
So stehen den BewohnerInnen, aber auch BesucherInnen der umliegenden Nachbarschaft zukünftig neben Wohn-, Bildungs- und Therapiegebäuden auch Arbeits- und Werkstätten sowie gastronomische und kulturelle Angebote zur Verfügung.
Ein Ort, an dem Menschen zusammenkommen
Nach den Plänen von Feddersen Architekten sollen in den kommenden Jahren insgesamt fünf Neubauten die denkmalgeschützten Bestandsgebäude ergänzen, die im Zuge der Baumaßnahme umgenutzt und in die Gesamtplanung integriert werden.
Lebendiger Mittelpunkt des Ensembles ist der Kulturhof, der angrenzend an ein Café, diverse Werkstätten und Sportbereiche sowie einen Kultursaal als zentraler Versammlungsort für die BewohnerInnen und NutzerInnen des Viertels geplant ist. Weitere Freiflächen und Wege zwischen den Gebäuden sorgen für halböffentliche, ruhige Rückzugsorte.
Klein und Groß unter einem Dach
Den süd-östlichen Abschluss des Quartiers bildet Haus 4 als größter Komplex. Die beiden U-förmigen Gebäudeteile besitzen verschiedene Geschosszahlen und bilden an ihren Überschneidungspunkten zwei Innenhöfe aus, die als Außenflächen genutzt werden können und für eine gute Belichtung der Innenräume sorgen.
Mit dem Raumprogramm des ein- bis viergeschossigen Neubaus setzen die Architekten den Gemeinschaftsgedanken des Quartiers fort. Während im überwiegenden Teil des Erdgeschosses eine internationale Kindertagesstätte für drei Kindergarten- sowie zwei Krippengruppen mit 105 Plätzen untergebracht ist, beherbergen die folgenden Geschosse einen Internatswohnbereich. Entgegen des veralteten Klischees großer Schlafsäle, leben hier 108 Jugendliche in Einzelzimmern und vereinzelten Doppelzimmern mit ausreichend Privatsphäre zur freien Entfaltung.
Die Zimmer sind in 12 Wohngruppen eingeteilt, denen jeweils ein Wohnzimmer sowie eine Küche zugeordnet sind. Darüber hinaus stehen den Jugendlichen Räume für Musik, Fitness und weitere gemeinsame Aktivitäten zur Verfügung. Der Multifunktionsraum im Erdgeschoss bietet mit seiner großzügigen Fläche zudem ausreichend Platz für Veranstaltungen und dient als Treffpunkt für alle Altersklassen.
Geborgen und farbenfroh
Nicht nur das Nutzungskonzept orientiert sich an der Historie des Areals, auch das äußere Erscheinungsbild des Neubaus sucht mit seiner schlichten und klaren Architektursprache das Zusammenspiel mit den Bestandsbauten. Das Sockelgeschoss besitzt eine verklinkerte Fassade. Die darüberliegenden Stockwerke erhielten ein WDVS mit einem mineralischen Putz in Weiß und erzeugen zusammen mit vereinzelt grauen Flächen zwischen den Lochfenstern ein zurückhaltend kontrastiertes Aussehen.
Die innere Gestaltung dagegen ist auf die jungen NutzerInnen ausgerichtet: Eine vielfarbige Wandgestaltung in Grün, Pink, Blau und Gelb macht die Räume zu einer bunten Wohlfühllandschaft für die Kinder und Jugendlichen, grenzt die verschiedenen Nutzungsbereiche voneinander ab und sorgt für Orientierung. Darauf abgestimmte Teppich- und Funktionsböden sowie warme Holzelemente sorgen für eine behagliche Atmosphäre. Eine Vielzahl der Möbel ist darüber hinaus mit Rollen versehen, sodass sie für die Kinder leicht verschiebbar sind und gemäß verschiedener Lern- und Spielsituationen platziert werden können. Für flexible Räume sorgen auch Schiebetüren sowie Trennwände, durch die einzelne Bereiche entweder abgetrennt oder erweitert werden können.
Um eine offene und transparente Lebens- und Lernlandschaft zu schaffen, arbeiteten die Architekten im Bereich der Flure mit Verglasungen. Teils als Fenster, teils in Form von raumhohen Elementen ermöglichen sie immer wieder Einblicke in das Geschehen entlang der Erschließungsflächen.
Die richtige Grundlage
Um die lange Geschichte von St. Leonhard fortzusetzen, bedurfte es nicht nur eines zukunftsfähigen Nutzungskonzeptes, sondern auch wertbeständiger Materialien, die eine hohe Lebensdauer möglichst wartungsfrei garantieren. Für einen Ort, an dem viele Menschen leben und zusammenkommen, ist außerdem ein gesundes Raumklima unabdingbar. Bei der Umsetzung des Entwurfs entschieden sich die Architekten daher für KS-PLUS: „Durch das großformatige Bausystem wird der Baustoff Kalksandstein sowohl in wirtschaftlicher als auch konstruktiver Hinsicht optimiert“, berichtet Stefan Drees, geschäftsführender Gesellschafter von Feddersen Architekten.
Kalksandstein ist aufgrund seiner hohen Rohdichte besonders robust gegenüber äußeren Einflüssen und kann hohen statischen Lasten bereits bei schlanken Wandkonstruktionen problemlos standhalten. Er sorgt auch in hochfrequentierten Bereichen für einen hohen Schallschutz und kann Luftfeuchtigkeit und Temperatur innerhalb der Räume auf natürliche Weise regulieren.
„Die werksseitige Vorfertigung von KS-PLUS ermöglichte uns außerdem eine Verkürzung der Bauzeit“, berichtet Drees weiter. Entsprechend der Planung seines Teams wurden die Regel- und individuell angefertigten Passelemente dem Bauablauf entsprechend geliefert, sodass ein aufwändiger Zuschnitt nicht mehr nötig war. Unterstützt durch einfach bedienbare Versetzgeräte, konnten die großformatigen Steine daher direkt nach der Lieferung mit höchster Ausführungssicherheit vermauert werden.
Das derzeit entstehende Quartier „St. Leonhard“ übersetzt die Tradition des Stadtteils unter Berücksichtigung von Inklusion, Bildung und Teilhabe in eine zeitgemäße Nutzung und Architektursprache.