Elektroinstallation für
barrierefreies Wohnen
Mindestens 2,9 Mio. neue barrierefreie Wohnungen werden bis zum Jahr 2030 gebraucht, so die Schätzung einer aktuellen Studie*. Diese besagt außerdem, dass bereits heute rund 2 Mio. altersgerechte Wohneinheiten fehlen. Um den Bedarf zu decken, reicht es nicht aus, Aufzüge, Rampen und rutschfeste Böden zu ergänzen – gerade die Elektroinstallation muss zwingend vorausschauend ergänzt bzw. geplant werden.
Denn eine zukunftsfähige Elektroinstallation ermöglicht erst das sogenannte Active Assisted Living (AAL), das selbstbestimmte Leben bei körperlichen Einschränkungen und bis ins hohe Alter hinein mit Hilfe von alltagstauglichen Assistenzlösungen. Solche technischen Assistenzsysteme reichen von der automatischen Überwachung und Abschaltung des Herdes bei Nutzungsunterbrechung bis zu automatisierten Rollläden und der modernen Türkommunikation.
Wird die Gebäudetechnik vernetzt, eröffnen sich weitere Hilfsfunktionen: Dann können beispielsweise die Beleuchtung und diverse Elektrogeräte dezentral geschaltet werden. Für körperlich beeinträchtigte Bewohner stellen diese Möglichkeiten eine enorme Erleichterung im Alltag dar – für die Wohnungswirtschaft eine lohnende Investition in die Zukunft. Denn zahlreiche AAL-Konzepte, Techniken, Produkte, Systeme und Dienstleistungen werden bald zum Standard für zeitgemäßes Wohnen gehören.
Die bessere Vermietbarkeit der optimierten Objekte steht ebenso außer Frage wie die Nachhaltigkeit und Energieeffizienz vieler Faktoren. Es lassen sich neben den Bewohnern auch Hausmeister, Pflegekräfte, Angehörige und Nachbarn entlasten – Betriebs- und Wartungskosten sinken. Eine vorausschauend geplante Elektroinstallation bietet darüber hinaus den großen Vorteil, dass spätere Nachrüstungen ohne Probleme auch von den Mietern selbst umgesetzt werden können.
Gut geplant durch Ausstattungswerte
Erst eine moderne Elektroinstallation ermöglicht den sicheren und störungsfreien Betrieb der einzelnen Komponenten. Die Planung der elektrischen Anlage erfolgt am besten gemeinsam mit einem Fachhandwerker auf Basis der Ausstattungswerte der Richtlinie RAL-RG 678: Sie geben darüber Auskunft, wie viele Anschlüsse, Auslässe und Steckdosen in den jeweiligen Räumen sinnvoll sind, gestaffelt nach verschiedenen Komfort-Stufen.
Empfehlenswert ist mindestens die Anwendung des Ausstattungswertes 2. Soll die Option auf eine Hausautomation bestehen, sollte mindestens der Wert 2 plus die Planungsbasis sein. Zu beachten ist: Die Ausstattungswerte stellen die Mindestanforderungen an eine zukunftsfähige Elektroinstallation dar. Für jede Hilfseinrichtung, etwa eine Höhenverstellung der Küchenarbeitsplatte oder absenkbare Schränke, ist die Anzahl der Steckdosen und Anschlüsse entsprechend zu erhöhen.
Ebenso bietet die Richtlinie RAL-RG 678 für die Anzahl der Stromkreise eine gute Orientierung. Generell sollte jeder Wohn- bzw. Nutzungsbereich wie Küche, Bad, Wohn- und Schlafräume aber auch beispielsweise Notrufsysteme einen eigenen Stromkreis haben – so ist sichergestellt, dass die Assistenzsysteme auch weiterhin betriebsbereit sind, wenn ein Stromkreis im Fehlerfall abgeschaltet wird. Empfehlenswert ist außerdem die Trennung der Licht- und Steckdosenstromkreise.
Flexible Wohnungen für attraktivere Objekte
Damit Bewohner auch Mietwohnungen langfristig an ihre Bedürfnisse anpassen können und nicht vorzeitig ausziehen müssen, sind einfache Lösungen gefragt. Die Verlegung von Elektroinstallationsrohren ist eine zentrale Maßnahme, damit später zusätzliche Assistenzsysteme eingebaut werden können. Die Rohre ermöglichen es, die vorhandene Elektroinstallation flexibel zu ändern und zu ergänzen oder auch nachträglich eine Gebäudesystemtechnik zu integrieren.
Die verantwortlichen Planer sollten Elektroinstallationsrohre in ausreichender Zahl auch und vor allem zu Fenstern, Türen und Treppen einplanen, damit bei Bedarf Leitungen für eine Automatisierung der Türen oder Rollläden oder für einen Treppenlift nachgerüstet werden können. Ebenfalls hilfreich sind Anschlussdosen in der Nähe von Küchen- und Badmöbeln und anderen Einrichtungsgegenständen, über die sich später unkompliziert elektrische Steuerungen etwa für eine Höhenverstellung installieren lassen.
Barrierefreie Schalter, Steckdosen und Beleuchtung
Neben einer ausreichenden Anzahl an Schaltern und Steckdosen spielt auch ihre Anordnung für barrierefreies Wohnen eine wichtige Rolle: Liegen Lichtschalter in einer Höhe von rund 85 cm und Steckdosen in Höhe von 40 cm über dem Fußboden können sie auch von Rollstuhlfahrern problemlos erreicht werden. Zu berücksichtigen ist außerdem ein Abstand zu den Wänden von etwa 50 cm. Besonders leicht sind Schalter und Steckdosen zu finden, die einen auffällig farbigen Rahmen oder eine Orientierungsleuchte haben. Zudem sollten maximal drei Schalter an der gleichen Stelle angeordnet werden, mehr sind für die Nutzer in der Regel nur schwer zuzuordnen.
Im AAL-Umfeld ist des Weiteren eine gut geplante Beleuchtung unverzichtbar: Neben Deckenanschlüssen sind genügend Wandanschlüsse und Steckdosen für weitere Leuchten wichtig. Praktisch ist eine automatisierte Beleuchtung über Bewegungs- und Präsenzmelder, die das Tasten nach dem Lichtschalter überflüssig macht. Insbesondere im Außenbereich, Flur und Badezimmer sorgen Bewegungsmelder für zusätzliche Sicherheit vor Stolperfallen.
Um den Biorhythmus der Bewohner zu unterstützen, sind Beleuchtungslösungen zu bevorzugen, die dem natürlichen Tageslicht möglichst nachempfunden sind. Großflächige, blendfreie Leuchten mit direkter und indirekter Lichtabstrahlung sind dafür ideal. Für bessere Konzentration und Aktivität sorgt die Verwendung von kaltweißem Licht (> 5000 K). Warmweißes Licht (< 3300 K) kann am Abend hingegen auf die Schlafphase vorbereiten. Sinnvoll ist in diesem Zusammenhang die Installation von Dimmern. Je nach Wohnraum und Einsatzbereich sollte eine unterschiedliche Beleuchtungsstärke gewählt werden. Einen guten Überblick bietet die Richtlinie VDI/VDE 6008-3.
Mehr Sicherheit durch neue Schutzsysteme
Bei körperlichen Beeinträchtigungen haben besondere Warn- und Sicherheitssysteme eine große Bedeutung. Dadurch werden nicht nur die einzelnen Mieter geschützt, sondern ebenso Nachbarn und die Immobilie an sich. Ist beispielsweise das Hör- oder Reaktionsvermögen eingeschränkt, können visuelle Warnsysteme im Gefahrenfall Schlimmeres verhindern. Spezielle Rauchwarnmelder geben etwa neben einem lauten Warnton zusätzlich intensive Lichtblitze ab. Besonders hilfreich ist es, wenn die Rauchwarnmelder verschiedener Räume per Funk miteinander vernetzt sind. Dann ertönt oder erscheint das Warnsignal beispielsweise gleichzeitig im Schlafzimmer, wenn in der Küche ein Brand entsteht. Die Aufschaltung der Rauchwarnmeldung auf ein Notrufsystem ist ebenfalls empfehlenswert.
Auch die Türklingel kann für Schwerhörige mit Licht und Vibration ergänzt werden. Stromkreisverteiler mit einer genügenden Anzahl von Reserveplätzen erlauben die Nachrüstung von Einbaugeräten für Überstromschutz, Überspannungsschutz, Personenschutz, Brandschutz und die Gebäudesystemtechnik. Nicht zu vergessen: der Einbruchschutz, denn oft sind gerade die barrierefreien Erdgeschosswohnungen für Einbrecher besonders attraktiv.
Für umfassende Sicherheit sollte die komplette Elektroinstallation mit entsprechenden Schutzsystemen ausgerüstet sein. Beim Auslösen von Fehlerstrom-Schutzeinrichtungen müssen Beleuchtung, Notrufsystem und andere elektrische AAL-Hilfseinrichtungen weiter einwandfrei funktionieren. Dafür kommt es auf ausreichend FI-Schutzschalter, ein koordiniertes Überspannungsschutzkonzept sowie Fehlerlichtbogen-Schutzeinrichtungen an. Letztere sind vor allem dort wichtig, wo eine Evakuierung schwierig ist, zum Beispiel in Schlaf- und Aufenthaltsräumen.
* „Bestandsersatz 2.0 – Potenziale und Chancen“ Studie zur aktuellen Bewertung des Wohngebäudebestands in Deutschland unter Berücksichtigung von Neubau, Sanierung und Bestandsersatz, Februar 2016
http://www.dgfm.de/uploads/media/Studie-Bestandsersatz-2-0_2016-02-29.pdf
Erst eine zukunftsfähige Elektroinstallation ermöglicht das selbstbestimmte Leben bis ins hohe Alter hinein mit Hilfe von alltagstauglichen Assistenzlösungen.
Elektro+ Broschüre „Elektroinstallation im AAL-Umfeld“
Wertvolle Hilfe bei der Planung und einen Überblick über die verschiedenen Anforderungen an die Elektroinstallation in Bezug auf die unterschiedlichen körperlichen Einschränkungen bietet die Broschüre „Elektroinstallation im AAL-Umfeld“ der Initiative ELEKTRO+. Sie steht zum kostenfreien Download bereit unter https://www.elektro-plus.com/aal
Die Ausstattungswerte der RAL-RG 678
Die Richtlinie RAL-RG 678, die vom Deutschen Institut für Gütesicherung und Kennzeichnung vergeben wird, definiert Ausstattungsstandards der Elektroinstallation. Sie sind sowohl für die Planung von neuen Anlagen als auch für die Modernisierung von bestehenden Elektroinstallationen anwendbar.