Gelungene Integration
Lückenbebauung in Berlin-Kreuzberg? In dem durch Gentrifizierungsdebatten geprägten Bezirk kein leichtes Unterfangen. Wie es trotzdem auf architektonisch höchstem Niveau gelingt, zeigt die Eckbebauung Reichenberger Ecke Glogauer Straße. Errichtet wurde der sechsgeschossige Bau monolithisch mit perlitverfüllten Poroton-Ziegeln.
„Mit seiner Architektur möchte sich das Gebäude in den gewachsenen Stadtteil einbringen, ohne aufdringlich zu wirken. Es hält sich vorsichtig zurück, bringt dennoch einen eigenen, unverwechselbaren sowie nachhaltigen Charakter zum Ausdruck“, beschreibt Sarah Rivière ihren architektonischen Ansatz. Dies gelingt vor allem deshalb, weil das Eckgebäude Geschosshöhen, Fensterformate und Proportionen der benachbarten Mietshäuser aus der späten Gründerzeit fortführt. „Beim Entwurf der Fassade und des Hauses insgesamt war es mir wichtig, einen positiven Beitrag zum Stadtviertel zu leisten“, so Rivière. „Der Entwurf zielt darauf ab, ein Wohnhaus zu bauen, das das Leben im umliegenden Kreuzberger Kiez in mehrfacher Hinsicht bereichert – städtebaulich, sozial, ökologisch und nachbarschaftlich.“ Als Reminiszenz an die historische Bauweise der Kreuzberger Luisenstadt ist die Gebäudeecke als Turm ausgebildet, hier jedoch gerundet. Fließende Formen setzen sich auch in der Attika fort: mit den Bullaugen sowie dem Abschwung zur benachbarten Dachkante zitiert Sarah Rivière die Architektursprache Hans Scharouns, wie sie beispielsweise in dessen Wohnbauten am Berliner Kaiserdamm, entstanden Ende der 1920er-Jahre, oder der Berliner Philharmonie zum Ausdruck kommt.
Konsequent nachhaltig
Sichtbarer Ausdruck des nachhaltigen Standpunkts ist die Gartenfassade zur Glogauer Straße. Die so genannte „Living Wall“ führt durch die Absorption von Stickstoffoxiden und die Reduktion von Feinstaub zu einer wesentlichen Verbesserung des Mikroklimas der Straße. Verkehrslärm wird gedämmt und eine Aufwertung der städtischen Biodiversität angestrebt. Die Pflanzen wachsen auf einer im Ziegelmauerwerk verankerten Trägerkonstruktion und werden durch ein integriertes Bewässerungssystem versorgt. Die Bepflanzung ist winterhart, so dass die Fassade ganzjährig begrünt ist. Weiteres Grün gibt es auf den Dachterrassen sowie dem neu bepflanzten Innenhof als geschützter Garten mit Spielmöglichkeit für die im Haus lebenden Kinder.
Unsichtbarer Ausdruck des nachhaltigen Konzepts ist die Wandkonstruktion. Das Gebäude ist ab dem ersten Obergeschoss monolithisch mit perlitverfüllten Poroton-Ziegeln für den Geschossbau errichtet. Diese Wandbildner sind dank hoher Druckfestigkeit sowie bester Brand-, Schallschutz- und Wärmedämmeigenschaften dafür prädestiniert. Im Zusammenspiel mit Poroton-Systemergänzungen wie Ziegelstürzen oder gedämmten Deckenrandschalen entsteht eine homogene Ziegeloberfläche zur Minimierung von Wärmebrücken und für sicheren Putzauftrag. Die Innenwände sind mit unverfüllten Poroton-Planziegeln errichtet. „Der Naturbaustoff Ziegel reguliert sowohl Raumtemperatur als auch -feuchte bestens und sorgt ganzjährig für angenehmes Wohnklima“, begründet Sarah Rivière die Wahl für gebrannten Ton. Die dämmstoffverfüllten Ziegel machen es außerdem möglich, ohne zusätzliche Außendämmung zu bauen, was die Werthaltigkeit des Gebäudes erhöht und Instandhaltungskosten dauerhaft minimiert. Poroton-Geschäftsführer Clemens Kuhlemann ergänzt einen weiteren Aspekt: Dass der harmonische Lückenschluss mit der abgerundeten Außenecke so gut gelang, liege auch daran, dass die seit über 100 Jahren bewährten Ziegel-Modulmaße der Architektur große planerische Vielfalt ermöglichen. „Kein kompliziertes Schalen, einfach mauern und fertig“, so Kuhlemann.
Belebende soziale Durchmischung
Das Areal ist im Berliner Flächennutzungsplan als gemischte Baufläche definiert. Da der Bauherr auch im Besitz der beiden benachbarten Mietshäuser ist, beschloss er für den Neubau einen Bauantrag für zwölf Ferienwohnungen zu stellen. Die Wohnungsgrundrisse wurden von der Architektin so entworfen, dass sie jederzeit in Mietwohnungen zur langfristigen Nutzung umgebaut werden können. Mit dem Neubau wurde gleichzeitig auf den Nachbargebäuden jeweils ein Dachgeschoss aufgestockt. Hier entstanden eine größere Wohnung und eine Maisonette-Wohnung, beide mit Terrasse zum Innenhof. Die Terrasse auf dem neuen Eckturm zur Straßenkreuzung dient als Gemeinschaftsfläche für den ganzen Block. Im Erdgeschoss wurde eine Bar mit Kicker-Tischen und großen Bildschirmen für die Sportberichterstattung geplant – eine Art „Wohnzimmer“ für den Block. Sie reicht durch den Neubau in den Altbau hinein und bietet zur Glogauer Straße eine längere Fassade. Im Erdgeschoss des Gebäudes Reichenberger Straße befindet sich ein alteingesessenes Cafe. „Insgesamt haben wir hier als Team ein Projekt zu Stande gebracht, das langfristig den Bewohnern des Hauses und den Menschen aus der Umgebung zu Gute kommt. Ein Projekt, das an dieser belebten Ecke Kreuzbergs eine neue Vielfalt anbietet“, bringt Sarah Rivière das Gesamtkonzept auf den Punkt.
Das Eckgebäude fügt sich in die urbane Struktur der Gründerzeit ein und bereichert diese um eine Fassadenbegrünung.
Die Pflanzen wachsen auf einer im Ziegelmauerwerk verankerten Trägerkonstruktion und werden durch ein integriertes Bewässerungssystem versorgt.