Hoffnungsträger der Energiewende
Standen in Teil 1 unserer Serie zur Zukunft von Wasserstoff in der Heiztechnik vor allem Grundlagen rund um den umweltfreundlichen Energieträger im Vordergrund, dreht sich in Teil 2 alles um die politischen Strategien – z. B. der EU und in Deutschland sowie aktuelle Forschungsprojekte. Und mit einer Farbenlehre wird geklärt, welcher Wasserstoff denn genau das größte Potenzial mit Blick auf den Klimaschutz bietet.
Verfolgt man die Berichterstattung von Wasserstoff in den Medien wird in Zusammenhang mit dem Energieträger oft noch eine Farbe erwähnt. Blauer, grüner, grauer und türkisfarbener Wasserstoff – so sieht die Farbenwelt des Gases aus. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine sichtbare Farbe des Wasserstoffes, sondern um ein Kennzeichen seiner Herstellung. In Teil 1 der Serie wurden hierzu bereits verschiedene Verfahren vorgestellt und erläutert. Denn für die Umweltfreundlichkeit ist entscheidend, wie Wasserstoff hergestellt wird:
– Grüner Wasserstoff entsteht in erster Linie durch die Elektrolyse. Dabei kommt ausschließlich umweltfreundlich erzeugter Strom aus erneuerbaren Energiequellen zum Einsatz. Für die Herstellung sind auch solarthermische Reaktoren denkbar. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) testet bereits seit 13 Jahren eine Anlage in Spanien. Hierbei wird grüner Wasserstoff direkt aus Sonnenlicht und Wasser produziert.
– Grauer Wasserstoff entsteht durch die in Teil 1 vorgestellte Dampfreformierung. Unter Zuführung von Wärme bildet sich neben dem gewünschten Wasserstoff hierbei auch Kohlendioxid (CO2) – und das nicht zu knapp. Denn für eine gewonnene Tonne Wasserstoff entsteht die zehnfache Menge CO2.
– Blauer Wasserstoff ist grauer Wasserstoff – mit einem wichtigen Unterschied. Das bei der Gewinnung entstehende CO2 wird abgeschieden und entweder für industrielle Anwendungen genutzt oder gespeichert.
– Türkisfarbener Wasserstoff setzt auf Methan als Ausgangsmaterial und spaltet das Gas in einem Hochtemperaturreaktor auf. Dabei entsteht kein CO2, aber fester Kohlenstoff. Wird dieser genutzt oder dauerhaft gelagert und stammt die Wärme aus erneuerbaren Quellen, ist dieser Wasserstoff CO2-neutral hergestellt.
Vor allem grüner Wasserstoff hat das Potenzial, eine Energiewende für viele Industriezweige, Gewerbe und Privathaushalte einzuleiten. Denn weder bei der Herstellung noch bei der Verwendung entsteht klimaschädliches CO2. Der Rohstoff Wasser ist quasi unbegrenzt verfügbar. Und grüner Wasserstoff enthält – nach dem aktuellen Stand der Herstellungsverfahren - noch rund 70 % der eingesetzten Energie.
Vergleicht man die umweltfreundlichen Energieträger „grüner Wasserstoff“ und „Ökostrom“ wird schnell eines deutlich: Grüner Wasserstoff ist bei Bedarf jederzeit verwendbar – weil er sich anders als Ökostrom einfach speichern lässt. Beispielsweise innerhalb des Gasnetzes, das nicht nur aus dem Leitungsnetz, sondern auch riesigen Gasspeichern und Kavernen besteht. Zudem ist Wasserstoff flexibel einsetzbar. Mit ihm können Kraftfahrzeuge genauso arbeiten wie Turbinen zur Stromerzeugung, Raketen und Flugzeuge fliegen oder Stahl produziert und Heizungen betrieben werden.
Verteilungsproblem: Wer bekommt den grünen
Wasserstoff?
Für diese vielen Einsatzmöglichkeiten steht jedoch auf absehbare Zeit nur eine begrenzte Menge Wasserstoff zur Verfügung. Das liegt nicht nur an den geringen Anlagenkapazitäten zur Herstellung von Wasserstoff und ihrer vergleichsweise noch niedrigen Effizienz, sondern auch an der notwendigen Infrastruktur wie beispielsweise Tank- und Entnahmestellen.
Uneinigkeit besteht darüber, ob das knappe Gut „grüner Wasserstoff“ überhaupt für die Wärmeversorgung von Gebäuden eingesetzt werden soll. Viel wichtiger – so die Argumentation der Gegner – sei die Verwendung von Wasserstoff dort, wo eine Substitution durch alternative Technologien nicht möglich ist, wie im Güter-, Schiffs- oder Flugverkehr. Auch die Stahlindustrie sei mit ihrem derzeit erheblichen CO2-Ausstoß ein viel wichtigerer Kandidat als der Gebäudesektor und mit ihm die Heizung. Bei Gebäuden hingegen würden sich insbesondere Wärmepumpen anbieten, um eine Dekarbonisierung gewährleisten zu können.
„Wir setzen bei der Energiewende stark auf Wärmepumpen und werden die Technologien im Markt weiter vorantreiben“, erläutert Dr. Tillmann von Schroeter, Geschäftsführer Vaillant Deutschland. „Wir sehen aber, wie aufwendig und langwierig der Ausbau der Stromnetze ist. Deswegen setzen wir strategisch auf die Energieträger Gas und Strom. Es wird nicht die eine Lösung geben. Deswegen können wir es uns nicht erlauben, nur auf ein Pferd zu setzen. Deswegen muss künftig auch grüner Wasserstoff dazu beitragen, die CO2-Emissionen in der Wärmeversorgung von Gebäuden zu reduzieren.“
Welche Meinung vertritt hierzu die Politik in ihren nationalen und internationalen Wasserstoff-Strategien? Mehr als 20 Länder, die für fast die Hälfte der globalen Wirtschaftsleistung stehen, haben weltweit mittlerweile eine eigene Wasserstoff-Strategie verabschiedet. Weitere 30 Länder unterstützen nationale Wasserstoff-Projekte oder diskutieren darüber. Dabei fällt auf, dass in der Regel bis 2030 eine Marktaktivierung von Wasserstoff und von 2030 bis 2050 der Übergang zu einem sich etablierenden Wasserstoffmarkt erfolgen soll.
Win-win-Situation für Erzeuger und Verwender
Klar ist bereits heute: Die meisten Industriestaaten werden ihren Bedarf an Wasserstoff durch die eigenen Erzeugungskapazitäten nicht decken können. So rechnen beispielsweise Deutschland, Japan und Südkorea damit, künftig große Mengen an Wasserstoff zu importieren. Im Fokus dafür stehen Regionen, die über eine dauerhaft kalkulierbare, hohe Sonneneinstrahlung und viel Fläche für den Aufbau von Solarkraftwerken verfügen. Ideal dafür eignet sich u. a. der nordafrikanische Wüstengürtel. Durch den Aufbau riesiger Solarkraftwerke würden hier nicht nur Brachflächen genutzt, sondern auch Einnahmequellen für die nordafrikanischen Staaten entstehen.
Mit Strom aus diesen Solarkraftwerken könnte man dann theoretisch in küstennahen Elektrolyseanlagen grünen Wasserstoff aus Meerwasser gewinnen. Dieser Wasserstoff müsste für den Transport verdichtet und ähnlich wie verflüssigtes Erdgas mit Tankschiffen transportiert werden. Ein erstes Abkommen mit Marokko zum Aufbau einer Elektrolyseanlage ist bereits unterschrieben. Wie interessant derartige Kooperationen sein könnten, zeigt das ehemalige Forschungsprojekt „HySolar“ aus den 1980er-Jahren, das gleichzeitig ein Muster für die heutigen Noch-Ölexportländer des Nahen Ostens und Afrika für die „Zeit nach dem Erdöl“ sein kann. So ergab das Projekt, dass Saudi-Arabien auf nur einem Prozent seiner Landfläche genauso viel Wasserstoff aus Solarenergie herstellen kann, wie die geförderte und exportierte Energie aus Erdöl. Doch seinerzeit bewegten sich die Kosten für eine kWh Photovoltaikstrom (PV) noch bei rund 50 Cent. Heute lässt sich PV-Strom in Nordafrika bereits für 1 bis 2 Cent / kWh produzieren.
Doch nach wie vor bleibt die Frage, wo der zur Verfügung stehende Wasserstoff verwendet wird. Denn ohne Zweifel wird es noch Jahrzehnte dauern, bis die Erzeuger- und Transportkapazitäten den vorhandenen Bedarf decken können.
Bestehende Infrastruktur mit minimalen Investitionen für Wasserstoff nutzbar
Die deutsche Wasserstoff-Strategie definiert vier Sektoren: Industrie, Transport, Energie und Gebäude. Nachvollziehbar ist Wasserstoff im Transportsektor eine sinnvolle Ergänzung. Das gilt vor allem für den Luftverkehr, die Schifffahrt und den Straßenschwerlastverkehr sowie im Pkw-Bereich beim Einsatz auf langen Strecken. Auch in der Industrie bietet Wasserstoff für die Dekarbonisierung eine wichtige Perspektive. Dazu zählt z. B. die Direktreduktion von Eisenerz in der Stahlindustrie. Und auch die größte CO2-Emissionsquelle im privaten Bereich – die Wärme- und Warmwasserversorgung in Gebäuden spielt eine wesentliche Rolle zur Erreichung der bis 2050 gesetzten Klimaziele – sowohl in Deutschland als auch in der EU.
Neben der EU-Wasserstoff-Strategie bildet dabei die EU-Strategie für Energiesystemintegration einen relevanten Ankerpunkt. Sie stellt eine Verbindung zwischen den Zielen zur Klimaneutralität in der EU und der Notwendigkeit einer „Post-Covid-Strategie“ zur Förderung der europäischen Wirtschaft nach dem Ende der Corona-Pandemie dar. Insbesondere die Ausbauziele für Strom aus erneuerbaren Quellen will die EU massiv stärken. Nicht nur für elektrische Energie, sondern auch für den Einsatz von Gasen existieren Dekarbonisierungspläne. Der Mix soll zu 80 % aus Gasen aus erneuerbaren Quellen (wie z. B. Wasserstoff) bestehen und zu 20 % aus Gasen aus fossilen Quellen (wie z. B. Erdgas).
Der Wärmesektor bietet unbestreitbar Möglichkeiten, die CO2-Emissionen durch den Einsatz von Wasserstoff schnell, dauerhaft und im großen Maßstab reduzieren zu können, und zwar ohne massive Investitionen und ohne den Aufbau einer neuen Infrastruktur. Denn das existierende Gasnetz und die Gasversorgung eignen sich für die Beimischung von Wasserstoff. Auch sind an das öffentliche Gasnetz nicht nur private Verbraucher mit ihren Heizungen in Wohnhäusern angeschlossen, sondern auch Großverbraucher aus der Industrie – vor allen Dingen die Schwer- und chemische Industrie in Ballungsregionen. Das heißt: Eine Beimischung von Wasserstoff in das Gasnetz zieht eine Reduzierung der CO2-Emissionen an zahlreichen Positionen innerhalb der Sektoren Industrie, Energie und Gebäude nach sich – und das mit relativ geringen Eingriffen in die bestehende Infrastruktur.
Nicht Kompensation fossiler Energie, sondern Schnelligkeit der CO2-Reduzierung entscheidend
„Am Ende geht es um die zügige Reduktion von CO2-Emissionen – und nicht um eine Reduktion in Jahrzehnten, denn diese Zeit lässt uns der Klimawandel nicht“ so Dr. von Schroeter weiter. „Wenn man sieht, dass durch die Beimischung von grünem Gas in das bestehende Gasnetz die CO2-Emissionen spürbar sinken können, ist das ein sofortiger Gewinn für uns alle. Deswegen gibt es bereits zahleiche Projekte zum Einsatz von Wasserstoff-Technologien. Sie sind ein Teil im großen Puzzle der CO2-Reduzierungen. Dieses Puzzle lässt sich nicht durch Dogmen oder einseitige Ausrichtung auf einen Energieträger bzw. eine Technologie oder einen Sektor lösen. Im Mittelpunkt bei allen Puzzlestücken muss eine pragmatische und wirtschaftliche Reduzierung der CO2-Emissionen stehen. Die entscheidenden Erfolgsfaktoren sind Technologieoffenheit und eine individuelle Betrachtung der jeweiligen Voraussetzungen.“
Fazit
Vor allem „grüner“ Wasserstoff bietet das Potenzial, zur Dekarbonisierung beizutragen. In Verbindung mit bestehender Infrastruktur des Gasnetzes könnten auch Synergien für eine sinnvolle Nutzung von Ökostromspitzen entstehen. In der Verwendung und Verteilung des Wasserstoffs sollte eine schnelle Reduktion der aktuellen CO2-Emissionen mit minimalen Investitionen im Vordergrund stehen, um die Klimaziele der EU und Deutschlands noch erreichen zu können. Gleichzeitig bietet die kommende Produktion von Wasserstoff ökonomische Perspektiven für mehrere Entwicklungsländer.
Der Wärmesektor bietet unbestreitbar Möglichkeiten, die
CO2-Emissionen durch den Einsatz von Wasserstoff schnell, dauerhaft und im großen Maßstab reduzieren zu können.
Klar ist bereits heute: Die meisten Industriestaaten werden ihren Bedarf an Wasserstoff durch die eigenen Erzeugungskapazitäten nicht decken können.
Der Wärmesektor bietet unbestreitbar Möglichkeiten, die CO2-Emissionen durch den Einsatz von Wasserstoff schnell, dauerhaft und im großen Maßstab reduzieren zu können.