Nachgefragt bei: Dr. Peter Ramsauer – Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) ist Herausgeber des BundesBauBlattes. Chefredakteur Burkhard Fröhlich traf Bundesminister Dr. Peter Ramsauer zum Gespräch über aktuelle Fragen der Baubranche in Deutschland.

Herr Minister, ich möchte Ihnen ein paar Fragen stellen anlässlich des 60-jährigen Bestehens des BundesBauBlattes. Dabei soll nicht der Rückblick, sondern vielmehr die aktuelle Situation des Baugeschehens und die Zukunft der Baubranche im Vordergrund stehen. Eine ganz besondere Aufgabe hat das in Berlin in der Fasanenstraße errichtete Effizienzhaus Plus. Die Testfamilie ist gerade eingezogen, um in dem Musterhaus, bei dem Bauen und Verkehr als Einheit betrachtet wird, neue Erkenntnisse zu erlangen. Was ist Ihre Erwartungshaltung, was ist aus Ihrer Sicht das Besondere dieses Hauses?

Das Besondere ist, dass dieses Haus mehr Energie erzeugt, als man für das Bewohnen und Betreiben benötigt. Diese überschüssige Energie kann dann für die Elektromobilität genutzt werden. Man wohnt also im eigenen Kraftwerk, der eigenen Tankstelle. Mit dem Praxistest wollen wir unter realen Bedingungen proben, ob das so funktioniert, was noch verbessert werden muss, damit die Idee markt­reif wird. Da steckt eine Menge Potenzial drin. Sie wissen, dass ein Großteil der Energie im Gebäudebereich verbraucht wird. Diese Energie wird immer wertvoller, deshalb ist es wichtig, effizient damit umzugehen. Wenn Häuser künftig zur Energiegewinnung beitragen, an­­statt welche zu verbrauchen, ist das ein großer Schritt in die richtige Richtung.

 

Das Effizienzhaus Plus ist so gebaut, dass es nach der Nutzungsphase restlos zurückbebaut und recycelt werden kann. Welche Erkenntnisse erwarten Sie für das Bauen von heute und sind daraus Erkenntnisse auch für unseren Bestand abzuleiten?

Das ist ein ganz wichtiges Thema, das noch viel mehr diskutiert werden muss: was passiert mit den Baumaterialien, wenn ein Haus abgerissen wird? Sind moderne Gebäude künftiger Sondermüll? Nachhaltig Bauen bedeutet, dass Gebäude nicht nur energieeffizient sind, sondern am Ende ihrer Lebensdauer in ihre Materialanteile zerlegt und weitestgehend in den Stoffkreislauf zurückgeführt werden können. Das Ganze muss auch noch bezahlbar bleiben. Ich erhoffe mir Impulse für den Wohnungsneubau aus unserem Pilotprojekt. Auf Bestandsbauten wird das allerdings nur sehr bedingt übertragbar sein.

 

Ihr Ministerium hatte 2011 ein neues Förderprogramm für Modellhäuser aufgelegt, die den sogenannten „Plus-Energie-Standard“ erfüllen. Dafür standen im Jahr 2011 rund 1,2 Mio. € bereit. Mit dem Programm sollten Bauherren unterstützt werden, die Gebäude errichten, die deutlich mehr Energie produzieren, als für deren Betrieb notwendig ist. In diesem Zusammenhang ist ja auch das Effizienzhaus Plus entstanden. Ist das Förderprogramm erfolgreich gewesen und wird es 2012 weitergeführt?

Ja, das Programm soll auch in diesem Jahr fortgeführt werden. Wir fördern über die KfW-Bank ja einen ganzen Strauß von Maßnahmen im energieeffizienten Bauen. Da ist für jeden etwas dabei – von der Teilsanierung von Altbauten bis hin zum Neubau.

 

Bei der energetischen Ertüchtigung unseres Bestandes geht es nicht nur um die klassischen Bauten aus den 1950er, 1960er oder 1970er Jahren. Viele histo­rische Gebäude stehen unter Denkmalschutz, Ensembleschutz oder anderen besonderen baukulturellen Bedingungen. Die erforderlichen Maßnahmen zur energetischen Ertüchtigung sind oftmals, wenn überhaupt, nur unter erschwerten Bedingungen erreichbar. Was empfehlen Sie den Beteiligten?

Ich empfehle in jedem Fall grundsätzlich, Experten beizuziehen, bevor man ein altes Gebäude in Angriff nimmt. Vor allem, wenn es sich um sehr alte Bausubstanz handelt. Da ist schnell mehr kaputt gemacht als gewonnen, wenn man es übereilt angeht. Wir fördern ja mit unseren Programmen auch die Beteiligung von Energieberatern. Das lohnt sich! Ab April 2012 wird mit dem neuen Standard „KfW-Effizienzhaus Denkmal“ übrigens auch die För­­derung für denkmalgeschützte Gebäude und besonders erhaltenswerte Bausubstanz verbessert und vereinfacht. Wir un­­terstützen die Eigentümer gezielt, in diesen Gebäuden Energiesparmaßnahmen durchzuführen, oh­­ne den baukulturellen Wert zu schmälern.

 

Ein nicht erst auf uns zu kommendes, sondern schon längst vorhandenes Thema ist die demografische Entwicklung. Stadtentwicklung, Quartiersentwicklung und Urbanität haben in diesem Zusammenhang einen hohen Stellenwert. Was ist Ihre Einschätzung, was müssen Städte jetzt tun, um auf die Zukunft ­vorbereitet zu sein?

Menschliche Gesellschaften verändern sich permanent. Deshalb kann auch Stadtplanung niemals statisch sein. Die Städte und Gemeinden müssen flexibel mit den Herausforde­run­gen umgehen. Die Auswirkungen des de­­mo­gra­fi­­schen Wandels stellen sich ja sehr un­­­ter­­schiedlich dar. Wachstums- und Schrump­fungsprozesse finden oftmals gleichzeitig und teils auch in räumlicher Nähe statt. Bereits heute müssen Städte und Gemeinden ihre öffentlichen Räume und Infrastrukturen an­­passen, um ihre Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit als Wohn-, Wirtschafts- und Kulturstandorte zu erhalten und auszubauen. Mit der Städtebauförderung haben wir ein wirksames Instrument, um die Städte und Gemeinden hierbei zu unterstützen.


Zu dieser Zukunft gehört auch der länd­liche Raum. Wir erleben in vielen Bereichen eine Landflucht mit Veränderungen der gesamten Infrastruktur auf dem Land als Folge. Wie können wir sicherstellen, dass die Lebensqualität auf dem Land erhalten bleibt?

Wir müssen den ländlichen Raum als attraktiven Lebensraum stärken und die Anbindung, die Mobilität sicher stellen. Deshalb habe ich 2010 die „Initiative Ländliche Infrastruktur“ gestartet. Ihr Ziel ist unter anderem die Sicherung der öffentlichen Daseinsvorsorge. Die Initiative setzt auf die Ideen und die Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger vor Ort. Mit unserem Wettbewerb „Menschen und Erfolge“ sammeln wir diese Ideen und machen sie einem breiten Publikum be­­kannt – mit der ausdrücklichen Aufforderung zur Nachahmung. Mit unserem „Aktionsprogramm Regionale Daseinsvorsorge“ unterstützen wir darüber hinaus gezielt 21 besonders betroffene Regionen, Landkreise und Gemeindeverbünde bei der Erarbeitung und von Maßnahmen zur Sicherung der Daseinsvorsorge. Der Bund fördert dieses Programm mit 6,5 Mio. €. Und mit dem 2010 neu aufgelegten Städtebauförderungsprogramm „Kleinere Städte und Gemeinden“ helfen wir gezielt den kleinen Kommunen im ländlichen Raum. In diesem Jahr stellt der Bund dafür 44,4 Mio. € bereit.


Die Prognosen zu den demografischen Veränderungen haben natürlich auch Auswirkungen auf den Bestand der Wohnungswirtschaft. Diese sind weitgehend bekannt. Werden aus Ihrer Sicht
die zu erwartenden Veränderungen ­konsequent berücksichtigt und daraus geeignete Maßnahmen abgeleitet?

Das ist richtig. Seit Jahren geht die Bevölkerungszahl zurück, die Haushalte werden im Durchschnitt älter und vor allem immer kleiner. Das bedeutet, dass jeder Einwohner pro Kopf mehr Platz benötigt als früher.  Darauf stellt sich die Wohnungswirtschaft seit Jahren ein. Der Wohnungsmarkt ist in Deutschland stabil. Den großen Verwerfungen wie dem flächendeckenden Wohnungsleerstand durch Abwanderung nach der Wiedervereinigung sind wir sehr erfolgreich mit den Stadtumbauprogrammen entgegen getreten. Da­­mit haben wir die Wohnungswirtschaft und die betroffenen Städte und Gemeinden in Deutschland stabilisiert. Die drei großen Zukunftsthemen für die Wohnungswirtschaft sind: be­­zahlbaren Wohnraum für alle Bevölkerungsgruppen sicher zu stellen, den Wohnungsbestand für ältere Menschen anzupassen und energieeffizient zu machen. In allen drei Bereichen unterstützt der Bund die Länder kräftig mit Finanzmitteln und KfW-Förderprogrammen.↓

Wir haben in der Bundesrepublik hehre Ziele für den Klimaschutz gesetzt. Bis 2020 sollen alle Neubauten klimaneutral gebaut werden und bis 2050 auch die Altbauten dieses Niveau erreichen. Sehen Sie uns auf gutem Weg zu diesen Zielen? Und welche Rolle spielt das bisher so erfolgreiche CO2-Gebäudesanierungs­programm in Zukunft?

Die energetische Sanierung des Gebäudebestands ist von zentraler Bedeutung, um den Energieverbrauch zu reduzieren. Die Ziele sind engagiert, aber erreichbar. Wir fördern die energetische Sanierung bestehender Gebäude ja bereits seit Jahren, über 2,7 Mio. Wohnungen wurden damit saniert. Bei ­Neubauten ist Niedrigenergiestandard in Deutschland inzwischen Standard. Wir werden das energieeffiziente Bauen auch weiter fördern. Von der EU kommen ja ebenfalls entsprechende Forderungen. Eigentümer und Mieter dürfen aber wirtschaftlich und finanziell nicht überfordert werden. Wir werden deshalb auch weiterhin Bundesmittel für die Förderung des energieeffizienten Bauens und Wohnens bereitstellen. Wir beschreiten auch neue Wege: Mit dem KfW-Programm „Energetische Stadtsanierung“ machen wir den Schritt vom einzelnen Gebäude zu quartiersbezogenen Lösungen. Und bei Neubauten sind wir inzwischen bereits bei Modellen, die Energie produzieren. Die Entwicklung dieser Effizienz-Plus-Häuser fördern wir ebenfalls. ↓

Was ist zu tun? Was empfehlen Sie den Bauherren und Investoren?

Die Rahmenbedingungen für Investitionen in Immobilien waren selten so günstig wie heute – es gibt staatliche Förderungen und sehr niedrige Bauzinsen. Durch die energetische Sanierung gewinnt eine Immobilie ja auch an Wert und hat gegenüber anderen einen Wettbewerbsvorteil. Lauter überzeugende Gründe, um heute die energetische Modernisierung anzugehen.

 

Die Bauwirtschaft boomt derzeit. Nicht nur der Bestand wird energetisch ertüchtigt, sondern die Zulassungszahlen im Neubau waren 2011 überdurchschnittlich hoch und werden wohl auch 2012 ähnlichen Erfolg erzielen. Sie haben selbst einmal Ziele definiert für eine erfolgreiche Entwicklung des Bau- und Immobiliensektors: Steigerung der Qualität des Bauens, der Mittelstand als Leistungsträger und hohe Innovationsfähigkeit der Branche. Sehen Sie alle drei Punkte erfüllt oder schon mit entsprechenden Veränderungen?

Diese Maxime gilt nach wie vor. Qualität ist für die Baubranche der wesentliche Wettbewerbsfaktor im In- und Ausland. Die deutsche Bauwirtschaft ist überwiegend mittelständisch geprägt und genießt international einen sehr guten Ruf. Das stelle ich immer wieder auf meinen Auslandsreisen fest. Das hohe Niveau führt zu erheblichen Exporterfolgen. Deutsche Produkte und Dienstleistungen sind im Ausland gefragt, denn sie stehen für hohe Qualität. Dieses gute Niveau gilt es zu erhalten und auszubauen. Besonders bei der Energieeffizienz profitieren wir von der Innovationskraft der Baubranche. Ein Beispiel: Rund ein Viertel der zwischen 2000 und 2007 beim Europäischen Patentamt angemeldeten Pa­­tente im Technikbereich Bau stammen aus Deutschland. Die Bundesregierung unterstützt diese Entwicklung mit der Forschungsinitiative „Zukunft Bau“.

 

Noch mal kurz zurück zum Effizienzhaus Plus: Prof. Dr. Dr. Sobek sagt zu seinem Entwurf des Effizienzhaus Plus, dass Häuser nicht so aussehen müssen wie Effizienzhäuser. Vielmehr sollen sie fulminant und atemberaubend sein. Empfinden Sie das auch so? Und: Könnten Sie sich vorstellen, in dem Haus mit Ihrer Familie zu wohnen?

Für die Effizienzhäuser Plus gilt – was im Übrigen für alle anderen Gebäude auch gelten sollte – keine Einheitsarchitektur, sondern individuelle Lösung mit architektonischer Qualität. Die Konzeption und Architektur unseres Effizienzhauses in Berlin gefällt mir gut – da wir vier Töchter haben, müss­te es aber etwas größer sein.

 

Eine letzte, in diesem Zusammenhang aber ganz persönliche Frage. Wenn Sie nach persönlicher Einschätzung und ganz unabhängig ohne Rücksicht auf Investitionen und politische Entscheidungswege die drei aus Ihrer Sicht wichtigsten Maßnahmen für die Zu­­kunft der Baubranche entscheiden könnten, was müsste unbedingt getan werden?

Die Bauwirtschaft muss weiter für hohe Qualität sorgen und dafür entsprechende Strukturen stärken. Die Beteiligten – vom Planer bis zum Handwerker – müssen sich als Team verstehen. Sie müssen gut ausgebildet und gut bezahlt werden. Auch das Image der Baubranche muss verbessert werden. Transparente Vergabestrukturen und Sicherheit auf der Baustelle sind hier nur zwei von vielen wichtigen Themen. Die Baubranche muss auch weiterhin auf technischen Fortschritt und Innovationskraft setzen. Wir brauchen eine starke Bauwirtschaft, um eine moderne und leistungsfähige Infrastruktur sicher zu stellen. Denn das ist das Rückgrat unserer Wirtschaft und unserer Gesellschaft.

 

Herr Minister, ich danke Ihnen für das Gespräch.


Die drei großen Zukunftsthemen für die Wohnungswirtschaft sind: bezahlbaren Wohnraum sicher zu stellen, den Wohnungsbestand für ältere Menschen anzupassen und energieeffizient zu machen.

Wir brauchen eine starke Bauwirtschaft, um eine moderne und leistungsfähige Infrastruktur sicher zu stellen. Denn das ist das Rückgrat unserer

Wirtschaft und unserer Gesellschaft.

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