Wie kommt Datentransparenz in den Heizungskeller?
Beim Erfassen, Analysieren und Reduzieren von CO2 stehen viele Akteure der Wohnungswirtschaft erst am Anfang, obgleich die Treibhausgasemissionen im Gebäudesektor bis 2030 um 65 % gegenüber 1990 verringert werden sollen. Zeitnah ist also Datentransparenz in den Heizungskeller zu bringen. Nur wie? Können PropTech-Lösungen helfen?
Als das Umweltbundesamt gemeinsam mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz im März 2022 die vorläufigen Zahlen zu den CO2-Emissionen im Vorjahr verkündete, bekam der Gebäudesektor erneut die rote Karte: 115 Millionen Tonnen des klimaschädlichen Treibhausgases stießen Gebäude in 2021 aus. Das waren zwar 3,3 Prozent weniger als im Jahr zuvor. Dennoch wurden die Einsparziele der Bundesregierung von 113 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr verfehlt.
Dass es deutlich mehr Anstrengungen bedarf, als die bisherige jährliche Sanierungsrate von nicht einmal einem Prozent, ist den Wohnungsunternehmen wohl bewusst. Auch ist ihnen klar, dass in bestehende Heizungsanlagen deutlich mehr Effizienz gebracht werden muss. Wie das Wohnen bis 2045 klimaneutral werden soll, ist indes völlig offen. Ohne Digitalisierung dürfte es nicht gehen. Schließlich sind valide Daten nötig, um zu wissen, wie viel CO2 ein Wohngebäude in die Luft bläst und welche Maßnahmen am wirkungsvollsten sind, um die Emissionen innerhalb des Zeitrahmens bestenfalls auf Null oder wenigstens nahe Null zu drücken.
Wärmeerzeugern auf den Zahn fühlen
Eine Möglichkeit, um Wärmeerzeugern systematisch auf den Zahn zu fühlen, kann der Einsatz von PropTech-Lösungen sein. Datentransparenz in den Heizungskeller will etwa das Start-up ENER-IQ bringen. Das 2018 gegründete Unternehmen mit Sitz in Norderstedt vor den Toren Hamburgs bietet eine Software-as-a-Service-Lösung, die den Betrieb von Wärmeerzeugern mittels Künstlicher Intelligenz (KI) optimiert. Über vorhandene Schnittstellen, oder bei älteren Heizungsanlagen extra Sensorik, erfasst die Anwendung Daten aus Heizungsanlagen in bis zu sekündlicher Auflösung. Auf der cloudbasierten Plattform werden die Daten aufbereitet und analysiert. Anschließend macht eine integrierte KI automatisch Verbesserungsvorschläge und alarmiert bei Ausfällen, Störungen oder Leckagen wahlweise den zuständigen Techniker oder Handwerker.
„Unsere Kunden aus der Wohnungswirtschaft kämpfen mit dem Druck, Energie und CO2 sparen zu müssen, und mit ausfallenden Heizungsanlagen, die zu unzufriedenen Bewohnern führen“, berichtet Mitgründer und Geschäftsführer Sven Rausch. Hier setze die Lösung an, indem sie unterstütze, Energie zu sparen, Reparaturen zu vermeiden oder zu beschleunigen und die Lebensdauer der Anlagen zu verlängern. Zudem ermöglichten die zusätzlich zur Verfügung gestellten Kennzahlen datenbasierte Handlungsentscheidungen.
Zu den derzeit 20 Kunden, die das Start-up betreut, gehört die Joseph-Stiftung. Das kirchliche Wohnungsunternehmen setzt die Software seit rund zwei Jahren in einigen Liegenschaften probehalber ein, um den darin verbauten Wärmeerzeugern (Wärmepumpe, Gas- und Pelletheizung, u.a.) auf den Zahn zu fühlen. Michaela Meyer, zuständige Bereichsleiterin für die Bestandsentwicklung, überzeugt besonders die Möglichkeit, perspektivisch alle Anlagen an einem Standort virtuell im Blick zu haben: „Das wäre ein echter Gewinn“. Wie es mit dem Einsatz der KI sei, werde man sehen. Momentan befänden sich die Algorithmen in der Trainingsphase. Nützlich wäre überdies, ein CO2-Soll-Szenario für jedes Gebäude durchspielen zu können. So lasse sich sehen, welche Maßnahme wie viel CO2-Ersparnis bringe, um auf ein möglichst niedriges Niveau zu kommen.
Komplexe Energiesysteme einfach steuern
Auch das Berliner Start-up Green Fusion will die Heizungsanlagensteuerung durch Bits und Bytes verbessern, um Energie und CO2 zu sparen. Dazu entwickelten die Ingenieure eine Software, die die herstellerunabhängige Bedienung und Auswertung hybrider Energiesysteme durch offene und standardisierte Schnittstellen sicherstellt. „Gerade für vernetzte Quartiere ist eine interoperable Lösung unerlässlich“, sagt Geschäftsführer Paul Hock. Der studierte Wirtschaftsingenieur und sein Team kennen die Last mit proprietären Wärmeerzeugern durch die Mitarbeit an der energetischen Quartierssanierung der Wohnanlage Lichterfelde der Märkischen Scholle eG in 2018.
Damals noch Studenten, zerbrachen sie sich die Köpfe, wie man die vielen verschiedenen Anlagen, die über 850 Wohnungen mit Wärme versorgen, zu einem intelligenten Energiesystem verbindet, so dass sie nicht gegeneinander, sondern aufeinander abgestimmt funktionieren. Eine Sisyphusarbeit, die im digitalen Zeitalter, wo fast alles per Plug-and-Play läuft, eigentlich unnötig sein sollte. Also wurde programmiert, was das Zeug hält. Das Resultat ist ein schlauer Energiemanager, der unter anderem in einem energetisch sanierten 21-Parteien-Haus mit rund 2.400 Quadratmetern in Berlin-Pankow im Einsatz ist, wo er eine Erd- und eine Luftwärmepumpe sowie eine Geothermie- und eine PV-Anlage, die die alten Gaskessel ersetzen, vernetzt steuert. Nur ein Gaskessel dient als Back-up in Spitzenlastzeiten.
Maximal 33 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr benötigt das Gebäude an grüner Energie. Vor der Sanierung war es ein ordentlicher Energieschlucker und ein Klimasünder obendrein. Über ein Dashboard im Hausflur sehen die Bewohner, wie viel Energie sie erzeugen und verbrauchen. Bei einer Störung erkennen sie sofort, wo der Fehler liegt und können reagieren. Für Immobilieneigentümer sei die Lösung auch deshalb interessant, weil die Energie- und CO2-Daten exportiert werden könnten, um sie mit Werten in anderen Datenbanken zu vergleichen, etwa mit denen der gemeinnützigen Beratungsgesellschaft co2online, erläutert Hock. Dadurch wäre die Performanz des eigenen Gebäudes besser einzuordnen.
Klimawirkung messbar machen
Viel Gehirnschmalz ist auch in die Softwarelösung des Start-ups Right Based On Science geflossen. Das aus Frankfurt stammende Jungunternehmen hat vor vier Jahren eine Klima-Metrik namens „X-Degree Compatibility“ (XDC) konzipiert und diese in Kooperation mit der sozial-ökologischen GLS Bank, dem auf komplexe Analysen spezialisierten Beratungsunternehmen D-fine und dem Wohnkonzern Vonovia auf Immobilien erweitert. Anhand der Gebäude- und Energiedaten einer Immobilie wird die konkrete Gradzahl ermittelt, die der zu erwartenden Erderwärmung entspricht, wenn alle Gebäude weltweit vergleichbar gebaut wären. „Damit machen wir die Klimawirkung jedes einzelnen Gebäudes fassbar und regen zum Handeln an“, sagt Mathematikerin Liv Hammann, die auf Umweltmodellierung spezialisiert ist und als Analystin im Team des PropTechs arbeitet, dem überdies Physiker, Juristen, Softwareentwickler und Wirtschaftswissenschaftler angehören.
Das Anliegen des Start-up ist es, wissenschaftliche Fakten zum Klimawandel und dessen Auswirkungen zu liefern, die die Basis für Unternehmensentscheidungen bilden, statt dass diese weiter im diffusen Kleinklein verharren. Anfangs nur als spröde Excel-Tabelle verfügbar, wird es voraussichtlich ab November dieses Jahres eine benutzerfreundliche Webversion geben, in die die zur Berechnung nötigen Informationen wie Flächengröße, Gebäudetyp und Emissionswerte einzugeben sind. Anschließend können weitere Werte eingegeben werden, um den Effekt möglicher Sanierungsszenarien auf die besagte Gradzahl zu berechnen.
Die Vonovia hat ihren gesamten Gebäudebestand mit Hilfe der Methodik bereits ausgewertet und Erkenntnisse zur Klimawirksamkeit des Portfolios auf verschiedenen Betrachtungsebenen (Einzelgebäude, Quartiere, regionale Abgrenzung) gewonnen. Zudem werden Modernisierungsszenarien für einzelne Gebäude simuliert. Momentan arbeite man an der Weiterentwicklung der Software, so ein Sprecher, damit die Simulationen passgenauer auf den Bestand anwendbar wären.
Start-up-Programm lockt innovative Köpfe
Dass sich die Herausforderungen der Zeit, insbesondere die Bewältigung der Klimakrise, nur mit modernen Lösungen adäquat bewältigen lassen, weiß auch die Gewobag. In 2019 modernisierte die Großvermieterin mittels neuer Technologien, modernster Smart Home-Anwendungen und einem ausbalancierten Energiekonzept 734 Wohnungen in ihrem Wohnpark Mariendorf und reduzierte so den CO2-Ausstoß ihres Quartiers um 3.000 Tonnen pro Jahr. Maßgeblich daran beteiligt war das Start-up Zuhause Plattform, das die Prozessvernetzung- und steuerung verantwortete.
Um die Möglichkeiten der Digitalisierung noch besser zu nutzen und digitale Innovationen anzuschieben, gründete die landeseigene Wohnungsgesellschaft im Juni 2021 das Tochterunternehmen Gewobag ID, das sich um Innovation, Digitalisierung und Geschäftsfeldentwicklung kümmert. Eingebettet ist die Neugründung in das Innovations- und Start-up-Programm der Gewobag, das im letzten Jahr erstmals mit dem Wettbewerb zum Thema Energieeffizienz startete. Gesucht waren innovative Köpfe für Lösungen im Bereich Energiedatenmanagement. Den Gewinnern winkten Preisgelder bis zu 20.000 Euro plus die Realisierung eines gemeinsamen Pilotprojektes. Platz Zwei belegte ein gemeinsamer Beitrag des oben erwähnten Start-ups Green Fusion und Delta Heat aus Berlin. Der dritte Preis ging an einen Einzelbeitrag von Green Fusion.
Die Suche nach praktikablen Lösungen für ein effektives und zugleich transparentes Energie- und CO2-Management, damit Wohngebäude in Zukunft erwiesenermaßen klimafreundlich sind, hat in der Wohnungswirtschaft also begonnen. Die Zeit drängt, passende Antworten zu finden. Denn ob es bei dem Jahr 2045 bleibt, in dem Deutschland klimaneutral sein will, ist alles andere als sicher. Vielleicht wird der Zeitpunkt von der Politik vorverlegt. Die Findungsphase sollte demnach nicht mehr allzu lange dauern.