Helfen PropTech-Lösungen aus der Energie- und Klimakrise?
Hohe Energiepreise sowie verschärfte Anforderungen an die Effizienz und CO₂-Sparsamkeit von Heizungsanlagen zwingen Wohnungsunternehmen zum Handeln. Der Druck ist enorm, denn selbst neuere Anlagen, die regenerative Energieträger nutzen, sind selten fit für die Energiewende. Helfen PropTech-Lösungen, die Herausforderungen zu bewältigen?
Das Thema Energie sorgt in Wohnungsunternehmen für viel Arbeit: Da sind zum einen die sicherlich mit Mietern zu führende Diskussion über die Höhe und Korrektheit der Nebenkostenabrechnung aufgrund explodierter Energiepreise und Fragen zur Handhabung der in 2023 geltenden Gaspreisbremse. Zum anderen ist die Energiewende im Heizungskeller dringend zu forcieren, um effektiv Energie und CO₂ einzusparen. Denn nicht nur der nächste Winter kommt bestimmt, in dem es die Mieterschaft kostenverträglich warm haben will. Auch die Politik erwartet von der Branche, dass sie Energiefresser konsequent auf Diät setzt.
Kleiner Eingriff, große Wirkung
Die WBG Fürth arbeitet seit Januar 2023 mit dem System „Paul“, das Sensoren und automatisierte Regulierventile (genannt Aktoren) an der Trinkwasseranlage und am Heizungsnetz nutzt. Künstliche Intelligenz (KI) regelt optimal Temperatur und Volumenstrom und sorgt für einen ständigen hydraulichen Abgleich. Der Einbau der Geräte in die Heizungs- und Warmwasser-Zirkulationsstränge erfolgte zunächst in 450 Wohnungen. Nach der Installation ging das System gleich in Betrieb und analysiert seitdem Daten wie Wassertemperatur und Durchflussmenge in Echtzeit, die mittels KI optimiert werden.
Dadurch konnten nicht nur bis zu 40 Prozent Energie und CO₂ gespart werden, auch die Legionellenbildung wurde reduziert. Für Rolf Perlhofer, Geschäftsführer der WBG Würth, übertraf „Paul“ bereits im ersten Monat die Erwartungen: „Im Wohnviertel Hardhöhe sparten die ersten Projekte 29 Prozent Energie. Ich gehe davon aus, dass wir alle 1.800 Wohneinheiten mit dem System ausstatten“.
Auch die Hamburger Baugenossenschaft freier Gewerkschafter (bgfg) setzt beim Abbremsen der Heizkosten auf die Intelligenz von „Paul“. Im ersten Schritt ist geplant, das System in rund 1.000 der insgesamt 7.657 Wohnungen zu installieren, wo es, wie in Fürth, neben der optimalen Regelung von Temperatur und Volumenstrom, gleichzeitig für einen ständigen hydraulischen Abgleich sorgt.
Überzeugt habe bgfg-Vorstand Peter Kaye die Lösung, „weil sie nur minimal in die vorhandene Technik eingreife, der Einspareffekt jedoch spürbar sein soll.“ Die zu erwartende Energieeinsparung durch „Paul“ beziffert Unternehmenssprecherin Nicole Meßmer-Pohan mit mindestens 15 Prozent. Überdies sei die Lösung nahezu investitionsfrei, weil die Technik umlagefähig wäre. Darüber hinaus ließen sich die eingesparten Energiekosten - nach Abzug einer Servicegebühr für den Lösungsanbieter - zwischen Vermieter und Mieter aufteilen.
Virtueller Ingenieur überwacht Prozesse
Die Würzburger Wohnungsgenossenschaft (WWG), die 1.029 Wohnungen in 137 Gebäuden bewirtschaftet, setzt beim Einsparen von Wärmeenergie ebenfalls auf Bits und Bytes. Zur Optimierung von vier Heizungsanlagen arbeitete sie im Zuge des Forschungsprojekts „Kinergy“ mit dem PropTech Ener-iq zusammen. Wie in Hamburg, so lieferten auch hier an die Anlagen angebrachte Sensoren laufend Daten, die mittels künstlicher Intelligenz aufbereitet werden, so dass ineffiziente Prozesse schnell aufzuspüren sind. „Denn wenn eine Anlage ineffizient läuft, ist trotzdem die Heizung und warmes Wasser da, aber sie verbraucht mehr Energie“, so der technische Leiter der WWG Sebastian Reeg.
Bei den Wärmeerzeugern erkannte die schlaue Technik etwa, dass ein Heizkessel immer die Maximaltemperatur erreicht und daher hart abgeschaltet wird, was seine Effizienz reduziert. Außerdem stellte sie das permanente Durchströmen eines Gaskessel fest, was zu einer ungewollt niedrigen Gesamttemperatur führt und nachfolgend wiederum zu einer zu niedrigen Warmwassertemperatur führen kann. Insgesamt deckte die künstliche Intelligenz 64 Probleme und Potenziale auf, die von den Technikern behoben oder auf Nutzbarkeit überprüft wurden.
Nach Erfahrungen mit rund 900 Heizungsanlagen in Deutschland sieht Sven Rausch, Geschäftsführer von Ener-iq, das Einsparpotenzial von Energie und CO₂ bei rund 20 Prozent. „Wir bieten Wohnungsunternehmen einen virtuellen Ingenieur, der ständig Erkenntnisse liefert“. Diese wären nämlich rar. Viele Wohnungsunternehmen wüssten schlichtweg nicht, was wärmetechnisch in ihren Heizungskellern vor sich gehe, wobei es gleich sei, wie alt eine Anlage wäre und ob sie konventionelle, regenerative Energieträger oder einen Mix aus beidem nutze. „Mit digitaler Technik lässt sich schon nach ein bis zwei Monaten eine erste Analyse durchführen“, so der Informatiker. Zu erkennen ist zum Beispiel, ob eine Regelung falsch eingestellt ist oder ein Sensor nicht richtig verbaut wurde, so dass gleich an der richtigen Stelle nachjustiert werden kann, was Zeit und Geld spart und obendrein das Handwerker-Personal entlastet.
Komplexe Systeme einfach steuern
Bits und Bytes helfen nicht nur, den Energieverbrauch und die CO₂-Emissionen konventioneller Heizungsanlagen, die auf Gas und Öl basieren, zu reduzieren. Ebenso vernetzen sie regenerative Energieerzeuger miteinander und steuern deren Prozesse aufeinander abgestimmt. Denn auch hier gibt es offensichtlich ebenfalls viel zu tun, wie Paul Hock, Chef des Berliner PropTechs Green Fusion berichtet: „Gerade für eine vernetzte Energieversorgung in Quartieren ist eine interoperable Lösung unerlässlich“. Die wäre häufig aber nicht vorhanden, so dass Wärmepumpe, PV-Anlage und Geothermie parallel oder sogar gegeneinander liefen.
Um die Anlagen zu koppeln, entwickelten der Ingenieur und sein Team eine Software, die eine herstellerunabhängige Bedienung und Auswertung hybrider Energiesysteme durch offene und standardisierte Schnittstellen bietet. Das Resultat ist ein digitaler Energiemanager, der zum Beispiel in einem energetisch sanierten 21-Parteien-Haus mit rund 2.400 Quadratmetern in Berlin-Pankow eine Erd- und eine Luftwärmepumpe sowie eine Geothermie- und eine PV-Anlage, die die alten Gaskessel ersetzen, vernetzt steuert. Lediglich ein Gaskessel dient als Back-up in Spitzenlastzeiten. Maximal 33 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr benötigt das Gebäude an grüner Energie. Zuvor war es ein ordentlicher Energieschlucker und ein Klimasünder obendrein.
Über eine Anzeigetafel im Hausflur sehen die Bewohnerinnen und Bewohner, wie viel Energie sie verbrauchen und erzeugt wird. Bei einer Störung erkennen sie sofort, wo der Fehler liegt und können reagieren. Neben größeren Wohnungsunternehmen, wie die Gewobag AG und die Howoge GmbH, zählen laut Hock auch kleinere Wohnungsgesellschaften und -genossenschaften zu den Kunden. Außerdem wäre die Lösung auch deshalb für Eigentümer interessant, weil die Energie- und CO₂-Daten exportierbar seien, um sie mit anderen Werten zu vergleichen, etwa mit denen in der Datenbank der gemeinnützigen Beratungsgesellschaft co2online. Dadurch ließe sich die Performance des eigenen Gebäudes besser einordnen.
Mehr Transparenz durch digitale Zähler
Green Fusion kooperiert mit dem PropTech KUGU, das Wohnungsunternehmen mit einer Software-as-a-Service-Lösung und intelligenten Algorithmen in die Lage versetzt, über digitale Zähler die Energieeffizienz im Heizungskeller zu steigern und den Heizkostenabrechnungsprozesse weitestgehend automatisiert durchzuführen. Die Zähler nutzen zur Datenübertragung OMS 4 (Open Metering System), ein drahtloser Funkstandard für uni- und bidirektionale Zähler und Gateways, der im Einklang mit den Anforderungen des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik stehen. Eine Bewohner-App erlaubt ein tagesaktuelles Tracking von Verbrauchsdaten und erhöht damit die Transparenz der Heizkostenabrechnung.
„Rund 1.000 Heizungsanlagen haben wir bereits optimiert und erzielen Energieeinsparungen zwischen 12 und 13 Prozent“, berichtet Christopher von Gumppenberg, der das Unternehmen 2016 zusammen mit Leopold Kuttner gründete, Bei den derzeitigen Energiepreisen amortisierten sich die Investitionskosten von 90 bis 150 Euro pro Anlage in ein bis zwei Jahren, ist sich der Gründer sicher.
Zu den Lösungsnutzern gehören unter anderem die TAG Immobilien AG und die zuvor bereits erwähnte Gewobag. Letztgenannte sucht den Markt systematisch nach pfiffigen PropTech-Lösungen ab und schuf mit dem 2021 ins Leben gerufenenInnovationspreis - den KUGU gewann - ein Vehikel, um mit kreativen Köpfen und Unternehmen in Kontakt zu kommen und Pilotprojekte zu initiieren.
Das Know-how der PropTechs nutzen
Die Beispiele zeigen, dass es sich für Wohnungsunternehmen lohnt, gemeinsam mit PropTechs an der Energiewende im Heizungskeller zu arbeiten. Zumal sie neben einer funktionierenden Lösung, die zeitnah relevante Ergebnisse liefert, auch das digitale Know-how der jungen Talente einkaufen, was ihnen bei der Transformation weiterer technischer oder kaufmännischer Prozesse nützlich sein kann. Genau genommen haben sie auch keine andere Wahl als mit ihnen zu kooperieren, denn nicht nur die Politik erhöht das Tempo bei der Energiewende.
Auch der Geschäftserfolg hängt zunehmend von wirksamen Energie- und CO₂-Sparmaßnahmen ab. So wird vermutlich kein Mietinteressent in Zukunft eine Wohnung in einem sogenannten „Worst Performing Building“, also einem Gebäude in der Energieeffizienzklasse H mit einem Endenergieverbrauch von über 250 kWh pro Quadratmeter, anmieten wollen, angesichts drohender horrender Energiekosten und CO₂-Abgaben. Ebenso wenig dürften Banken infolge der ESG-Regulatorik, die Unternehmen auf den Pfad der Nachhaltigkeit führen soll, Darlehen ohne plausiblen Dekarbonisierungsfahrplan gewähren. Abwarten ist also keine Option. Stattdessen heißt es: Schnellstens aktiv werden.