Zwischen Common Ground und Allmende

Ein Rundgang über die 13. Architekturbiennale Venedig und ein ausführlicher Blick auf den deutschen Beitrag

„Routine is the enemy“, „Routine ist der Feind“, schrie es einem in den hedonistischen 90ern aus der Off-Kultur schrill entgegen. Was in seiner schlichten Anti-Rhetorik heute nur noch als Motto-T-Shirt taugt, hatte sich jedoch in den letzten Jahren still und heimlich bei der Architekturbiennale Venedig eingeschlichen. Routiniert und ritualisiert bewegten und kommentierten sich Journalisten, Ausstellungsmacher, Architekten und Verbandsvertreter alle zwei Jahre durch die Eröffnungstage.

Das Oberthema zu abstrakt, die Hauptausstellung wichtigtuerisch, nur Abwurfstelle des globalen Star-Netzwerks, zu viel des immer Gleichen. Und der deutsche Pavillon, ach ja, was soll man sagen, wo bitte ist denn die Architektur?

In diesem Jahr führte das bereits im Vorfeld zu einer Debatte darüber, ob eine Architekturbiennale überhaupt noch zeitgemäß und sinnvoll wäre. Und dann kam es doch anders. Die Biennale war das beste Argument für ihr Stattfinden. Und dass Routine vor allem Feind der Wahrnehmung ist, konnte man am eindrucksvollsten im deutschen Pavillon erfahren. Aber stopp, von vorn.

55 Nationen waren in diesem Jahr der Einladung der Biennale gefolgt und präsentierten sich mit eigenen Beiträgen. Zum Gesamtleiter wurde der Brite David Chipperfield berufen. Er verordnete der Biennale das Oberthema Common Ground. Und auch wenn das auf einen Vorschlag von Richard Sennett zurückgehende Motto für viele der Nationenkonzepte etwas spät kam, zeigte sich in den Diskursen und Beiträgen zur Eröffnung, dass er einen Nerv getroffen hatte. Das Common im Titel war Inspiration und Provokation zugleich.

Dabei ging es Chipperfield nicht gleich um Lösungen, sondern erst einmal um die Ressourcen des Gemeinsamen als eine Art globaler Allmende. Common Ground ist ein Appell an geteilte Ideen und Werte.

Ob das heute noch reicht, ist freilich fraglich wie lange nicht. Finanz- und Eurokrise machen die Fragilität des Zusammenspiels von Moral und konkretem Handeln allzu deutlich. Und die Hoffnung, dass in einer sozial, medial und in der Einkommensverteilung auseinanderdriftenden Welt die Städte die Möglichkeit und Chance der Rückkehr des Gemeinsamen bieten, hegen Planer schon seit Jahrzehnten.

Zersplitterte Teilöffentlichkeiten und wechselnde Interessen- und Akteurskonstellationen waren jedoch auch schon vor der Web 2.0-Revolution bekannt, ohne dass die Architektur in dieser Unübersichtlichkeit eine zentrale Rolle gefunden hätte. Insofern liegt in der Frage, was Architektur heute im Kern tatsächlich noch für Stadt und Gesellschaft leisten kann, eine gezielte Überforderung. Gleichwohl, Weltrettung als Bottom up-Prozess – was anderswo als Hybris gilt, ist einer Architekturbiennale eben angemessen.

Wenig Stars, viel Konzept – die Hauptausstellungen in den Giardini und im Arsenale

Heraus kam jedoch eine vergleichsweise stille Biennale. Die Selbstinszenierungen genialen Schöpfertums wurden heruntergeschraubt zugunsten eines nachdenklicheren Gestus‘. Damit ist Chipperfield das Risiko eingegangen, die Architekten auf ihrem liebsten Platzhirschterrain auf dem falschen Fuß zu erwischen. Aber die Länderpavillons und die Hauptausstellungen zeigten, dass sich dieses Risiko gelohnt hat. Was Chipperfield als kuratorischen Willen erkennbar machte, ist weniger eine Setzung denn eine Suchbewegung.

Gerade in den sonst immer Star-verdächtigen Hauptausstellungen in den Giardini und im Arsenale war eine Biennale zu erleben, die nicht nur die Spektakel der Architektur feierte und die eitle Werkmonografien weitestgehend vermied. Wie immer gab es Hochs und Tiefs. Aber bei der Komposition der gezeigten Arbeiten durch die vielen Räume überwog das Interessante, Überraschende und Inspirierende. Nur an einigen Stellen lugten die Heldeninsignien großer Stars noch hervor. Was dann idealistisch und heroisch wirken sollte, illustrierte aber eher globale Beliebigkeit und Ratlosigkeit im Umgang mit dem Thema.

Den Goldenen Löwen für den besten Beitrag in der Hauptausstellung bekam das Büro Urban Think Tank. Ihr Projekt Torre David / Gran Horizonte widmete sich einem im Rohbau stecken gebliebenen, ursprünglich für Büros gedachten Hochhaus in Caracas. Was dem aufstrebenden Land den Glanz ökonomischer Potenz geben sollte, verkam zu einer Bauruine, die zunächst unorganisiert zum vertikalen Slum und dann von den Bewohnern zu einer Turmstadt mit klaren Regeln und Strukturen entwickelt wurde. Der Beitrag steht für eine von mehreren Entgegensetzungen einer manchmal zum Labyrinth gewordenen Architekturauffassung des alten Europa im Kontrast zum Alltagswahnsinn von Stadtüberlebensstrategien weltweit.

Extreme Unterschiede in den Nationen­pavillons

Neben den starken Hauptausstellungen fiel das Gesamtbild der Nationenpavillons etwas schwächer aus. Wie üblich, standen die Konzepte für die meisten Länderpavillons schon fest, bevor Common Ground als das Oberthema ausgerufen wurde. Trotzdem gaben viele Nationen zu der ambitionierten Aufgabe, die Chipperfield ihnen gestellt hatte, kluge und gestalterisch anspruchsvolle Antworten. Auffallend war jedoch, dass ganz generell kaum wirklich Substanzielles zu den Auswirkungen der Finanz- und Euro-Krise und zur Diskussion um die Zukunft Europas zu sehen war. Eine Selbstauskunft der Architektur, noch dazu unter der Überschrift Common Ground, die nachdenklich stimmte.

Den Goldenen Löwen für den besten Nationenpavillon gab es in diesem Jahr für den maßgeblich von Toyo Ito verantworteten japanischen Pavillon. „Home for all“ widmete sich dem Wiederaufbau der vom Tsunami betroffenen Region in Japan. Bekannte japanische Architekten wie Yamamoto, Kuma und Sejima waren an dem Projekt mit Vorschlägen für die Neubebauung in der Region beteiligt. Die Idee, die neuen Häuser auf Baumstämme zu stellen und so zu versuchen, sie besser gegen neue Überschwemmungen zu sichern, wurde auch in der von Holzbalken im wahrsten Sinne des Wortes getragenen Ausstellung aufgenommen.

Der deutsche Pavillon war in diesem Jahr die Überraschung der Biennale. Bundesbauminister Peter Ramsauer, Schirmherr und  Hauptfinanzier des Beitrags, konnte sich bei der Eröffnung über ausgiebiges Lob von allen Seiten freuen. Der Münchner Architekt Muck Petzet als Generalkommissar im Team mit dem Designer Konstantin Grcic und der Fotografin Erica Overmeer widmeten sich unter dem den Strategien der Abfallwirtschaft entlehnten Titel „Reduce Reuse Recycle“ dem Weiterbauen des Vorhandenen.

Nur noch 1 % des Bauvolumens entfällt auf den Neubau, der Bestandsumbau ist als alltägliche Produktionsbedingung in der Realität der Planungsbüros angekommen. Insofern war das Herangehen von Petzet mehr als reine Begriffsstrategie. Der Mensch als Kurzfristoptimierer hat ausgedient. Ausgangspunkt war nach Petzet eine andere Wahrnehmung und eine affirmative Haltung gegenüber dem Vorhandenen. Nicht alles hat Qualität, nur weil man anders hinschaut, aber in der Bewusstwerdung liegt eine Neu-Bewertung als Veränderungsmöglichkeit ohne Tabula Rasa-Reflex. „Reduce Reuse Recycling“ propagiert nicht weniger als eine neue Planungsphilosophie, denn Architektur als Vermeidungsstrategie ist auch eine Einschränkung der in der Moderne fundamentierten (Schein)Autonomie des Architekten und seiner Handschrift.

Der Anspruch einer veränderten Wahrnehmung fand sich auch in der Gestaltung der Ausstellung wieder. Indem der Besucher den Pavillon nicht durch den Haupteingang, sondern über eine kleine Seitentür betrat, wurde die Zentralraumfixierung aufgebrochen und in eine aus den Durchblicken entstehende Raumcollage überführt. Das Ausstellungsdesign war großartig und simpel zugleich. Als Beispiele für die titelgebenden 3R wurden in der Ausstellung 16 Projekte mit jeweils einer großformatigen Fotografie präsentiert. Changierend zwischen dokumentarischem Abbild und künstlerischer Darstellung entwickelten die Bilder der Fotografin Erica Overmeer eine Atmosphäre an ganz unatmosphärischen Orten. Dem Ausstellungsraum fügte das eine zusätzliche Dimension hinzu, die bis zum Boden über die Scheuerleiste hinweg direkt auf die Wand geklebten Fotos ließen die Besucher fast hineintreten. Dabei zeichneten sich die Räume ansonsten durch die Abwesenheit von Design aus. Grcic hatte eine Ausstellung realisiert, in der die Gestaltung fast unsichtbar war und die, als hätten die Räume ein Mitspracherecht gehabt, dem Gebäude nicht abgetrotzt wurde.

Heraus kam ein Auftritt, der Gestaltung und Thema elegant verband und sich nicht mit zweidimensionalem Hochglanz großer Projekte in die Bedeutungslosigkeit navigierte. Mit dem den Raum kongenial bespielenden deutschen Schlingensief-Beitrag zur letzten Kunstbiennale schien der Pavillon im Grunde seine Bestimmung gefunden zu haben. Mehr geht nicht, dachte man, und irrte. Selten hat der Pavillon so gut als Ort eines deutschen ­Beitrags zur Architekturbiennale ­funktioniert.

Common Ground – eine neue Sprache des Umbaus

Im Ergebnis zeigte sich, dass der oft kritisierte Ländervergleich auch in Zeiten der Bedrohung globaler Nivellierungstendenzen im Bauen immer noch seine Berechtigung hat. Die unterschiedlichen Strategien der Thematisierung von Architektur und Stadt und deren kuratorische Reflexion führten ein interessantes Spektrum der Antinomien von Stadtentwicklung weltweit vor. Ein Spannungsbogen, der neben stringent kuratierten Großschauen wie der Documenta als Format einen wichtigen Beitrag für den internationalen Diskurs leistete.

Die Quellen der Möglichkeiten heutiger Architektur liegen außerhalb ihrer selbst. Um damit umzugehen muss sie eine neue Sprache finden, eine Sprache des Umbaus, des Öffentlichen in seinen neuen Erscheinungsformen und Verschränkungen mit dem realen Raum, der Identität und Zugehörigkeit. Der Weg von der Gesellschaft zur Gemeinschaft ist weit. Aber dass Architektur daraus schöpft, ist die Flaschenpost, die Chipperfield in Venedig abgesetzt hat. Mal sehen, wo sie ankommt.

Das Common im Titel war Inspiration und ­
Provokation zugleich.

Nur noch 1 % des Bauvolumens entfällt auf den Neubau, der ­Bestandsumbau ist als alltägliche Produktionsbedingung in der ­Realität der Planungsbüros angekommen.

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