Fernwärme

Grünes Netz für Bonns größtes Wohnquartier

Das novellierte Klimaschutzgesetz und die aktuellen energiepolitischen Entwicklungen verschärfen den Handlungsdruck in allen Sektoren. Wie eine intelligent konzeptionierte Quartierslösung grüne Wärme hocheffizient in den Wohnbau bringen kann, zeigt das derzeit größte Stadtentwicklungsprojekt Bonns.

Klimakrise und drohender Energieengpass legen derzeit neue Rahmenbedingungen für die kommunale Energiebereitstellung fest. Versorger stehen vor der unabwendbaren Herausforderung, lokale Potenziale von Erneuerbaren Energien zeitnah stärker einzusetzen. Während der Anpassungsdruck täglich zunimmt, profitieren diejenigen, die bereits ein insgesamt unabhängigeres Energiemanagement mit höheren regenerativen Anteilen auf den Weg bringen konnten.

Städte und Stadtquartiere sind als Einsatzbereiche von grünen Wärmenetzen in besonderer Weise geeignet, da sie anders als andere regenerative Energien - etwa aus Wind, Sonne, Wasserkraft oder Geothermie - keiner speziellen topographischen, geophysikalischen oder räumlichen Voraussetzungen bedürfen. Als wirklich wirksame, durchsetzungsfähige Zukunftslösungen sind diese jedoch nur dann einzustufen, wenn es gelingt, sie technologieoffen und auf Grundlage exakter Planungen und einer hohen technischen Umsetzungsqualität zu realisieren.

Vom Militärstützpunkt zum Lifestyle-Viertel

Eine nachhaltig geplante energetische Quartierslösung entsteht aktuell im Bonner Stadtteil Duisdorf: Dort, wo sich bis vor wenigen Jahren noch die ehemalige Gallwitz-Kaserne aus den 1930er Jahre befand, soll bis 2024 das größte Wohnquartier der Stadt fertiggestellt sein. Als Kooperationsprojekt von Wohnentwickler, Versorgerseite und Industriepartner entstehen derzeit auf dem 76.000 m2 großen Areal 520 neue Wohneinheiten mit einer Gesamtwohnfläche von 42.000 m2. Hinzu kommen 13.000 m2 Gewerbefläche.

Das Stadtentwicklungskonzept sieht vor, ein attraktives Wohnumfeld mit einer umwelt- und klimagerechten Energieversorgung zu kombinieren. Mit den Stadtwerken Bonn Energie und Wasser (SWB EnW) wurde dafür ein geeigneter Partner gefunden: Bereits seit den 1950er setzt der Versorger auf die Zustellung nachhaltiger Fernwärme und bezieht heute 82 Prozent seiner Stromlieferungen aus Erneuerbaren Energien. Zukünftig stellen die SWB EnW als Contractor die Fernwärme für das gesamte Areal des „Pandion Ville“ bereit. Die thermische Energie wird mit einem besonders niedrigen Primärenergiefaktor erzeugt: Er liegt bei 0,25 und einem CO2eq. von 0 g/kWh. Möglich wird diese besonders günstige Relation von eingesetzter Energie zu gegebener Endenergie durch Einsatz des Kraft-Wärme-Kopplungs-(KWK)-Verfahrens und der Nutzung von Hausmüll als „nachwachsendem Rohstoff“.

Aktuell integriert das Bonner Fernwärmenetz mehr als 2700 Anschlussnehmer auf einer Trassenlänge von rund 120 Kilometern. Durch Anschluss des neuen Quartiers wird das Netz zukünftig weitere 600 Meter Trasse aufweisen.

RLT-Absenkung mit signifikanter Effektivität

Die Voraussetzung eines möglichst effizienten Netzbetrieb ist ein optimiertes Verhältnis von Netzvorlauf- und Rücklauftemperaturen (RLT). Eine größtmögliche Absenkung der Rücklauftemperatur bei gleichzeitiger Verminderung der Volumenströme ist entscheidend für die Verbesserung des Systemwirkungsgrads warmwasserbasierter Heizsysteme. Durch eine hohe Spreizung lassen sich der primäre Volumenstrom und die damit verbundenen Strömungsverluste signifikant verringern. Wird etwa die RLT (bei einer Vorlauftemperatur von 80 Grad Celsius (°C)) von 55°C auf 40°C abgesenkt, kann der Volumenstrom bereits um 30 Prozent reduziert werden. Pumpenleistungen, Rohrdimensionierungen, Wärmeeinbußen und letztlich der Endenergiebedarf werden so positiv beeinflusst.

Netzsysteme, die das Verfahren der RLT-Absenkung realisieren, müssen erzeugerkompatibel arbeiten und eine variable, bedarfsoptimierte Wärmebereitstellung gewährleisten können. Dieser Anforderung liegen in der praktischen Umsetzung komplexe Verarbeitungsprozesse zwischen der Erzeuger- und der Verbrauchseite zugrunde. Für das „Pandion Ville“ übernahm die YADOS GmbH die technische Planung des Wärmenetzsystems und der Anlagenkomponenten (Wärmeübergabestationen und Trinkwassererwärmungssysteme). Die Fernwärme-Experten bauten sechs indirekte Fernwärme-Kompaktstation YADO|PRO mit 2 Heizkreisen und nachgeschalteter rücklaufoptimierter Trinkwassererwärmung im Speicherladeprinzip. Weitere Anlagen sind bereits in der Planung.

Die flexiblen Wärmeübergabestationen verbinden das Fernwärmenetz mit den Gebäudeheizungsanlagen. Als regulierende Verbindungseinheit zwischen Versorger- und Verbraucherseite übergeben die Stationen das Wärmemedium je nach aktueller Abnahmeanforderung druck-, temperatur- und bedarfsspezifisch an die hydraulisch über einen Plattenübertrager getrennte Kundenseite. DDC-Regelungen berechnen die notwendigen Vorlauftemperaturen entsprechend den Witterungsverhältnissen sowie den Zeit- und Komfortvorgaben der Nutzer.

Die bodenstehenden, modular erweiterbaren Übergabestationen wurden entsprechend den technischen Anschlussbedingungen (TAB) der SWB EnW und den kundenseitigen Anforderungen exakt nach Planungsvorgabe objektspezifisch geplant und gefertigt. Neben der Verwendung von standarisierten Baugruppen können die Anlagen grundsätzlich frei konfiguriert werden.

Trinkwasserhygiene und Energieeffizienz im Einklang

Die Trinkwarmwasserbereitung wird durch den Anlagentyp YADO|AQUA PR im Speicherladesystem umgesetzt. Dem System liegt ein vielfach geprüftes, patentiertes Verfahren zugrunde, das es ermöglicht, bei der Trinkwassererwärmung Effizienzanforderungen und Trinkwasserhygiene gemäß gesetzlicher Vorgaben in Einklang zu bringen.

Die Optimierung der Rücklauftemperaturen, sowohl bei Fernwärmeanschluss als unter Einsatz von Brennwerttechnik und Blockheizkraftwerken, wurden in Zusammenarbeit mit den Stadtwerken München im Rahmen des Forschungsprojekts Low-Ex-Systeme untersucht und getestet. Parallel lag dabei der Fokus auf der Bereitstellung einer hygienisch einwandfreien Trinkwasserqualität, samt einer systematischen Minimierung des Legionellenrisikos.

Die in „Pandion Ville“ verbauten TWE-Anlagen arbeiten in einem zweistufigen Speicherladeprozess, bei dem durch Nutzung hoher primärer Vorlauftemperaturen der Heizwasservolumenstrom deutlich verringert werden kann und sich heizwasserseitig sehr niedrige Rücklauftemperaturen erzielen lassen, die ganzjährig bei maximal 40 Grad Celsius liegen. Realisiert wird dies durch eine spezielle Schaltung eines Vor- und Nachwärmers: Der Zirkulationsvolumenstrom wird dabei permanent und unterbrechungsfrei erwärmt, sodass eine optimale Schichtung im Trinkwarmwasser-Pufferspeicher unter Einhaltung der hygienerechtlich geforderten Trinkwarmwassertemperatur von 60 Grad Celsius erzielt werden kann. Ein verringerter Volumenstrom wiederum beeinflusst die Energieaufwände, indem der Strombedarf für den Pumpeneinsatz gesenkt und die Wärmeverluste in der Installation minimiert werden.

Fazit:

Vor dem Hintergrund steigender Anforderungen an die Effizienz, Nachhaltigkeit und Sicherheit energetischer Versorgungslösungen steht die Entwicklung zukunftsfähiger versorgungsstabiler Wärmebereitstellungskonzepte im Mittelpunkt, kombiniert mit dem Einsatz flexibler und zugleich hochleistungsfähiger Anschlusstechnologie. Speziell auf die Senkung der Primär-Rücklauftemperaturen optimierte Netz- und Anlagensysteme können eine ökonomisch und ökologisch intelligente Quartiersbewirtschaftung unterstützen und die Wärmewende effektiv beschleunigen.

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