Handeln lautet das Gebot der Stunde

„Moment mal!“: Die Bundes­arbeits­­gemeinschaft Immo­bilien­wirtschaft Deutschland (BID) bezieht Stellung.

Materialknappheit, Lieferengpässe, Mangelwirtschaft, Kostenexplosionen – die Krise trifft die Immobilien- und insbesondere die Bauwirtschaft mit voller Wucht. Die Folge sind abgesagte Neubauprojekte und schlechte Stimmung. Nach Angaben des ifo Instituts waren im Juli die Bauherren besonders pessimistisch. Die Beurteilungen der aktuellen Lage fielen auf den niedrigsten Stand seit April 2016. Auch die Erwartungen waren von großem Pessimismus geprägt.

Auf den Baustellen knirscht es mittlerweile gewaltig. Denn dort dominieren Material- und Rohstoffknappheit, die durch die gestörten Lieferketten insbesondere bei elektronischen Komponenten noch verstärkt wird. Im ersten Halbjahr 2022 wurden nach Angaben des Statistischen Bundesamts 185.772 neue Wohnungen genehmigt, das sind 2,1 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Vor allem die starke Erhöhung der Energiepreise hat zu einer Verteuerung vieler energieintensiver Materialien für den Bau geführt. So stiegen die Preise für Betonstahl in Stäben um 53,2 Prozent im Jahresschnitt 2021 gegenüber 2020. Auch die Preise für andere Baustoffe sind gegenüber früheren Zeiten hoch. Der Preis für Bauholz ist gegenüber 2020 um 61,4 Prozent gestiegen. Hinzu kommen höhere Transportkosten für Materialien, unter anderem wegen der Störung des Seeverkehrs in Ostasien, aber auch wegen der gestiegenen Energiekosten des Transports.

Das Tragische ist: Vor allem kleine und mittlere Unternehmen – etwa Handwerksfirmen und Dienstleister – leiden unter der aktuellen Situation, da keine Einkaufsmacht vorhanden ist oder auch keine Möglichkeit, große Mengen von Material zu lagern.

Fraglich ist, wie dem drohenden Attentismus akut begegnet werden kann, denn die Nachfrage nach neuem Wohnraum steigt. Gemäß einer neuen Studie der „Deutsche Bank Research“ werden 2030 rund 86 Millionen Menschen in Deutschland leben. Dies sei ein „historischer Anstieg der Einwohnerzahl“, schreiben die Autoren in ihrem aktuellen Monatsbericht von August. Klar ist: Der Bau- und Wohnungsmarkt wird auf einen solchen Zuwachs der Bevölkerung reagieren müssen.

Gerade wegen dieser sich öffnenden Schere zwischen rückläufigen Baufertigstellungen und zunehmendem Bedarf gilt es jetzt, den Kopf nicht in den Sand zu stecken, sondern aus der komplexen Situation die richtigen Schlüsse zu ziehen. Handeln lautet das Gebot der Stunde angesichts der aktuellen Entwicklungen.

In erster Linie muss akut die Energieversorgung sichergestellt werden, um den Ausfall von Produktionen oder Lieferungen zu vermeiden. Mittel- und langfristig müssen neue Rohstoff- und Energiequellen erschlossen und deren Bezug weiter diversifiziert werden, um einseitige Abhängigkeiten in Zukunft zu vermeiden. Auf den Baustellen brauchen wir in den kommenden Jahren eine deutliche Erhöhung des Recyclinganteils und die vermehrte Wiederverwendung von Materialien, Bauteilen und Komponenten. Ein echtes „Cradle to cradle“, also eine Kreislaufwirtschaft, die diesen Namen verdient, wäre in diesen Zeiten Gold wert. Auch die ressourcenschonende Umnutzung von Bestandsimmobilien ist eine Möglichkeit, der Materialknappheit zu begegnen, und sollte durch ein flexibleres Umbaurecht forciert werden.

Zudem braucht es eine Anpassung von technischen Normen. Derzeit werden Normen, zum Beispiel die des Deutschen Instituts für Normung, nicht nach wirtschaftlichen Kriterien entwickelt. Künftig sollte bei Normungsprozessen ein Wirtschaftlichkeitsgrundsatz beachtet werden, der auch generell den Materialeinsatz zum Gegenstand hat. Hierdurch könnten Geld und Material eingespart werden.

Eine weitere Möglichkeit wäre, die Handwerksbetriebe zu entlasten. Beispielsweise könnten sie mit Überbrückungskrediten unterstützt werden, wenn die Auftragslage zwar gut ist, die Umsetzung aber an der Materialbeschaffung scheitert. Reformbedürftig ist auch die Ausbildung von Fachkräften. Sie sollte an den technischen Fortschritt angepasst werden, indem Auszubildende mit der Funktionsweise und der Reparatur von Wärmepumpen oder auch Brennstoffzellenheizungen vertraut gemacht werden. Um mit der Materialknappheit zurechtzukommen, sollte gerade das Handwerk fachlich möglichst breit aufgestellt sein.

Dies sind nur einige Vorschläge, um der aktuellen Situation zu begegnen. Für mich steht fest: Als Immobilienwirtschaft müssen wir – mit der nötigen Rückendeckung der Politik – das Krisenmomentum nutzen, um gestärkt aus der derzeitigen dramatischen Gemengelage hervorzugehen.

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