Photovoltaikanlagen

Kommt Mieterstrom endlich aus der Nische? 

Bisher ist Mieterstrom kein wirkliches Thema für Wohnungsunternehmen. Dafür sind die Prozesse zu kompliziert. Die Ökoenergiegenossenschaft Green Planet Energy und die Hamburger HANSA Baugenossenschaft wollen das ändern und Mieterstromprojekte effizienter gestalten. Entsteht ein adaptierbares Modell, das die Umsetzung vereinfacht?  

Eigentlich könnte Mieterstrom eine riesige Erfolgsgeschichte sein. Rund 3,8 Millionen Wohnungen, also fast ein Fünftel aller Mietwohnungen in Deutschland, ließen sich mit Sonnenstrom versorgen, hieß es 2017 in einer vom Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegebenen Analyse[1]. Das IW Köln kommt im Juli 2024 zu dem Schluss, dass theoretisch sogar 14,3 Mio. Mieterhaushalte von Mieterstrom profitieren könnten, verteilt auf 1,9 Mio. Gebäude[2].

Doch bisher erzeugen vor allem PV-Anlagen auf Eigenheimen und auf Dächern von Gewerbebetrieben solare Energie. Nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes gab es davon im April 2024 über 3,4 Mio. Stück[3]. Dem stehen laut Marktstammdatenregister (Stand Mai 2024) lediglich etwa 9.000 Mieterstromanlagen gegenüber. Bis dato ist Mieterstrom also praktisch ein Flop. An Wohnungsunternehmen liegt das nicht. Es ist der bürokratische Aufwand, der diese Art der klimafreundlichen Stromerzeugung seit Jahren ausbremst. So entstanden vielerorts zwar Leuchttürme, mehr aber auch nicht. Und ob die Solarpakete Schwung in die Sache bringen, bleibt abzuwarten. 

Alles aus einer Hand

Zwei die nicht abwarten, sind die Ökoenergiegenossenschaft Green Planet Energy (vormals Green Peace Energy) und die Hamburger HANSA Baugenossenschaft. Beide taten sich im Frühjahr 2023 zusammen, um das größtmögliche Potenzial der rund 10.000 Genossenschaftswohnungen mit Mieterstrom zu versorgen. Das gemeinsame Vorhaben, bei dem PV-Anlagen auf den Dächern der Wohngebäude der HANSA installiert werden, startete in einem Wohnquartier mit insgesamt 225 Wohneinheiten im Bezirk Wandsbek, das die HANSA derzeit weiterentwickelt.

Der erste bereits fertiggestellte Bauabschnitt betraf 30 Mietparteien. Die Fertigstellung des zweiten Bauabschnitts ist für dieses Jahr geplant, wodurch weitere 42 Mietparteien optional Solarstrom vom eigenen Dach beziehen können. In 2025 sollen die Arbeiten am dritten Bauabschnitt beginnen, damit zusätzliche 44 Mietparteien die Wahl zwischen dem Bezug von Mieterstrom oder Strom von einem anderen Lieferanten haben. „Zudem bieten wir seit diesem Jahr 340 Mietparteien, die sich über das gesamte Stadtgebiet verteilen, die Möglichkeit, Mieterstrom zu beziehen“, sagt Nils Neuse, Projektleiter bei der HANSA. Im nächsten Jahr sei der Ausbau für den Anschluss weiterer 300 bis 400 Mieteinheiten vorgesehen.

Möglich macht das schnelle Fortkommen die geschlossene Rahmenvereinbarung, die unter anderem einen Schnell-Check für Mieterstromprojekte beinhaltet, bei dem Fachleute prüfen, wie gut sich die Dachflächen für Solaranlagen eignen und wie hoch die zu erwartenden Solarstromerträge sind. Außerdem erhält die HANSA alle Dienstleistungen aus einer Hand, von der Anlagenplanung bis hin zur Lieferung von Reststrommengen. Sie selbst muss weder investieren, noch entstehen für sie energiewirtschaftliche Verpflichtungen. „Oft geht bei Wohnungsunternehmen viel Zeit für die Klärung solcher Rahmenbedingungen oder bei Vertragsverhandlungen verloren“, so Remi Gruszka, Geschäftsführer von Green Planet Solutions (GPS), der für Energiedienstleistungen zuständigen Tochtergesellschaft von Green Planet Energy, „das alles wird hier vereinfacht und dadurch die Umsetzung von Mieterstromprojekten beschleunigt“.

Groß denken, schafft Effizienzen   

Die Vereinbarung sieht vor, dass die Ökoenergiegenossenschaft die entsprechenden Dachflächen von der HANSA pachtet, dort die PV-Anlage errichtet und betreibt sowie teilnehmende Haushalte mit selbstproduziertem Solarstrom und grünem Reststrom nach Greenpeace-Kriterien aus dem Netz beliefert. Für die Baugenossenschaft hat die Kooperation den großen Vorteil, dass sie sich auf ihr Kerngeschäft, die Vermietung und Schaffung von neuem bezahlbarem Wohnraum sowie die Instandhaltung und Sanierung bestehender Wohngebäude, konzentrieren und trotzdem das Mieterstromangebot zur Verfügung stellen und die Immobilien zukunftsgerecht entwickeln kann.

Statt bei jedem Gebäude neu über die Machbarkeit von Mieterstrom entscheiden zu müssen – was normalerweise bei Mieterstromprojekten üblich ist – und dabei unter Umständen im Kleinklein steckenzubleiben, streben die Partner an, möglichst sämtliche potenziellen Dachflächen der Wohngebäude der HANSA mit PV-Anlagen zu bestücken. „Perspektivisch bieten wir damit dem größtmöglichen Teil unserer Mieterinnen und Mieter, Sonnenstrom vom eigenen Dach zu beziehen“, erklärt Neuse. 

Aktuell ist die Projektbeteiligung mit 13 belieferten Mieterstromzählern zwar überschaubar, dürfte aber in Zukunft zunehmen. „Gerade vor dem Hintergrund eventuell wieder steigender Strompreise ist Mieterstrom eine günstige Alternative.“ Zudem trage die Projektteilnahme zum Klimaschutz und zur Energiewende bei. Der Arbeitspreis für den erzeugten Mieterstrom ist derzeit rund 20 Prozent günstiger als der des Grundversorgertarifs in Hamburg. Überdies bestehe für Mieter ein monatliches Kündigungsrecht, bei gleichzeitiger Preissicherheit von einem Kalenderjahr, um Misstrauen vorzubeugen.

Von erheblicher Tragweite  

Der Zeitpunkt der Kooperation ist gut gewählt. Denn das Hamburgische Klimaschutzgesetz sieht unter anderem seit 2023 die verpflichtende Installation von PV-Anlagen auf Neubauten vor. Für Bestandsgebäude, bei denen die Dachhaut vollständig erneuert wird, greift die Pflicht ab 2025. Damit will Umwelt- und Energiesenator Jens Kerstan (Bündnis 90/Die Grünen) den Zubau von jährlich 6.800 Solardächern in der Hansestadt erreichen.

Denn im Ländervergleich hinkt die Elbmetropole beim Bau von PV-Dachanlagen hinterher, stellte der Klimabeirat des Senats im Juli 2023 fest[4]. Nur 44 Watt pro Einwohner sind installiert. In Berlin sind es immerhin 61 Watt – und bei Spitzenreiter Bayern sogar 1.393 Watt pro Einwohner. Im nordischen Schleswig-Holstein sind es 797 Watt installierte PV-Leistung pro Einwohner. Das Thema PV-Anlage und damit Mieterstrom kommt demnach ohnehin auf Wohnungsunternehmen zu, wenn sie neu bauen oder umfassende Dacharbeiten durchführen lassen. Warum es also nicht gleich professionell angehen?

Weiterhin sind Regelungen zu beachten, die sich aus der Gründachstrategie der Hansestadt ergeben[5]. Deren Ziel ist es ist, 100 Hektar Dachfläche im Stadtgebiet zu bepflanzen, wozu auch die Kombination mit einer energiewirtschaftlichen Nutzung durch PV oder Solarthermie vorgesehen ist. Auch hier kann die Partnerschaft mit Green Planet Energy für die HANSA nützlich sein. „In Hamburg haben wir uns beispielsweise bei einem Mieterstromprojekt, bei dem es um rechtliche Unsicherheiten hinsichtlich der Vorgaben zur Dachbegrünung ging, die einer Projektumsetzung im Wege standen, direkt bei den zuständigen Behörden eingeschaltet, um gemeinsam mit allen Beteiligten eine Lösung für die Kombination von Photovoltaik und Dachbegrünung zu finden“, berichtet Gruszka.

Ein zusätzlich positiver Aspekt, der die Entscheidung der HANSA pro Mieterstrom beeinflusste, sind die ESG-Kriterien (die Abkürzung steht für Environmental, Social and Governance, zu Deutsch Umwelt, Soziales und Unternehmensführung) für nachhaltige Wirtschaftstätigkeit und grüne Investitionen im Rahmen der EU-Taxonomie. „Denn Mieterstrom aus erneuerbaren Energien ist nicht nur klimafreundlich, sondern signalisiert zugleich gegenüber Dritten, etwa Banken, unser Engagement hinsichtlich der Einhaltung der ESG-Kriterien“, erklärt Neuse.

Verfügen Gebäude mit Mieterstrom ferner über eine moderne Wärme- und Ladeinfrastruktur, gelten sie als zukunftsorientiertes Anlageobjekt, das zwei wesentliche finanzielle Vorteile bietet: Erstens sind die Ausgaben für die energetische Sanierung bereits getätigt und fallen künftig nicht mehr an. Zweitens stabilisieren sie den Wert des jeweiligen Gebäudes für die kommenden Jahrzehnte. 

Win-win-Situation unabhängig von Solarpaketen

Die geschlossene Rahmenvereinbarung schafft folglich eine Win-win-Situation sowohl für die HANSA als auch für Green Planet Energy, unabhängig davon, was die Solarpakete final beinhalten. Von denen gingen auch keine großen Sprünge aus, meint Maximilian Weiß, Politikreferent bei Green Planet Energy. „Diese wurden aus unserer Sicht schon mit dem Gesetz zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende (GNDEW) im Frühjahr 2023 gemacht, als der virtuelle Summenzähler eingeführt wurde.“

Dadurch und durch die Zusammenfassung virtueller Netzanschlüsse würden Projekte darstellbar, die bis dato nicht funktioniert hätten. Denn das GNDEW stellt intelligente Messsysteme, also Smart Meter, mit physischen Summenzählern, die bisher hauptsächlich installiert werden, gleich. Diese sind – anders als physische Summenzähler – in der Lage, die PV-Erzeugung und den Stromverbrauch der Mieter in einer Liegenschaft digital zu erfassen und die Daten mittels Software zu aggregieren. Dieses digitale Messkonzept wird als virtueller Summenzähler bezeichnet.

„Eine Forderung unsererseits bleibt jedoch bestehen, dass im sogenannten Lieferkettenmodell beim Mieterstrom keine Stromsteuer erhoben wird.“ Denn eigentlich sei das Mieterstrommodell davon befreit. Im Lieferkettenmodell nehme man jedoch eine Dienstleistungsfunktion für den Gebäudeeigentümer wahr, was bislang dazu führe, dass die Stromsteuerbefreiung nicht automatisch greife.

Zusätzliches Vereinfachungspotenzial sieht Weiß bei Mieterstrommodellen mit virtuellen Summenzählern. Dort sollte es künftig dem Anschlussnehmer (dem Gebäudeeigentümer) statt dem Anschlussnutzer (dem Mieter) überlassen werden, einen Messstellenbetreiber für alle Zählpunkte einer Liegenschaft auszuwählen. Damit werde eine Komplexität umgangen, die zwangsläufig auftrete, wenn mehrere Messstellenbetreiber innerhalb einer Liegeschaft agierten. Allerdings lehnten viele Netzbetreiber noch ab, den virtuellen Summenzähler in Mieterstromprojekten anzuwenden, mit der Begründung, dass sie ein solches Modell aufgrund fehlender technischer und personeller Kapazitäten nicht umsetzen könnten, was den Hochlauf von Mieterstromprojekten stark ausbremse. „Hier wünschen wir uns mehr Engagement und Willen von Netzbetreibern, die regulatorischen Vorgaben umzusetzen.“

Entscheidend für die groß angelegte Umsetzung von Mieterstrom ist demnach ein Rahmenvertrag zwischen Wohnungsunternehmen und Mieterstromanbieter, der auf die Projektierung möglichst aller Dachflächen des gesamten Gebäudebestands abzielt, statt für jede Wohnanlage einen separaten Vertrag auszuhandeln und abzuschließen. Dadurch lassen sich Prozesse so verschlanken, dass sämtliche Dachflächen sukzessive auf ihre Tauglichkeit hin geprüft, gegebenenfalls mit PV-Anlagen ausgestattet und einfach betrieben werden können. Mieterstrom muss also keineswegs in der Nische bleiben, sondern hätte das Potenzial massentauglich zu werden – vorausgesetzt, die technische Organisation und der rechtliche Rahmen stimmen. 

Verweise[1] www.prognos.com/de/projekt/potenziale-und-wirtschaftlichkeit-vonmieterstrommodellen[2] www.iwkoeln.de/studien/christopher-breddermann-ralph-henger-grosses-ungenutztes-potenzial-beim-mieterstrom.html[3] www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2024/07/PD24_N038_
43.html
[4] www.klimabeirat.hamburg/klimapolitische-empfehlungen-und-stellungnahmen[5] www.hamburg.de/gruendach-hamburg/4364586/gruendachstrategie-hamburg/
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