Autofrei wohnen

In den großen Städten ist die Umweltverschmutzung durch Abgase ein heiß diskutiertes Thema. Eine Idee im Sinne nachhaltiger Stadtentwicklung ist es, innerstädtische Gebiete vom Autoverkehr zu befreien. Eine mögliche Lösung: autofreie Wohnquartiere.

Die Vorteile solcher Quartiere sind vielfältig. Sie bieten vor allem mehr Lebensqualität bei reduzierten Kosten für Bewohner und Kommunen durch kosten- und flächensparendes Bauen. Meiner Einschätzung nach wird der Zuspruch für Viertel dieser Art in den kommenden Jahren deutlich wachsen – und zu einer anspruchsvollen Aufgabe für Stadtplaner, Entwickler und Architekten gleichermaßen werden. Bereits vorhandenen Projekten kommt dabei eine Vorbildrolle für künftige Vorhaben dieser Art zu. Nachhaltigkeit ist dabei nicht nur als Leitlinie der Stadtentwicklung zu verstehen, sondern auch als eigenes Lebensprinzip der Menschen. Ob Nachhaltigkeit ernsthaft als Maßstab einer Stadtentwicklung praktiziert wird, gerät mehr und mehr zu einem Entscheidungskriterium dafür, wie wohl sich Menschen in einer Stadt fühlen und am öffentlichen Leben beteiligen – und damit zum Standortvorteil.

Bevor das Konzept des autofreien Quartiers umgesetzt werden kann, sollte zunächst eine breite Akzeptanz für entsprechende Stadtteile geschaffen werden. Denn: Autofreie Viertel dürfen den Bewohnern keinesfalls aufgezwungen werden. Anwohnern, die weiterhin ihr Auto uneingeschränkt nutzen wollen, bleibt sonst nur die Option des Umzugs. Dass es der falsche Weg ist, ein bereits bestehendes Quartier in ein autofreies umzuwandeln, zeigt das Beispiel des Berliner Helmholtzplatzes.

In einem Modellprojekt sollten dort Autos mit Verbrennungsmotor einen Monat lang ausgesperrt werden und stattdessen Elektroautos einer Car-Sharing-Flotte, E-Busse, zusätzliche Straßenbahnen und andere Elektromobile zum Einsatz kommen. Es gab zwar zu diesem Zeitpunkt bereits funktionierende Beispiele für autofreie Städte, beispielsweise Venedig in Italien oder Zermatt in der Schweiz. Doch in Berlin kam das Projekt für ein zeitlich begrenztes autofreies Quartier nicht gut an und wurde nach Protesten der Anwohner von der Stadtverwaltung noch vor der Realisierung gestoppt.

Hohe Akzeptanz vor allem in neuen Quartieren

Um eine breite Akzeptanz bei den Anwohnern zu erzielen, sollten daher nur neu ent­­stehende Stadtteile zur autofreien Zone werden. So können sich Interessierte bereits im Vorfeld über das Konzept und die damit verbundenen Regelungen informieren. Potenziell geeignete Standorte sind innenstadtnahe Gebiete, da der Anteil autofreier Haushalte hier am höchsten ist und die Rahmenbedingungen für ein autofreies Leben am günstigsten sind.

Um die Akzeptanz solcher Konzepte zu stärken, empfehlen sich Testläufe und Abstimmungen, bei denen sich die zukünftigen Bewohner für oder gegen das Konzept aussprechen können – so geschehen im Quartier Vauban in Freiburg im Breisgau: Nachdem die franzö­sische Armee ihren stadtnahen Kasernenstandort Anfang der 1990er Jahre aufgegeben hatte, begann die Stadt mit der Planung für den Stadtteil, der von Anfang an als autofreie Zone und „grünes Quartier“ mit Solarhäusern und zahlreichen Grünflächen konzipiert wurde. Die Freiburger waren frühzeitig in die Planungen involviert. Heute besuchen Stadtentwickler und weitere Interessierte aus der ganzen Welt das Quartier, um von dem Erfolgsmodell zu lernen.

Passende Rahmenbedingungen schaffen

Darüber hinaus gilt es, Ausnahmeregeln flexibel zu gestalten und gegebenenfalls in Abstimmung mit den künftigen Bewohnern anzupassen, um die Alltagstauglichkeit zu gewährleisten. Auch hierfür ist das Quartier Vauban ein positives Beispiel. Dort gibt es rund 200 öffentliche Besucherparkplätze. Zudem können die Straßen in Ausnahmefällen, zum Beispiel bei Möbeltransporten zum Be- und Entladen genutzt werden. Auch die volle Mobilität der Anwohner muss garantiert werden: Eine gute Anbindung des Quartiers an den öffentlichen Nahverkehr sowie ausreichend PKW-Stellplätze in unmittelbarer Nähe des Stadtteils sind unabdingbar.

Daher werden beispielsweise für die 500 Wohneinheiten des derzeit in Bamberg entstehenden autofreien Schaeffler-Quartiers rund 700 PKW-Stellplätze zur Verfügung gestellt. Diese befinden sich am Rande des Areals und teilweise unterirdisch unter dem Areal, so dass ein Parkplatz jeweils nur maximal drei Gehminuten von einer Wohnung entfernt ist. Zusätzlich können Projekte dieser Art durch ergänzende Angebote unterstützt werden. Ein quartierbezogenes Car-Sharing ist dann beispielsweise auf die Gemeinschaft der Bewohner zugeschnitten, so dass für jeden Bedarf das richtige Auto zu geteilten Kosten und inklusive Service zur Verfügung steht.

Die Nutzung eines Fahrzeuges erfordert nur eine einfache telefonische Reservierung. Es gibt mittlerweile Systeme, die auch eine spontane Nutzung der Fahrzeuge ermöglichen. Eine weitere attraktive Dienstleistung ist ein Fahrrad- beziehungsweise Anhängerverleih. Übrigens: Nicht nur mobile Dienstleister profitieren vom autofreien Quartier. Eine „Stadt der kurzen Wege“ fördert auch den ansässigen Einzelhandel.

Die ersten Modellprojekte zeigen gute Ansätze für eine ökologische Stadtentwicklung und zukünftige Mobilität. Für Bewohner, die nicht nur ohne Auto leben, sondern auch in einem autofreien Umfeld wohnen möchten, gibt es inzwischen in mehreren deutschen Städten Projekte, die ein solches ökologisches Stadtleben fördern. Autoverkehr ist in dieser Umgebung auf wenige Fahrten pro Tag beschränkt. Hierbei soll das Auto aber keineswegs als zu negativ betrachtet werden. Vielmehr soll durch den sparsamen Einsatz dieses Fortbewegungsmittels ein angenehmeres Zusammenleben für Fußgänger und Autos geschaffen werden.

Insbesondere Familien bietet das Quartier die Möglichkeit, Kinder aufwachsen zu lassen, die ohne Gefahr durch Verkehr auf der Straße spielen können. Straßen und Parkplätze werden zu Kräutergärten, Grünflächen, Spielplätzen oder überdachten Fahrradabstellanlagen und Bushaltestellen. Kein Verkehrslärm und weniger Abgase sind weitere Vorteile, die zu mehr Lebensqualität beitragen. Denn wer in seinem Wohnumfeld weniger Lärm ausgesetzt ist, kann sich besser vom alltäglichen Stress erholen. Und eine gesündere Luft verhindert Atemwegserkrankungen. Nicht zuletzt ist dieser Effekt auch förderlich bei der Umsetzung der „Lokalen Agenda 21“, die als Handlungsprogramm der Entwicklung von Gemeinden und Kommunen in Richtung Nachhaltigkeit dient.

Sozialer Mehrwert autofreier Quartiere

Kosten- und flächensparendes Bauen ermöglicht insgesamt preiswertere Wohnungen, sofern die Kosteneinsparungen an die Bewohner weitergegeben werden. Das Wohnen in den innerstädtischen Gebieten kann dadurch auch wieder für einkommensschwächere Gruppen möglich werden. Ersparnisse von Wohnungsbaufördermitteln sind ein weiterer Teil möglicher Kosteneinsparungen. Ferner zeigt die Praxis überdurchschnittliches nachbarschaftliches Engagement und eine soziale Stabilisierung in autofreien Wohngegenden.

Eine Bereicherung des Wohnungsmarktes durch autofreie Quartiere zuzulassen, bedeutet also auch, die soziale Stadtentwicklung weiter zu denken. Das Konzept bietet ein Potenzial, das wichtige Ziele der Stadtentwicklung berührt und nicht als Nischenprojekt anzusehen ist. Ein Grundstein für das Wohnen der Zukunft wurde mit den realisierten Projekten bereits gelegt.

Autofreie Viertel dürfen den Bewohnern keinesfalls ­aufgezwungen werden.

Potenziell geeignete Standorte sind innenstadtnahe Gebiete, da der Anteil autofreier Haushalte hier am höchsten ist.

x

Thematisch passende Artikel:

Ausgabe 7-8/2024 Nachhaltiges Quartier

Ohne eigenes Auto vor der Tür

Das Angebot umfasst sowohl Wohnungen und Stadthäuser zur Miete, teilweise mietpreisgedämpft, als auch zum Kauf. Die neuen Wohneinheiten in den Punkthäusern verteilen sich auf 2- bis...

mehr
Ausgabe 11/2018 Nachgefragt

Ein Projekt der integrierten Stadtentwicklung

Frau Steffen, wie begann die Entwicklung dieses Quartiers? Gabriele Steffen: Ende 1990 haben die Franzosen überraschend erklärt, dass sie abziehen, im Zusammenhang mit den damaligen politischen...

mehr
Ausgabe 05/2023

Bürgerbefragung als Chance für grüne Quartiere

Städte und Kommunen sollten Bürgerbeteiligungen als das sehen, was sie sind: eine große Chance für ein aktives Miteinander und zukunftsfähige Quartiere. Bürgerinnen und Bürger werden gehört...

mehr
Ausgabe 11/2009 Bei der Modernisierung der Elefantensiedlung in Neu Ulm wurde besonderer Wert auf das Wohnumfeld und auf Gemeinschaftseinrichtungen gelegt

Fitnessprogramm für ältere Wohnquartiere

Etwa ein Viertel unseres Wohnungsbestandes stammt aus den 1950er bis Mitte der 1960er Jahre. Diese Wohnbauten haben in der Regel verhältnismäßig kleine Räume und Wohnungen, die dem steigenden...

mehr
Ausgabe 5/2013

Kongress: „Bürgernahe Stadtentwicklung durch Kooperation“

Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) lädt für den 20. Juni nach Fürth ein. Dort findet von 10.30 bis 16 Uhr in der Stadthalle der Bundeskongress „Bürgernahe...

mehr