Den Klimaschutz erzielen und nicht errechnen!
Am 2. Mai 2016 weihte Florian Pronold, Parlamentarischer Staatssekretär im BMUB, zwei im „Effizienzhaus Plus Standard“ sanierte Altbauten ein. Das BundesBauBlatt sprach mit ihm über Stand und weitere Entwicklungen des Förderprogramms.
Herr Staatssekretär Pronold, das „Netzwerk Effizienzhaus Plus“ umfasst über 36 Wohnungsbau-Modellvorhaben. Vor welchem Hintergrund und mit welchem Ziel fördert das Bundesbauministerium das Netzwerk?
Das „Netzwerk Effizienzhaus Plus“ ist aus dem Förderprogramm „Effizienzhaus Plus im Wohnungsbau“ entstanden. Zum Netzwerk gehören die verschiedensten Effizienzhäuser Plus: vom Einfamilien- bis zum Mehrfamilienhaus, vom Leichtbau bis zum Massivbau mit den unterschiedlichsten Planungskonzepten, vom Neubau- bis zum Sanierungsobjekt – wie es beispielhaft in Neu-Ulm zu sehen ist. Mit dem Förderprogramm hat der Bund eine neue Gebäudegeneration unterstützt, die mit erneuerbaren Energien mehr Energie erwirtschaftet als sie benötigt, und das mit wenigen Vorgaben und viel Raum zum Experimentieren. Uns ging es darum, zu erfahren und auszuprobieren, was es an technischen Innovationen gibt, dies dann wissenschaftlich auf Wirtschaftlichkeit und Praxistauglichkeit zu untersuchen. Damit haben wir einen beeindruckenden Einblick bekommen.
Das „Netzwerk Effizienzhaus Plus“ dient dem Erfahrungsaustausch zwischen allen Projektbeteiligten über innovative Ideen, Technologien und Materialien und- Forschungsergebnisse zu dieser neuen Gebäudegeneration. Ziel ist selbstverständlich auch, die Marktfähigkeit dieses Gebäudestandards zu fördern. Allein aus wirtschaftlichen Gründen wird nicht alles, was ausprobiert wurde, in den Alltag überführt. Ebenfalls wichtig war und ist, dass wir schauen, ob denn die theoretischen Annahmen später mit den tatsächlichen Werten in der Nutzung übereinstimmen. Es kommt schließlich nicht darauf an, dass wir den Klimaschutz errechnen, sondern dass wir ihn erzielen. In diesem Zusammenhang möchte ich auf die spannende Debatte um den Rebound-Effekt, also die Aufhebung der Energieeinsparung durch ein verändertes Nutzerverhalten, hinweisen.
Was ist das Besondere an dem Netzwerk?
Antwort: Das vom Bundesbauministerium eingerichtete wissenschaftliche Begleitforschungsprojektteam organisiert halbjährlich Treffen. Alle Netzwerkteilnehmer reisen hierzu auf eigene Kosten an, um sich über neue Erkenntnisse auszutauschen. Auf diesen Treffen werden anhand der gebauten Modellvorhaben viele Fachthemen erörtert wie z. B. auf dem 8. Netzwerktreffen in Neu-Ulm „Ergebnisse und Optimierungspotentiale bei Nutzung eines Eisspeichers am Beispiel des Effizienzhaus Plus in Eußenheim“ oder „Optimierungspotentiale der haustechnischen Komponenten im Verlauf von vier Jahren Monitoring am Beispiel des Effizienzhaus Plus in Warmbronn“.
Zwei 1938 errichtete Gebäude der Wohnungsgesellschaft der Stadt Neu-Ulm GmbH (NUWOG) wurden mit Forschungsmitteln des Bundesbauministeriums modernisiert. Was zeichnet diese beiden Bauwerke aus Ihrer Sicht jetzt nach der Sanierung aus?
Bei den Gebäuden gab es zwei Aspekte, die berücksichtigt werden mussten: Zum einen sollen sich die Menschen wohlfühlen, zum anderen geht es um die Energieeinsparung. Die alten Grundrisse entsprachen nicht mehr dem, wie Menschen heute wohnen wollen. Und das, was hier an Energie verbraucht wurde, geht – auf bayerisch gesagt – auf keine Kuhhaut. Jetzt verfügen die Häuser über moderne Wohnungszuschnitte und den Effizienzhaus Plus Standard.
Mit den NUWOG-Gebäuden hat zudem die Projektphase Effizienzhaus-Plus 2.0 begonnen. Das hohe Effizienzniveau ist damit nicht mehr allein dem Neubau vorbehalten, sondern die beiden sehr unterschiedlichen Konzepte zeigen, dass auch Bestandsgebäude auf dieses Niveau gehoben werden können. Das ist ein Beitrag dazu, dass wir dem Ziel ein klimaneutralen Gebäudebestands bis zum Jahr 2050 näher kommen.
Jetzt beginnt bei beiden Gebäuden das zweijährige Monitoring. Was erhoffen Sie sich davon?
Das Nutzerverhalten bestimmt den Erfolg und wir hoffen, dass die optimistischen Kennwerte des planerischen Konzepts sich auch im Praxistest bestätigen, bzw. wenn nicht, dass wir erkennen, wie wir Sanierungen in dieser Form noch verbessern können. Ich bin mir ganz sicher, dass auch sanierte Bestandsgebäude mehr Energie aus erneuerbaren Energien generieren können als sie für den eigenen Betrieb benötigen.
Außerdem lernen wir hier durch die zweijährige sozialwissenschaftliche Begleitforschung eine ganze Menge über die Schnittstelle Mensch und Technik und darüber, ob die Technik, die wir hier einbauen, mit den Mieterinnen und Mietern kompatibel ist. Aus meiner Erfahrung glaube ich nicht, dass man Menschen dazu erziehen kann, sich den ganzen Tag mit dem iPad ums Gebäude bzw. ihre Wohnung zu kümmern. Technik muss einfach sein und trotzdem funktionieren. Da ist meiner Meinung nach noch eine ganze Menge Potenzial drin und wir müssen noch viel über das Nutzerverhalten lernen. Dazu dient das Monitoring. Damit können wir Rückschlüsse für zukünftige Projekte ziehen und lernen, was sich auf den Alltagsbetrieb übertragen lässt.
Im Mittelpunkt steht damit nicht die Technik, sondern der Mensch.
Ich glaube, dass das erste Bestreben der Techniker ist, dass der Mensch sich an die Technik anpasst. Meiner Meinung nach wird das nicht funktionieren. Menschen lassen sich bis zu einem gewissen Punkt auf Technik ein und nutzen sie. Ich habe bislang wenige Gebäude erlebt, bei denen die Fenster zubleiben sollen und auch zubleiben und die Lüftungstechnik wirklich funktioniert. Das mag es geben, wenn alles optimal läuft. Doch die Bewohnerinnen und Bewohner haben Lebensgewohnheiten, die sich von heute auf morgen nicht verändern lassen und wir wollen eben auch ausprobieren. Ich glaube, es kommt zu allererst darauf an, dass die Mieterinnen und Mieter sich in ihrer Wohnung und mit ihren Nachbarn wohl fühlen.
Was fasziniert Sie am meisten bei diesen beiden Leuchtturmprojekten?
Erstmal, dass wir in den Geschosswohnungsbau gehen, plus Sanierung und dass wir da wirklich Erkenntnisse aus der Praxis für die Praxis gewinnen. Die technischen Standards und die Innovationen im Neubaubereich sind so weit, dass sie – egal, was man dort macht – kein hohes zusätzliches Einsparpotenzial mehr bieten werden.
Der zentrale Aspekt für Einsparungen für das weltweite Klima ist der Gebäudebestand. Das bedeutet, dass wir hier Lösungen brauchen, die erstens Energie- bzw. CO2 einsparen und zweitens auch so gestaltet sind, dass sie von Investoren realisiert und von Mietern akzeptiert und bezahlt werden können. Das ist die große Herausforderung, dass wir diese unterschiedlichen Stellschrauben – Wirtschaftlichkeit, Sozialverträglichkeit und Klimaschutz – so justieren, dass sie zusammen laufen und dass alles wie ein Schweizer Uhrwerk funktioniert.
Noch eine Frage zum „Netzwerk Effizienzhaus Plus“. Was für ein Zwischenfazit ziehen Sie aktuell und wie lange werden noch Projekte gefördert?
Wir haben mittlerweile über die Republik verteilt eine Vielzahl von tollen Anschauungsprojekten. Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass es klimatisch in Deutschland keine grundsätzlichen Einschränkungen für diese Bauart gibt. Mit Neu-Ulm beginnen wir diese neue Gebäudegeneration auf den Gebäudebestand auszuweiten, ferner haben wir im letzten Jahr eine Erweiterung des Förderprogramms auf Bildungsbauten vorgenommen, um zu zeigen, dass diese Entwicklung nicht auf den Wohnungsbau beschränkt ist. Wir bereiten eine weitere Erweiterung auf den Geschosswohnungsbau vor. Wir wollen hier Erfahrungen sammeln, mit welchen Konzepten auch im Mietwohnungsbau der Effizienzhaus Plus-Ansatz wirtschaftlich vertretbar umgesetzt werden kann. Es gibt also noch viel auszuprobieren. Vor diesem Hintergrund werden wir die Förderung nicht auf ein Enddatum hin begrenzen und sie den Bedürfnissen des Erkenntnisgewinns anpassen. Gestern Neubauten im Kleinhausbau, morgen Bestandsanierungen im Geschossbau.