„Der Aufzug ist das Entscheidende“

Die Demografie gibt den Weg vor: Es muss mehr altersgerechter Wohnraum geschaffen werden. Roland Kirchhof, technischer Vorstand der Wohnungsgenossenschaft Felix eG und Henry Zirgiebel vom Aufzugshersteller Merkur Schoppe, Partnerbetrieb der Haushahn Gruppe, erläutern in einem Interview, wie sich Wohnungen den Bedürfnissen im Alter anpassen lassen.

Herr Kirchhof, die Diskussion über fehlenden altersgerechten Wohnraum ist in den Medien ein Dauerthema. Wie groß ist die Nachfrage bei der Felix eG?

Kirchhof: Hoch! Wir bewirtschaften 670 Wohneinheiten in Berlin-Marzahn, von de­­­nen rund 75 % barrierefrei erreichbar sind. Alle Wohnungen sind derzeit vermietet. Viele Anfragen kommen von Menschen, die schon andere Objekte besichtigt haben und dabei feststellen mussten, dass sie dort nicht zu­­rechtkommen würden.

Was macht für Sie eine altersgerechte Wohnung aus?

Kirchhof: Altersgerecht heißt für uns in erster Linie, dass unsere Mieter barrierefrei von der Straße bis in ihre Wohnungen gelangen, auch mit Hilfsmitteln wie Rollatoren. In ihren eigenen vier Wänden kommen sie dann meist gut zurecht. Der Aufzug ist also das Entscheidende. Sollten darüber hinaus Anpassungen nötig sein, finden wir individuelle Lösungen mit den jeweiligen Mietern vom internen Wohnungstausch über die Entfernung von Türschwellen bis hin zum komplett rollstuhlgerechten Umbau.

Zirgiebel: Die Felix eG hat das Ziel der barrierefreien Zugänglichkeit in den vergangenen Jahren konsequent verfolgt und alle Gebäude nach und nach mit Aufzügen ausgestattet. Sowohl die Genossenschaft als auch wir als Aufzugshersteller haben dafür viel Zuspruch von den Mietern bekommen.

Benennen sie die Wohnungen explizit als altersgerecht?

Kirchhof: „Altersgerecht“ ist eine Bezeichnung, die niemand hören will. Sie verletzen damit ein bisschen den Stolz der Menschen. Also muss man es anders verpacken. Wir ermöglichen Mietinteressenten, aus ihrem Schambereich herauszutreten und ihren Bedarf selbst zu erkennen. Beispielsweise durch Fotos älterer Menschen in unseren Werbematerialien oder durch Piktogramme, die auf das Vorhandensein eines Aufzugs in unseren Mietobjekten hinweisen.

Welche Begrifflichkeit würden Sie statt „altersgerecht“ vorschlagen?

Kirchhof: In unserer Mieterzeitung sprechen wir gerne von „alternsgerecht“, also von einem Wohnumfeld, das sich an der wandelnden Lebenssituation der Mieter orientiert. Als junge Familie möchten sie ihren Kinderwagen nicht durch das Treppenhaus tragen. Als älterer Mensch ermöglicht ihnen der Aufzug, das Haus überhaupt noch verlassen zu können.

Zirgiebel: Nicht zu unterschätzen sind Einschränkungen der Sinneswahrnehmung. Die Felix eG hat die Treppenaufgänge farblich unterschiedlich gestaltet, um die Orientierung für Ältere und Kinder zu erleichtern. Brailleschrift, Sprachansagen und auch ein sanftes, ruckelfreies Anfahrverhalten des Aufzugs gehören dazu. Es geht um die barrierefreie Zugänglichkeit des Gebäudes für einen möglichst großen Personenkreis.

Welche Aufzugslösungen kommen bei der Felix eG zum Einsatz?

Zirgiebel: Gemeinsam mit der Felix eG haben wir für die vorhandenen Gebäudetypen je­­weils maßgeschneiderte Lösungen entwickelt, die allesamt auf Serienaufzügen aus der Haushahn Gruppe, zu der Merkur Schoppe gehört, basieren. Sie wurden platzsparend an der Außenfassade errichtet.

Kirchhof: Die außenseitige Nachrüstung mit Schachtgerüst ist für uns die einzig mögliche Variante. Bei den ersten Aufzügen, die wir realisiert haben, werden die Halbpodeste der Treppen angefahren. Das bringt für die Mieter schon erhebliche Vorteile, aber sie müssen dann doch noch wenige Stufen bis zu ihrer Wohnung meistern. Außerdem ist der Bauaufwand überschaubar. Inzwischen haben wir für diese Fälle eine bessere, komplett barrierefreie Lösung entwickelt.

Wie sieht diese Alternative für eine stufenlose Anbindung aus?

Kirchhof: Im letzten Jahr haben wir die Aufgänge zu 182 Wohneinheiten komplett entkernt. Die Treppenhausfassade, sowie die zweiläufigen Treppen wurden entfernt und durch einläufige Treppen mit Zugangspodest zum Aufzug ersetzt. Damit schaffen wir es, dass wir die Stockwerke stufenlos erreichen. Um die längere Treppe ausbilden und den Aufzugsschacht ausbilden zu können, war nach außen ein kleiner Anbau nötig. Da es zwischenzeitlich keinen Zugang zu den Wohnungen gab, mussten wir die Mieter während der Baumaßnahme umquartieren – samt Hunden, Katzen, anderem Getier und sogar einem Chamäleon.

Sie haben auch Gebäude mit innenliegenden Treppenhäusern im Portfolio. Wie sind sie in solchen Fällen vorgegangen?

Kirchhof: Wir haben ebenfalls außenseitig nachgerüstet und mussten dann die Zugänge, sofern wir mit den Mietern einig wurden, zulasten der Wohnungen herstellen. Meist kommt ihnen das sogar entgegen, wenn beispielsweise die Kinder ausgezogen sind und das entsprechende Zimmer einer Vierraumwohnung nicht mehr benötigt wird. Aber es funktioniert natürlich nicht immer reibungslos. Ein innenliegendes Treppenhaus konnten wir so komplett mit dem Aufzug erschließen, ein anderes nur in der dritten und sechsten Etage.

Ziergibel: Der Aufzug wurde in diesem Fall trotzdem für Haltestellen in jedem Stockwerk vorgerüstet, die aber nicht angefahren werden. Bei Mieterwechseln lässt sich der Zu­­gang dann nachträglich herstellen.

Gab es keine Konflikte mit den betroffenen Mietern?

Kirchhof: Stetige Kommunikation ist das A und O. Vor einigen Jahren wurde den Mietern eines Blocks zur Wahl gestellt, ob nachgerüstet werden soll oder nicht. Zunächst entschied sich nur etwa die Hälfte dafür. Bis zum Baubeginn schwenkten einige um, so dass schließlich 10 von 13 Treppenaufgängen mit Aufzügen ausgestattet wurden. Bei den letzten Projekten sind wir anders vorgegangen und haben als Vorstand klar gesagt: Wir werden Aufzüge anbauen, weil sich unsere Wohnungen dann besser vermieten lassen. Natürlich gab es in den Informationsveranstaltungen Einzelne, die sich zunächst überrollt fühlten. Aber wir haben unsere Pläne stichhaltig erläutert und konnten überzeugen. Bis zum Ende der Baumaßnahmen sind wir mit den Leuten ständig im Gespräch geblieben und haben ihre Anregungen ernstgenommen.

Zirgiebel: Ein ausdrücklicher Wunsch des Vorstands und der Mieter gleichermaßen war, die Aufzüge nach dem neuesten Stand der Technik ausrüsten. Die Anlagen erreichen beispielsweise die höchste Energieeffizienzklasse A. Der Kontakt der Genossenschaft zu ihren Mietern ist so eng, dass selbst die Türöffnungszeiten maßgeschneidert an die je­­­weilige Bewohnerstruktur angepasst werden: Bei vielen älteren Leuten in einem Treppenaufgang etwas langsamer, bei jüngeren straffer. Beim Thema Schallschutz haben wir einige positive Rückmeldungen erhalten. Die neuen Aufzüge sind sehr leise. Das fördert die Akzeptanz.

Wie steht es um die Bezahlbarkeit solcher Nachrüstungsmaßnahmen?

Kirchhof: Natürlich legen wir die Investitionen auf die Mieter um. Der Gesetzgeber erlaubt eine Modernisierungsumlage von 100 % der relevanten Kosten. Aufgrund der guten wirtschaftlichen Situation der Genossenschaft konnten wir unseren Mitgliedern das Angebot machen, die Umlage auf 20 % zu begrenzen. Wir haben das mit jeder Mietpartei besprochen und sogar noch einen geringeren Wert vereinbart, wenn sie im Gegenzug auf Entschädigungen für die Baubeeinträchtigungen verzichten. Von 182 Mietern haben nur zwei unser Angebot ausgeschlagen. Wichtig war, dass wir dies immer fair und in ständiger Abstimmung mit den Beteiligten vereinbart, und am Ende auch eingehalten haben.

Zirgiebel: Der Terminplan war schon ein halbes Jahr vor Baubeginn Grundlage der Mietergespräche. Auch dank der hervorragenden Schnittstellenkommunikation zwischen Bauherr und den einzelnen Gewerken gab es keine Verzögerungen. Schon bei der Vergabe wurde besonderer Wert auf einen termingerechten Bauablauf und absolute Zuverlässigkeit gelegt.

Was raten Sie anderen Wohnungsgesellschaften?

Kirchhof: Altersgerechtes Bauen oder Sanieren ist keine Chance für Wohnungsgesellschaften, es ist ein brutales Muss. Im Moment ist die Situation für Vermieter, zu­­­mindest auf dem Berliner Wohnungsmarkt, sehr komfortabel. Aber es können auch wieder andere Zeiten kommen. Wenn wir uns auf die alternde Mieterstruktur nicht einstellen, riskieren wir unsere wirtschaftliche Handlungsfähigkeit. Wichtig ist, dass wir die Mieter mit auf die Reise nehmen und auch vor individuellen Einzellösungen nicht zurückschrecken.

„Altersgerecht heißt für uns in erster Linie, dass unsere Mieter barrierefrei von der Straße bis in ihre Wohnungen gelangen, auch mit Hilfsmitteln wie Rollatoren.“

„Die neuen Aufzüge sind sehr leise. Das fördert die Akzeptanz.“

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