Großflächige Gebäudesanierungen in der Ukraine / Deutsche Energie-Agentur berät die Eigentümer von 20 Modellhäusern

Dranbleiben für Marktentwicklung und Klimaschutz

Wirtschaftlich und politisch ist in der Ukraine vieles in Bewegung. Im Gebäudebereich setzen sich die Bundesregierung und deutsche Unternehmen für mehr Energieeffizienz und Klimaschutz ein. Höhere Sanierungsraten sind dabei der Schlüssel für die Entwicklung des Marktes. Nun heißt es: dranzubleiben und die richtigen Weichen zu stellen – auch mit dem Zutun deutscher Unternehmen und Förderer, die sich seit vielen Jahren in der Ukraine engagieren. Mit Blick auf die großen Potenziale im Wohngebäudebereich für Marktentwicklung, höhere Sanierungsraten, mehr Energieeffizienz und Klimaschutz und mehr Wohlstand sollten die ukrainischen, europäischen und deutschen Akteure besonders jetzt nicht nachlassen.

Nicht erst seit der Annexion der Krim durch Russland und dem Ausbruch des Krieges in der Ostukraine im Jahre 2014, aber seit dem befindet sich die Ukraine verstärkt auf einem deutlichen Kurs in Richtung einer Anbindung an Westeuropa und damit in einem wirtschaftlichen und politischen Transformationsprozess. Als geopolitisch und -strategisch wichtiger Partner erhält das Land, das ein im Jahr 2017 in Kraft getretenes Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnet hat, umfangreiche finanzielle und praktische Unterstützung von der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten. Werden bei der Auswahl der zu unterstützenden Politikfelder vor allem auch die Zukunftsfähigkeit der Ukraine mit berücksichtigt, können damit auch neue Arbeitsplätze und Berufsfelder geschaffen sowie verbindliche Standards und mehr Transparenz als dringende Voraussetzungen für die Modernisierung der Wirtschaft in der Ukraine eingeführt werden.

Ein Sektor mit einem enormen Transformationsstau ist die Wohnungswirtschaft der Ukraine. Sie bedarf dringend der Aufmerksamkeit der nationalen Entscheider und internationalen Partner. Im Land zeigen sich die Auswirkungen der industriellen Baupraxis zu Zeiten der Sowjetunion und der Privatisierungspolitik in den 1990er Jahren besonders eindrücklich. Während zunächst der Staat den Großteil des heutigen Wohnraums zwischen 1960 und 1990 plante, industriell erbaute und zunächst betreute, sind heute die Bewohner für Instandsetzung und -haltung eigenverantwortlich: im Zuge der Privatisierung Anfang der 1990er Jahre, wurden nahezu alle Mieter zu Eigentümern gemacht. Welche Rechte und vor allem Pflichten mit dem Besitz von Wohnungen einhergehen, darüber wurden die neuen Besitzer nicht informiert. Bereits zum Zeitpunkt der Privatisierung war nicht nur der Gebäudebestand in sanierungsbedürftigem Zustand; ein Großteil der Bewohner war und ist wirtschaftlich nicht in der Lage, für die Instandhaltung insbesondere der Gemeinschaftsflächen wie Fassade, Keller und Treppenhäuser aufzukommen. Weil zudem die Energiepreise für Strom und Wärme zunehmend an die Marktpreise angepasst wurden und die Energiekosten damit um ca. 300 Prozent stiegen, hat sich diese Situation in den letzten drei Jahrzehnten weiter verschärft – quasi im Gleichschritt mit dem weiter fortschreitenden Verfall von Bausubstanz und Hausinfrastruktur. Durch die industrielle Bauweise des Bestands sind jedoch die Voraussetzungen dafür gut, hochwertige standardisierte Sanierungslösungen zu entwickeln, die dann auf die einzelnen Bauserien übertragen werden können.

Daher ist einer der thematischen Schwerpunkte der europäischen und internationalen Zusammenarbeit mit der Ukraine die energetische Sanierung von Wohngebäuden. Die Erschließung des Sanierungsmarktes in der Ukraine führt nicht nur im Land selbst zu weniger CO2-Emissionen, Energieeinsparungen und besseren Wohn- und Lebensbedingungen, es könnte zugleich eine Blaupause für private Investitionen und neuen Geschäftsmodellen in anderen osteuropäischen Ländern sein. In der Ukraine liegt der Anteil des Gebäudebestands am Primärenergieverbrauch bei über 35 Prozent. In der Vergangenheit wurden die Heizkosten der Bewohner vom Staat subventioniert, was zu negativen Begleiteffekten führte: Durch die niedrigen Heizkosten waren die Amortisationszeiten von Sanierungsmaßnahmen mitunter sehr lang. Wirtschaftlich gesehen waren die Maßnahmen daher nicht sehr attraktiv für die Bewohner, die auch bei hohem Verbrauch keine übermäßig hohen Heizkosten zu tragen hatten. Die Reduzierung des Energieverbrauchs infolge von Sanierungsmaßnahmen führte entsprechend nicht zu spürbaren Einsparungen. Durch die Angleichung der Energiepreise an Marktniveaus jedoch amortisieren sich nun auch Sanierungsmaßnahmen schneller und werden damit insgesamt attraktiver. Bisher allerdings gibt es keine nennenswerten Sanierungsvorhaben , und der Zustand der Wohngebäude beeinträchtigt weiterhin Gesundheit und teils auch Sicherheit seiner Bewohner.

Das deutsche Bundesumweltministerium hat gemeinsam mit der EU und der Ukraine in den letzten Jahren den Weg für den sogenannten Energieeffizienzfonds bereitet, der im Herbst 2019 seine Arbeit aufnahm. Er soll als Hebel dienen, um die Anzahl energetischer Gebäudesanierungen durch Wohneigentümergemeinschaften, denen bisher die Mittel für entsprechend Maßnahmen fehlten, zu steigern. Einige der Gebäude, die für eine Förderung durch den Fonds ausgewählt wurden und deren Eigentümer nun für die Sanierungsmaßnahmen Unterstützung erhalten sollen, sind Teil des Projekts „Deutsch-Ukrainische Effizienzhäuser“, das vom Bundeswirtschaftsministerium gefördert wird. Gemeinsam mit seinen Partnern – der Initiative Wohnungswirtschaft Osteuropa (IWO) und dem Kompetenzzentrum Großsiedlungen – berät die Deutsche Energie-Agentur (dena, www.dena.de) die Eigentümer von insgesamt 20 Modellhäusern, die mittelfristig eine energetische Sanierung umsetzen wollen.

Mit dem Fonds steht erstmalig seit Erlangung der Unabhängigkeit der Ukraine im Jahr 1991 ein Gebäudesanierungsprogramm zur Verfügung, das auch umfassende Sanierungen fördert und so dem Sanierungsstau im Wohngebäudebestand begegnet. Daneben stehen auch einzelne kommunale Förderprogramme für Sanierungsmaßnahmen bereit, um den Fonds zu flankieren und den Förderbetrag weiter zu erhöhen. Neben der Frage der Finanzierung stehen auch organisatorische Fragen im Raum: In der Praxis ist es für die einzelnen Bewohner und Eigentümergemeinschaften bisher oftmals zu kompliziert, einzelne oder mehrere Finanzierungsangebote, auszuschöpfen. Das liegt zum einen daran, dass die Finanzierungsangebote seitens der Bank noch nicht hinreichend attraktiv und die Investitionen in die Sanierung dadurch weiterhin sehr teuer sind. Darüber hinaus sind die Antragsprozesse oder -auflagen oftmals kompliziert und es fehlen Begleitungs- und Beratungskapazitäten durch technische Sanierungsexperten, Verwalter, Experten in den Banken und öffentliche Stellen. Diese Kapazitäten aufzubauen wird nun entscheidend sein, sowie das weiter zu verstärkende Engagement der europäischen und deutschen Partner, Unternehmen und Fördergeber. Es gilt, weitere, praktische und sichtbare Modellprojekte zu entwickeln, die von professionellen Fachleuten betreut und realisiert werden, um eine gute Umsetzungsqualität und „Leuchttürme“ zu schaffen. Eigentümer, Entscheider und Akteure in der Ukraine müssen weiterhin motiviert und überzeugt werden. Gleichzeitig können mit Modellprojekten verschiedene Möglichkeiten der Kooperation und Umsetzung aufgezeigt werden, beispielsweise die Einbindung eines kommunalen Sanierungsträgers. Dafür sollte auch ein Teil der bereitgestellten öffentlichen Mittel des Energieeffizienzfonds genutzt werden.

Die vielen erfahrenen Unternehmen im Bereich Gebäude- und Wohnungswirtschaft und die bereitgestellte technische und finanzielle Hilfe aus Deutschland werden für diese Entwicklungen eine zentrale Rolle spielen: Wenn sich die deutschen Akteure zusammenschließen und ihre Aktivitäten koordinieren, ist die Aussicht, dass sich die jahrelangen Bemühungen und die Unterstützung der Ukraine auszahlen, sehr groß. Je mehr Projekte in der nächsten Zeit erfolgreich angestoßen und umgesetzt werden können, desto erfolgreicher kann der Fonds arbeiten und das Angebot an die Bedarfe angepasst werden. Professionell vorbereitete und ausgeführte Projekte unter Anleitung oder Einbindung deutscher Expertise führen dazu, dass die Qualität der Sanierungen und der ertüchtigten Gebäude steigt. Bei den Eigentümern wachsen Zufriedenheit und Lebensqualität und der Gebäudebestand kann nachhaltig und langfristig instandgehalten und eine Werterhaltung und -steigerung erreicht werden. Für solche künftigen Projekte kann zudem die Einführung und Erprobung individueller Sanierungsfahrpläne (iSFP) in der Ukraine wertvolle Impulse geben und Vorbilder schaffen, die langfristig zur Professionalisierung des Sanierungsgeschäfts beitragen. Ein iSFP ist ein Vorgehensplan für aufeinander abgestimmte Schritte zu einer energetischen Komplettsanierung. Er ermöglicht zugleich, dass die vorgesehenen Maßnahmen nicht notwendigerweise eine Komplettsanierung „in einem Zug“ erfordern: Abhängig von den Möglichkeiten der Eigentümer kann mit konkreten Einzelschritten in die Sanierung eingestiegen und die Umsetzung in weiteren Sanierungsschritten (Maßnahmenpakete) systematisch fortgesetzt werden. Die wichtigste Voraussetzung jedoch ist, dass ein Gesamtsanierungskonzept für das Gebäude hinter allen Schritten und Maßnahmen steht: sie werden mit dem Ziel aufeinander abgestimmt und verfolgt, dass perspektivisch eine qualitativ hochwertige Komplettsanierung, also ein umfassend energetisch modernisiertes Gebäude, erreicht wird.

Durch das gemeinsame Engagement für eine künftige Sanierungswelle in der Ukraine können in enger Zusammenarbeit mit den ukrainischen sowie weiteren europäischen Akteuren die eingangs genannten Potenziale zunehmend gehoben werden: Die Energieeffizienz wird langfristig gesteigert, Energie und CO2 werden eingespart – mit positiven Auswirkungen auf Klima und Umwelt über die Ukraine hinaus. Ein anlaufender, zunehmend funktionierender und für ausländische Investoren attraktiver Markt in der Ukraine ist das realistische Ergebnis. Diese Marktentwicklung wiederum eröffnet für die Ukraine die Chance, die hohe Arbeitslosigkeit zu überwinden, junge, gut qualifizierte Leute zur Rückkehr oder zum Verbleib in der Ukraine zu bewegen und den Wohlstand im Land zu steigern.

Die Erkenntnisse aus mehr als fünf Jahren Projektarbeit im Zusammenhang mit den „Deutsch-Ukrainischen Effizienzhäusern“ veranlassen die dena und ihre Partner zu einer positiven Markteinschätzung und großer Zuversicht: In der Ukraine steht die Wohngebäudesanierung erst am Anfang. Weit mehr als 80.000 Mehrfamiliengebäude müssen in den kommenden Jahren komplex und energetisch saniert werden. Ein Engagement deutscher Unternehmen und Förderer in der Ukraine lohnt sich absehbar – in wirtschaftlicher Hinsicht ebenso wie im Hinblick auf die globalen, auch unternehmerischen Bemühungen um mehr Klima- und Umweltschutz, Energie- und Ressourceneffizienz.

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