EU-Forschungsprojekte für die Wohnungswirtschaft

Die länderübergreifende Forschung erweitert den wissenschaftlichen Horizont und ist eine Grundlage für das Zu­­­sammenwachsen Europas.

Europäische Forschungsprojekte – so manch einer denkt hier an herausragende Wissenschaftler, die exklusiv ihre Nationen im großen europäischen Kontext vertreten dürfen. Nach über 15 Jahren Erfahrung im Mitwirken von nationalen und internationalen bzw. europäischen Forschungsprojekten kann  insoweit relativiert werden, dass europäische Forschungsvorhaben mitnichten einen höheren wissenschaftlichen Stellenwert einnehmen als nationale Forschungsprojekte.

Dies ist sicherlich an der Stellung und vor allem Größe Deutschlands in der EU begründet. Weisen einzelne, kleinere Mitgliedstaaten der EU einen oder wenige Experten in einem Spezialgebiet auf, so finden sich in Deutschland häufig gleich mehrere Lehrstühle an Universitäten und Fachhochschulen, die miteinander im regen Austausch oder auch wissenschaftlichen Konkurrenzkampf stehen. Hinzu kommen die Max-Planck-, die Helmholtz- und die Fraunhofer-Gesellschaft, letztere allein mit rund 18 000 Mitarbeitern sowie – nicht zu vergessen – die vielen Forschungs- und Entwicklungsabteilungen deutscher Unternehmen, in denen häufig eine bessere Infrastruktur vorzufinden ist als auf vielen Hochschulen. Die deutsche Forschungslandschaft ist somit – zumindest im Bauwesen – verglichen mit unseren europäischen Nachbarn sicherlich allein aufgrund der Dichte wissenschaftlicher Aktivitäten einmalig und kann als führend bezeichnet werden.

Entsprechend sind ausreichend Themen und wissenschaftliche Publikationen vorhanden. Es ist leicht, Symposien und Kongresse in deutscher Sprache interessant und mit genügend Teilnehmern zu gestalten. Gerade hier aber liegt eine große Gefahr: Aufgrund unserer Größe von 90 Mio. Einwohnern (nimmt man die deutschsprachigen Nachbarländer mit dazu) und eventuell auch aufgrund einiger Vorurteile, dass bei uns ja alles besser sei, drohen wir sprichwörtlich im eigenen Saft zu schmoren und sämtliche internationale Strömungen nur am Rande wahrzunehmen. Die übrige wissenschaftliche Gemeinde in der EU, – eventuell abgesehen von Märkten wie Frankreich, Spanien und Italien – kommuniziert, in Ermangelung eines ausreichend großen Marktes für Druckerzeugnisse in der Muttersprache, ausschließlich in Englisch. In der EU liegt der Bevölkerungsanteil derer, die nicht Deutsch als Muttersprache sprechen, allein bei 410 Mio. – dort generierte Forschungsergebnisse sind bei uns nahezu unbekannt. Hinzu kommt, dass in der restlichen wissenschaftlichen Welt außerhalb Europas ebenfalls Englisch als Sprache der Publikationen und Konferenzen gilt. Der Inselstatus der deutschen Bauforschung birgt somit einige Gefahren.

Die Möglichkeit deutschsprachige Forschung mit wissenschaftlichen Ergebnissen des übrigen Europas zu verbinden, bieten diverse europäische Forschungsvorhaben. Dabei exis-tiert eine nahezu unüberschaubare Vielzahl von Programmen, welche von europäischen Großforschungsvorhaben im mehrstelligen Millionenbereich bis hin zu kleinen regionalen Projekten oder auch individuell finanzierter Forschung durch Gastwissenschaftler reicht. Vielfalt herrscht auch beim Grad der finanziellen Unterstützung durch die EU, beginnend bei einer vollständigen Finanzierung des Forschungsvorhabens, bis hin zur Kompensation der Reisekosten oder der Unterstützung bei Publikationen.

 

Erfolgreiche Beteiligung an europäischen Forschungsvorhaben

Aus dem europäischen Forschungsprojekt epiqr® entstand eine Ausgründung der damals für Deutschland beteiligten Fraunhofer-Ge­­sellschaft, die heute mit über 40 festangestellten Architekten und Ingenieuren erfolgreich praxisgerechte Lösungen für die Immobilienwirtschaft anbietet.

Die Umsetzung von EU-Gebäuderichtlinien, aus der unter anderem der in Deutschland kontrovers diskutierte Energieausweis hervorging, wurde durch viele EU-Projekte be­­gleitet und überprüft. Als positives Ergebnis der EU-Gebäuderichtlinie kann festgestellt werden, dass bei energetischer Verbesserung der Gebäude innerhalb Europas ein mittlerweile einheitlicheres Bild vorzufinden ist, welches sich dadurch auszeichnet, dass sich die anderen Mitgliedstaaten den Vorreitern aus Deutschland, Österreich, Skandinavien und interessanterweise Slowenien an­­geschlossen haben und relativ einheitliche Standards für Neubauten, aber auch für die In­­standsetzung von Bestandsgebäuden vorschreiben. Eine Betrachtung des End­­­ener­giebedarfs, aber auch des Primärenergiebedarfs der Gebäude, ist in ganz Europa zum Standard geworden – wenngleich die Primärenergiekennzahlen, die in den einzelnen Ländern verwendet werden, nicht immer auf der gleichen Berechnungsgrundlage ruhen. Vor allem bei einzelnen neuen Mitgliedstaaten aus dem Bereich des ehemaligen Warschauer Paktes herrscht gerade bei der Modernisierung von Geschoßwohnungsbauten jedoch noch erheblicher Nachholbedarf. Hier kann Deutschland mit in den neuen Bundesländern gewonnen Erfahrungen zur Instandsetzung zur Modernisierung, zum Verkleinern, aber auch zum Rückbau von Immobilienbeständen, jeweils plakativ vorführen, wie vorzugehen ist. Eine Umsetzung scheitert jedoch meist in diesen Ländern, da eine vergleichbare finanzielle Unterstützung und flankierende Infrastrukturmaßnahmen aufgrund wirtschaftlicher Engpässe nicht vorhanden sind.

 

Vergleich der energetischen

Performance in Europa

Eine Vergleichsuntersuchung im Rahmen des Forschungsprojekts „COST Action C16“ ergab, dass in ganz Europa aufgrund der EU-Ge­­bäuderichtlinie beim Neubau wie auch bei der Instandsetzung mehr oder weniger einheitliche Standards zu finden sind. Lediglich bei den EU-Inselstaaten Malta und Zypern finden sich insbesondere bei der Instandsetzung Abweichungen. Dort wird, sicherlich auch dem milden Klima im Winter geschuldet, nie oder zumindest nur selten eine Außendämmung der Fassade angewendet.↓

Leider wird der positive Effekt der Wärmedämmung im Sommer in ganz Europa nicht ausreichend gesehen. Wie am Beispiel der Thermoskanne leicht ersichtlich, die sowohl kalte Flüssigkeit kalt als auch Warmes warm hält, kann auch eine Dämmung dazu beitragen, die Wärme der Außenumgebung vom Inneren des Gebäudes abzuhalten. Die Un­­tersuchung im Rahmen des EU-Projekts ergab, dass in den teilnehmenden Mitgliedstaaten zum Thema der Gebäudekühlung keine einheitlichen Richtlinien existieren. Noch schlimmer: in den einzelnen Mitgliedstaaten (außer in Portugal) existieren auch keine Verordnungen, die den Kühlbedarf von Gebäuden regeln. Gerade im Hinblick auf den Klimawandel und die zeitgemäß vergrößerten Verglasungsflächen im Gebäudebereich ist diese Erkenntnis alarmierend, da durch die Gebäudekühlung im Sommer mittlerweile nicht allein in Südeuropa, sondern sogar hier in Deutschland ein erheblicher Energieverbrauch zu verzeichnen ist, schließlich wird, je nach Baujahr und Ausführung der Anlagen, beim Kühlvorgang bis zu dreimal so viel Energie verbraucht als beim Heizen..

 

Nachhaltigkeit in Europa intensivieren

Ein weiterer Indikator wurde im Zusammenhang mit einer Nachhaltigkeitsanalyse für die EU-Kommission herausgefunden. CalCon wurde hier gemeinsam mit PE-International und der Uni Stuttgart direkt beauftragt, für alle Wohngebäude der EU-25 Staaten eine Ökobilanz zu erstellen und Handlungsempfehlungen abzugeben, für welche Gebäude welche zukünftige Instandhaltungsstrategie gewählt werden soll. Der Hintergrund ist hier die Optimierung der Förderpolitik der EU, um die Nachhaltigkeit in Europa generell zu intensivieren und um zu verhindern, dass Fördermittel für die falschen Gebäude zur Verfügung gestellt werden.

Der größte nachhaltige Verbesserungsbedarf war bei Ein- und Zweifamilienhäusern sowie kleineren Mehrfamilienhäusern in Südeuropa zu finden.

Um eine zukünftige Entwicklung bewerten zu können, wurde eine Abschätzung durchgeführt, welche Entwicklung auf den einzelnen Immobilienmärkten zu verzeichnen ist, da ein Gebäude nur dann als nachhaltig angesehen werden kann, wenn es auch in Zukunft Nutzer findet. Viele der zu diesem Zweck erhobenen Indikatoren sind auch für die deutsche Immobilienwirtschaft von Interesse. Hierzu zählt z.B. die durchschnittliche Wohnfläche pro Person in den einzelnen Mitgliedstaaten der EU.

Dabei kam heraus, dass Deutschland mit einer durchschnittlichen Wohnfläche von 40  m2 pro Einwohner in der Spitzengruppe angesiedelt ist. Lediglich Dänemark als Spitzenreiter mit 51 m2 sowie Großbritannien, Luxemburg, Niederlande und Schweden weisen eine höhere Wohnfläche pro Bewohner auf. Im Gegensatz dazu stehen Länder wie Polen mit lediglich 22 m2. Bei diesen Staaten kann davon ausgegangen werden, dass hier eine höhere Bautätigkeit zu erwarten ist, um den Bedarf an größerer Wohnfläche pro Einwohner zu decken.  

Arbeitsmodell in Göteborg

Ein weiteres Forschungsprojekt setzte den Fokus auf den sozialen Wohnungsbau in Europa. Hier wurde an einem praktischen Beispiel einer Wohnungsgesellschaft in Gö­­teborg (Schweden) plakativ aufgezeigt, wie Verunreinigungen der Außenanlagen und der Fassade verhindert werden können. In Deutschland erachtet man es häufig als ausreichend, wenn ein Spielplatz eingerichtet wird, auf dem sich die üblichen kostengünstigen Spiraltiere, Sandkästen und einige Bänke finden. Man bezeichnet dies dann als kinder- und ju­­gendfreundlich. Tatsächlich ist damit nur für die kleineren Kinder gesorgt. Heranwachsende Ju­­gendliche zwischen 12 und 18 Jahren nutzen derartige Spielangebote meist gar nicht oder nicht zweckkonform. Gerade für diese Altersgruppe ist bei uns in Deutschland wenig bis kein Angebot vorhanden – obgleich besonders diese Altersgruppe dazu beiträgt, ein Quartier zu einem sozialen Brennpunkt werden zu lassen.

Die schwedische Wohnungsgesellschaft wählte hier einen anderen Weg: Anstatt eines weiteren Spielplatzes wurde ein Jugendhaus in der Siedlung errichtet, in dem Streetworker die Betreuung der Jugendlichen übernahmen. Soweit sicherlich auch in Deutschland zu finden.

Die Wohnungsgesellschaft ging aber noch einen Schritt weiter und vereinbarte gemeinsam mit der Stadt, insbesondere dem Arbeits- und Jugendamt, eine Regelung, in der „Kinder- bzw. Jugendarbeit“ unter strengen Auflagen zugelassen wurde. In dem Arbeitsmodell erhalten die Jugendlichen Geld für die regelmäßige Pflege der Außenanlagen rund um die Gebäude, in denen sie selber wohnen.

In der Anfangsphase erhielten sie dazu Unterstützung eines Gärtners, Arbeitskleidung und Arbeitsgeräte wurden von der Wohnungsgesellschaft ge­­stellt. Der positive Effekt dieser Regelung: die Jugendlichen halten ihr Gebäude und ihre Außenanlagen in Ordnung, erhalten dafür Geld und sorgen dafür, dass andere Jugendliche ihre Arbeit nicht zerstören. Nach Aussage der Wohnungsgesellschaft belaufen sich die Kosten für den Streetworker, die Arbeitsgeräte und die Entlohnung der Jugendlichen deutlich unter der Summe, die davor für die Instandsetzung der Außenanlagen und vor allem die Behebung von Vandalismus-Schäden an den Fassaden und Eingangsbereichen angefallen waren.

 

Fazit

Die oben angeführten Beispiele lassen sich beliebig um weitere positive Erfahrungen und Anregungen ergänzen und sollen Anstoß ge­ben – nicht allein an nationaler Wissenschaftsarbeit, sondern praxisbezogener Forschung im Sinne eines gemeinsamen Europas  mitzuwirken. Die EU-Kommission fördert ausdrücklich die Beteiligung von Bestandshaltern in EU-Projekten.

Die einzige Hürde, die sich in den Weg stellen könnte, ist die Tatsache, dass die Arbeitssprache Englisch ist.

Die Teilnahme an EU-Projekten geben neue Impulse und tragen dazu bei, dass Europa weiter in Frieden und unter Freunden zusammenwächst.

Eine Betrachtung des Endenergiebedarfs aber auch des Primärenergiebedarfs der Gebäude ist in ganz Europa zum Standard geworden.

Die Jugendlichen halten ihr Gebäude und ihre

Außenanlagen in Ordnung, erhalten dafür Geld

und sorgen dafür, dass andere Jugendliche

ihre Arbeit nicht zerstören.

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