Entwicklungspotenziale in Städten und Gemeinden
In Deutschland sollen der Flächenverbrauch reduziert und die Innenentwicklung der Städte und Dörfer gestärkt werden. Im Auftrag des BMVBS1 / BBSR2 hat das Dresdner Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung deshalb im Jahr 2012 im Rahmen einer bundesweit repräsentativen Umfrage Brachflächen und Baulücken in Städten und Gemeinden („Innenentwicklungspotenziale“) erhoben sowie Einzelheiten und Erfahrungen zum Thema Flächenmanagement abgefragt. Die Ergebnisse wurden in einer umfassenden Dokumentation veröffentlicht.
Die Bedeutung der Innenentwicklung für eine nachhaltige flächensparende Siedlungsentwicklung wird von politischer Seite auf lokaler, nationaler und Europäischer Ebene mit Nachdruck vertreten und ist fachlich unumstritten. Eine wesentliche Voraussetzung für die Mobilisierung von Innenentwicklungspotenzialen (IEP) ist eine fundierte Kenntnis der Flächenpotenziale innerhalb bestehender Siedlungsgebiete.
Obwohl ein systematisches Flächenmanagement in einer steigenden Zahl von Kommunen zum Einsatz kommt, ist die Praxis in der Breite von einem systematisch erhobenen und flächendeckenden Datenbestand weit entfernt. Entsprechend groß sind die Unsicherheiten. Im Zentrum des Projektes stand daher eine bundesweite Umfrage in repräsentativ ausgewählten Städten und Gemeinden. Erhoben wurden für die Innenentwicklung geeignete Flächenpotenziale auf Brachflächen und Baulücken sowie praktische Erfahrungen der Kommunen mit Flächeninformations- und Management-Systemen.
Die Umfrage wurde Mitte 2012 als standardisierte Online-Umfrage durchgeführt. Die Fragebogenentwicklung und -abstimmung erfolgte unter Beteiligung unterschiedlicher Experten aus Wissenschaft und Praxis und mit Unterstützung des Deutschen Städtetages und des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Aus der Umfragestichprobe von 1315 repräsentativ ausgewählten Städten und Gemeinden konnten 451 verwertbare Fragebögen gewonnen werden (rund 4 % der zum Befragungszeitpunkt 11.255 Städte und Gemeinden in Deutschland). Zur Validierung der Umfrageergebnisse und zur Gewinnung ergänzender qualitativer Informationen wurden außerdem verteilt auf die Bundesländer (mit Ausnahme der Stadtstaaten und des Saarlandes) insgesamt 29 Fallstudien durchgeführt (16 als Vor-Ort-Besuche; 13 als telefonische Experten-Interviews).
Hochrechnung von Innenentwicklungspotenzialen
Mehr als 90 % der Kommunen, die sich an der Befragung beteiligten, konnten Angaben zu ihren IEP in den vorgeschlagenen Definitionen machen. Im Ergebnis lassen sich erstmals über alle Städte- und Gemeindetypen belastbare Größenordnungen für IEP auf Brachen und Baulücken hochrechnen. Dabei liegt die Untergrenze für Deutschland insgesamt bei knapp 15 m² je Einwohner (EW). Dies entspricht einer Gesamtfläche von ca. 120.000 ha bzw. einem Anteil von rund 5 % der Gebäude- und Freifläche Deutschlands. Mehr als ein Viertel der Potenziale liegt in Gemeinden unter 5.000 Einwohner. Berücksichtigt man bei den Hochrechnungen die ebenfalls deutlich gewordenen Hinweise auf Unterschätzung der tatsächlich vorhandenen Potenziale in Korrekturschätzungen, so erhöht sich das IEP auf rund 20 m² je EW bzw. 165.000 ha insgesamt. Indizien für Unterschätzungen finden sich insbesondere bei Gemeinden, in denen auf „geschätzte Daten“ zurückgegriffen wird. Dies ist in 70 % der Städte und Gemeinden der Fall.
Brachen und Baulücken im hier zugrundeliegenden Verständnis umfassen den Teil der IEP, der ohne Flächenbewertungen identifiziert und erfasst werden kann. Darüber hinaus existieren weitere Potenziale, deren Bestimmung eine vorherige planerische Abwägung voraussetzt.
Dies sind zum Beispiel Umnutzungs- bzw. Umstrukturierungsflächen, Nachverdichtungspotenziale, gering genutzte Flächen, falsch/unpassend genutzte Flächen etc. Bei Berücksichtigung solcher „Abwägungspotenziale“ und im Abgleich mit den Ergebnissen vorliegender regionaler Studien ist eine weitere Verdopplung des oberen Wertes nicht auszuschließen.
Diese Größenordnung ist jedoch für die Bundesrepublik Deutschland statistisch nicht abgesichert und kann damit lediglich eine grobe Orientierung liefern.
Regionale Unterschiede
Regional prägen sich die IEP unterschiedlich aus. In Ostdeutschland liegt der Wert bei 22 m² je EW, für Westdeutschland bei 13 m² je EW. Die einwohnerbezogenen Werte zeigen zudem ein deutliches Land/Stadt-Gefälle. Landgemeinden weisen mit über 25 m² je EW die höchsten Werte auf. Dieser Wert sinkt mit zunehmender Stadtgröße auf einen Wert von rund 9 m² je EW in großen Großstädten.
IEP in stark schrumpfenden Gemeinden sind quantitativ gesehen besonders hoch. Es zeigt sich aber auch, dass Bevölkerungswachstum nicht notwendigerweise mit geringen IEP einhergeht. So können zum Beispiel IEP entstehen, wenn aufgrund des Wachstums Gewerbe an den Stadtrand verlagert wird und die freiwerdenden Flächen erst mit Zeitverzug für Nachnutzungen zur Verfügung stehen.
Verteilung auf Brachflächen und Baulücken
Der größere Teil der erhobenen Innenentwicklungsflächen sind mit 56 % Baulücken. Auf Brachen entfallen 44 %. Dies bedeutet, dass bei einer reinen Betrachtung von Brachen mehr als die Hälfte der hier erhobenen IEP unberücksichtigt bleibt. Regional unterscheiden sich diese Verhältnisse deutlich.
So dominieren in Westdeutschland die Baulücken (überschlägiges Verhältnis Baulücke zu Brache 60:40), in Ostdeutschland dagegen die Brachen (40:60). In den Großstädten überwiegt der Anteil von Brachen deutlich (10:90). Das Verhältnis in Mittelstädten sowie in kleineren Städten und Gemeinden liegt bei 60:40.
Erfassungsaktivitäten in den Kommunen
Ca. ein Drittel aller Kommunen erfasst heute bereits IEP. Dabei gibt es deutliche Unterschiede zwischen Ost (20 %) und West (40 %). Nach Stadtgröße unterschieden steigen die Erfassungsaktivitäten in den Landgemeinden mit 25 % nahezu linear an bis zu 100 % in den großen Großstädten.
Etwa 20 % der Kommunen planen eine Ausweitung ihrer Erfassungsaktivitäten. Auch in den Fallstudien-Städten, in denen bislang IEP nicht systematisch erfasst werden, sieht etwa ein Drittel der Gesprächspartner eine weiterentwickelte Datenerfassung als „wünschenswert“ bis „auf Dauer unverzichtbar“ an. Doch selbst wenn sich alle Planungen umsetzen ließen, würde künftig nur knapp über die Hälfte aller Kommunen eine aktive Erfassung betreiben (43 % in Ost- und 60 % in West-Deutschland). Zeitmangel, Personalprobleme (Kapazitäten und Kompetenzen), fehlende Finanzierungsmöglichkeiten und damit verbundene Prioritätensetzungen werden als Haupthindernisse einer angemessenen Erfassung und Pflege der Daten zu Brachflächen, Baulücken und weiterer IEP genannt.
Fazit
Abschließend lässt sich festhalten, dass die Ergebnisse der vorliegenden Studie erstmals einen umfassenden, strukturierten und repräsentativen Überblick zu den vorhandenen IEP auf Brachen und Baulücken in Deutschland ermöglichen. Die Kenntnisse über IEP in den Kommunen zeigen, dass das Thema vor Ort ernst genommen wird. Zugleich müssen Kommunen allerdings häufig auf Schätzungen zurückgreifen, wodurch ungenaue Informationsgrundlagen entstehen, die nur begrenzt mit dem Anspruch eines informierten und transparenten Planungshandelns vereinbar sind.
Strategien einer bestandsorientierten Siedlungspolitik müssen hier ansetzen und Rahmenbedingungen schaffen, die Kommunen besser in die Lage versetzen, erforderliche Planungsgrundlagen zu generieren und in die Planung einzubringen. Wie in einem zweiten Strang des Projektes gezeigt wurde, können dabei (teil-)automatisierte Auswertungen von Geobasisdaten wichtige Beiträge leisten. Auch diese Ergebnisse werden in der jetzt verfügbaren BBSR Sonderveröffentlichung ausführlich dargestellt.
Literaturhinweis:1) Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (bis 12/2013, seitdem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur / BMVI)2) Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und RaumforschungBBSR (Hrsg.): Innenentwicklungspotenziale in Deutschland - Ergebnisse einer bundesweiten Umfrage und Möglichkeiten einer automatisierten Abschätzung. Bonn, 2014Bezugsquelle: gabriele.bohm@bbr.bund.de