Kann auch der Bund „partnerschaftlich“ planen und bauen?

Alternative Vertragsmodelle für die Vergabe von Bauleistungen durch die öffentliche Hand

Bauwerke sind in aller Regel Einzelstücke, individuell geplant und realisiert, komplex in ihren äußeren Umständen, logistischen Möglichkeiten, hochbaulichen und technischen Anforderungen und den im Wettbewerb erzielten Vergabeergebnissen, auch im Bauwesen der öffentlichen Hand.

Das Zusammenspiel zwischen Maßnahmenträger, Bauverwaltung, Planern, Steuerern und einer Vielzahl von Bauunternehmern gelingt nicht immer harmonisch und zur allseitigen Zufriedenheit. Denn zwischen Projektbeginn und Fertigstellung ist die Planung diversen Änderungen unterworfen; kein Bedarf kann zu 100 Prozent vollständig und richtig formuliert, kein Entwurf und keine Leistungsbeschreibung zu 100 Prozent vollständig und richtig vorhersagen und beschreiben, welche (Teil-)Leistungen erforderlich sein werden, um das gewünschte Ergebnis trotz aller Widrigkeiten und unerwarteter Entwicklungen und Hindernisse in der geplanten Zeit zu erreichen.

Der Bauvertrag ist daher regelmäßig ein unvollständiger Vertrag und bedarf der baubegleitenden Anpassung. In einer kooperativen Vertragsbeziehung zwischen Auftraggeber (AG) und Auftragnehmer (AN) ist dies kein nachhaltiges Problem: Über die Anordnungsrechte des § 2 Abs. 5 und 6 VOB/B hat der AG die Möglichkeit zur Anpassung, der AN wirkt über Nachtragsangebote mit und erhält die angepasste Vergütung. Je größer und/oder komplexer die Baumaßnahme ist, desto anspruchsvoller ist die Steuerung und Koordinierung der Fachplaner und Gewerke, desto fragiler sind der Bauprozess und die Kooperation der Beteiligten – AG, Planer, AN, NU – und damit die Chancen, das Zeit- und Kostenziel unbeschadet zu erreichen.

Die internationale Bauwirtschaft und die baubetriebliche Wissenschaft hat zur Bewältigung dieser Aufgabe im Verlauf der letzten 20 Jahre diverse Ideen entwickelt, neue Vertragsformen entworfen und angewendet, ein flexibleres Prozess- und Konfliktmanagement etabliert: GMP-Verträge (guaranteed maximum price), target cost Verträge, Lean Construction, Allianzverträge, BIM, außergerichtliche Streitbeilegung sind einige Stichworte und Konzepte, die seither in der Fachliteratur stetig und immer häufiger unter dem Oberbegriff „Partnering“ vorgestellt, diskutiert und gefordert werden. Das öffentliche Bauwesen von Bund, Ländern und Kommunen, von der Bahn-AG und der BImA war bislang skeptisch, denn es gilt das Haushaltsrecht einzuhalten, vergaberechtliche Risiken zu vermeiden, den Vorrang der Teil- und Fachlosvergabe zu berücksichtigen, die Planungshoheit des AG zu bewahren, den baukulturellen Anspruch öffentlicher Bauten zu erfüllen, die eigenen Kompetenzen nicht zu vernachlässigen, nicht zuletzt ein hohes Maß an Nachhaltigkeit zu realisieren.

Diese besonderen Ziele des öffentlichen AG zu erfüllen und „nebenbei“ Zeit- und Kostenplanung einzuhalten, stellt die Projektleitung im Rahmen der klassischen Planungs-, Vergabe- und Bauprozesse mit an die hundert AN vor schwer lösbare Aufgaben. Die jeweils bilateralen Vertragsbeziehungen verengen den Blick auf das Projektziel und behindern die Zusammenarbeit der Gewerke untereinander. Der kompromisslose Preiswettbewerb im Vergabeverfahren ohne Verhandlungsmöglichkeit richtet den Fokus jedes einzelnen AN auf das eigene Kostenmanagement und die weiterhin bilateralen Nachtragsverhandlungen offenbaren nicht selten eine zu knappe Preiskalkulation, die kaum Spielraum für Partnerschaftlichkeit bietet und unweigerlich zu Konflikten und Zeitverzug führt. Der Wunsch nach neuen Konzepten für einen verlässlichen, konfliktärmeren Planungs- und Bauprozess wird daher auch im öffentlichen Bauwesen stärker.“ Der Blick in die USA, nach Großbritannien, Australien, Finnland zeigt, dass auch die öffentliche Hand sich dem Partnering-Gedanken öffnen kann und darf, mit offenbar guten Aussichten auf eine bessere Termin- und Kostentreue auch bei großen/komplexen Projekten, auf mehr Kooperation und weniger Konfrontation in ihren Vertragsbeziehungen und Prozessen.

In den USA setzten sich im Laufe der 1990er Jahre die Methoden des Lean Construction (Gesamtprojekt-Analyse, flow- und pull-Prinzip, LastPlannerSystem®, Wertstromanalyse, Taktplanung und Taktsteuerung, etc.) im Management großer Projekte durch und die Parteien suchten nach Vertragsformen und Planungsprozessen, die dieser neuen Form des Bauprozesses am ehesten gerecht würden. Das Ergebnis ist der „IPD“-Vertrag (Integrated Project Delivery): Um die Kompetenzen der Bauunternehmer nicht erst auf der Baustelle und dort in den engen Grenzen der fertigen Planung abzurufen, sondern bereits in die Planung einfließen zu lassen, wird die Vergabe der Schlüsselgewerke deutlich früher durchgeführt und bereits im Rahmen der Entwurfsplanung wird kooperativ geplant.

Flankiert durch ein gemeinsames Risikomanagement, finanzielle Anreize für Zeit-/Kostenoptimierung, rasche Konfliktlösungsverfahren (Schlichtung, Mediation o.ö.), Teambuilding-Konzepte, gemeinsame Entscheidungsgremien – für die Planung, die Projektleitung, das unausweichliche Änderungsmanagement – bis hin zum partiellen Haftungsverzicht des Bauherrn, gelingt es offenbar, eine stabile Vertrauensbasis unter den Beteiligten zu etablieren und zu erhalten, gegenseitigen Respekt, Loyalität und Engagement für das gemeinsame Ziel zu entwickeln und zu wahren, und hierdurch eine höhere Termin- und Kostentreue zum Nutzen aller zu erreichen.

Der GMP-Vertrag versucht ähnliches, legt jedoch das Hauptgewicht von Planung und Bauen weniger auf gemeinsame Gremien als vielmehr in die Hände eines Generalunternehmers/-übernehmers. Infolge seiner Planungs- und Koordinierungsverantwortung soll ihm eine sichere Preiskalkulation und Prozesssteuerung möglich sein, so dass ihm das Gros der Projektrisiken übertragen wird – inkl. verbindlicher Termine – gegen Vereinbarung eines (pauschalen) Maximalpreises. Auch hier wurden Methoden zur kooperativen Projektsteuerung eingesetzt (mit den Nachunternehmern), um die Risiken abfedern zu können.

In Großbritannien entwickelten sich beinahe zeitgleich seit dem Ende der 1990er Jahre nach einer Analyse der wirtschaftlichen Krise des Bausektors neue Vertragsmuster für kooperatives Planen und Bauen – im Auftrag der Regierung und mit bis heute bestehender wissenschaftlicher Begleitung. Hier – wie auch in Australien – etablierte sich schließlich die Idee des gelungenen Projekts als Ziel aller Bauparteien, das diese nur gemeinsam erreichen können, als ein Team, verbunden in einem Mehrparteienvertrag (in GB in Form des PPC2000: Project Partnering Contract; in Australien in Form der Project Alliance).

Auch hier spielen die Aspekte der frühzeitigen Integration der wichtigsten Baugewerke in die Planung, von finanziellen Anreizen (incentives, „gain-share“), außergerichtlicher Streitlösung, Teambuilding, open book (transparente Kalkulationen und Kosten, gemeinsame NU-Auswahl), eines kooperativen Änderungs-, Risiko- und Prozessmanagements inkl. der Methoden des Lean Construction und eines gegenseitigen Haftungsverzichts eine große Rolle.

Die finnische staatliche Infrastrukturgesellschaft hat – ähnlich wie die USA – über den Wunsch, Lean Construction möglichst umfassend und gewinnbringend anzuwenden, ebenfalls ein Allianz-Konzept entwickelt, das dem australischen vergleichbar ist.

Das BMI hat im Rahmen des Projektes Reform Bundesbau über das BBSR einen Forschungsauftrag vergeben, um die Möglichkeiten der öffentlichen Hand, sich solchen innovativen Vertragsmodellen zu öffnen, untersuchen zu lassen. Die Verfasser des Gutachtens „Alternative Vertragsmodelle zum Einheitspreisvertrag für die Vergabe von Bauleistungen durch die öffentliche Hand“ – Rechtsanwalt Dr. Breyer, Stuttgart, Rechtsanwältin Dr. Boldt, Frankfurt/M., Prof. Haghsheno, KIT Universität Karlsruhe – empfehlen drei denkbare Konstellationen:

1) Mehrparteien-Rahmenvertrag

Im Anschluss an die konventionelle Teil-
& Fachlosvergabe (bilaterale Werkverträge) schließen AG, Planer und  Schlüsselgewerke-AN einen gemeinsamen Rahmenvertrag, der „nur“ die partnerschaftliche Bauabwicklung sicherstellen soll.

2) Mehrparteienvertrag mit

      Zielpreisvereinbarung

Bauherr, Planer und Schlüsselgewerk-Unternehmer schließen sehr früh in der Planungsphase einen gemeinsamen Mehrparteienvertrag, durch den sie einander gegenseitig eine möglichst effiziente Planung und Bauausführung gewährleisten. 

3) Mehrparteienvertrag mit Einheits-/

Pauschalpreisvereinbarung

Auch hier schließen Bauherr, Planer und Unternehmer frühzeitig einen gemeinsamen Vertrag zu Planung und Bauausführung; zum Abschluss der gemeinsamen Planungsphase legen die Unternehmer jedoch verbindliche Leistungsbeschreibungen vor und die Parteien vereinbaren auf Basis der gemeinsam ermittelten Kosten zzgl. AGK- und Wagnis- und Gewinn-Zuschläge verbindliche Preise (ähnlich dem GMP-Vertrag).

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In der nächsten Heftausgabe wird im zweiten Teil dieses Aufsatzes das Konzept des „Mehrparteienvertrages mit Zielpreis“ erläutert.Autorin: Cordula Getz, Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat Referat B I 7 – „Recht des Bauwesens, öffentliches Auftragswesen“
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