Pestel-Chef Matthias Günther über die Folgen des Ukraine-Krieges für die Branche

Klimakrise und Krieg sind gute „Ausstiegsargumente“

Der Ukraine-Krieg hat die Preise für fossile Energien explodieren lassen und dem Umstieg auf regenerative Energien eine besondere Dynamik verliehen. Mit seinem sogenannten „Osterpaket“ (Energiesofortmaßnahmenpaket) drückt www.pestel-institut.deaufs Tempo. Bis 2035 soll der gesamte deutsche Energiebedarf aus erneuerbaren Quellen gedeckt werden. Im Interview erläutert Matthias Günther, Vorstand des Pestel Instituts Hannover (www.pestel-institut.de), wie sich der Einstieg in den Ausstieg auf Baufirmen, Mieter, Vermieter und Investoren auswirken wird.

Herr Günther, auf deutschen Baustellen wird nach wie vor gearbeitet. Wie lange kann die Baubranche steigenden Energie- und Materialpreisen sowie Lieferengpässen standhalten?

Matthias Günther: Gegenwärtig werden vor allem Projekte abgearbeitet, die schon vor längerer Zeit begonnen wurden. Doch die Baubranche wird die steigenden Kosten an ihre Kunden weitergeben müssen. Da stellt sich die Frage, bis zu welchem Grad sich steigende Herstellungskosten in höhere Mieten und Verkaufspreise umwandeln lassen? Und wie lange sind potenzielle Bauherren noch ausreichend kreditfähig, um die höheren Preise zu finanzieren? Letztlich muss der Endkunde, also der private Haushalt, in der Lage und auch bereit sein, neue Wohnimmobilien zu kaufen oder zu mieten. Aktuell ist mein Eindruck, dass viele Akteure am Wohnimmobilienmarkt die Bereitschaft und Fähigkeit der privaten Haushalte immer stärker in Zweifel ziehen.

Wir müssen davon ausgehen, dass alle Projekte, bei denen ein Stopp noch möglich ist, auf den Prüfstand gestellt werden. Lieferengpässe sorgen letztlich für Verzögerungen auf den Baustellen und erhöhen damit die Kosten zusätzlich.

Solange die Verzögerungen kalkulierbar sind, lassen sie sich in Angebote einarbeiten. Aber bereits heute können praktisch weder Festpreisangebote noch Terminzusagen abgegeben werden. Diese Unsicherheit hemmt potenzielle Kunden, aktuell in Bauvorhaben zu investieren. 

Angesichts von Lieferengpässen und erhöhtem Kostendruck werden die Rufe nach einer stärkeren Nutzung regionaler Rohstoffe lauter. Sind mineralische Baustoffe und heimisches Holz die Lösung? 

Matthias Günther: Baustoffe haben traditionell ein hohes Gewicht bei relativ niedrigem Preis. Oder etwa bei Dämmstoffen ein hohes Volumen bei geringem Gewicht. Der Transportradius von Baustoffen für den Rohbau war deshalb schon immer begrenzt. Insofern sind heimische Rohstoffe nicht nur aktuell die Lösung, sondern werden es auch in Zukunft bleiben. So wurden im Durchschnitt der letzten drei Jahre im gesamten Wohnungsbau knapp 72 Prozent des geschaffenen Wohnraums überwiegend mit Mauerwerk errichtet. Stahlbeton machte rund 15 Prozent und Holz knapp 12 Prozent im gesamten Wohnungsbau aus. Sonstige Baustoffe spielen mit 1,3 Prozent nur eine geringe Rolle.

Dies zeigt aber auch: Fällt einer der heimischen Baustoffe aus, ist der Wohnungsbau in seiner 2020 erreichten Größenordnung unmittelbar gefährdet. Eine Substitution durch Importe führt zu einem enormen und nicht erwünschten Transportbedarf und ob die Lieferketten dadurch stabiler werden, darf zumindest bezweifelt werden. In jedem Fall ist für den Baustoffeinsatz in der nächsten Zeit eine Optimierung angesagt. Sind Baustoffe regional lieferfähig und nur mit den unmittelbar notwendigen Preisaufschlägen versehen, sollten sie auch zur Sicherung der politisch gesetzten und bedarfsgerechten Wohnungsbaumaßnahmen genutzt werden. Wird zum Beispiel Baustahl immer knapper, sollte der verfügbare Anteil für Deckenelemente und andere alternativlose Anwendungen vorgesehen werden, da sonst der gesamte Rohbau zum Stillstand kommen könnte. Ähnlich sieht es etwa bei der Verwendung von Bauholz für die Erstellung von Dachstühlen aus.

Die Wohnungsbauziele der Bundesregierung sind ambitioniert. Können in der aktuellen Lage wirklich 400.000 neue Wohnungen pro Jahr geschaffen werden?

Matthias Günther: In der Pressekonferenz des Verbändebündnisses „Soziales Wohnen" haben wir im Januar deutlich gemacht, dass eine Steigerung der Wohnungsfertigstellungszahl im gewünschten Ausmaß nur über das Bauen im Bestand erreicht werden kann. Also vor allem Aufstockungen von Wohn- und Nichtwohngebäuden sowie Umnutzungen von Nichtwohngebäuden und dabei vor allem Büroflächen, die aufgrund des verstärkten Trends zum Homeoffice nicht mehr in der bisherigen Größenordnung gebraucht werden.

Die Errichtung neuer Wohngebäude war dagegen bereits zum damaligen Zeitpunkt über die Kapazitäten der Bauunternehmen und der Baustoffhersteller limitiert.

Im Bestand hätten hingegen Kapazitäten aus dem Bereich Modernisierung temporär in die Schaffung neuer Wohnungen verschoben werden können. Dazu hätte man allerdings die Hemmnisse für die Umsetzung von Aufstockungen und Umnutzungen, wie Stellplätze, Abstandsregelungen, Barrierefreiheit fürs ganze Gebäude und vieles andere mehr aus dem Weg räumen müssen.

Bislang ist noch keine Initiative des Bauministeriums zum Abbau der Hemmnisse oder ein Anreiz zum Bauen im Bestand zu erkennen. Und damit ist das erste Quartal 2022 ohne nennenswerte Fortschritte gelaufen. Bei den aktuellen Problemen wäre schon das Halten von 300.000 Wohnungsfertigstellungen im Jahr 2022 ein Erfolg.

Die Wohnungswirtschaft spricht sich gegen höhere Standards bei der energetischen Sanierung und für mehr Tempo beim Umstieg auf erneuerbare Heizenergien aus. Ist das der Königsweg, um die Klimaziele im Gebäudesektor ohne große Mietkostensteigerungen zu erreichen?

Matthias Günther: Wohnen wird teurer werden. Wenn eine kostenneutrale Dämmung auf ein hocheffizientes Niveau wie den KfW55- oder den KfW40-Standard möglich wäre, hätten wir das in Deutschland schon millionenfach umgesetzt.

Die Kosten für den Klimaschutz sind aber höher als die Einsparungen an Energiekosten. Wenn die Kostendifferenz subventioniert wird, zahlen wir es am Ende über unsere Steuern ohnehin. Gesellschaftlich muss das Thema Verteilung zwangsläufig diskutiert werden, wenn der Klimaschutz weiter vorangetrieben wird. Dass dies notwendig ist, hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum Klimaschutzgesetz vom März 2021 eindrucksvoll herausgearbeitet.

Die meisten Bürger werden die Lasten des Klimaschutzes weitestgehend selbst tragen. Deshalb müssen wir offener werden für pragmatische Lösungen.

Zurzeit erfordert im Wohnungsbestand eine Kombination aus Energieeinsparung, regenerativer und optimierter Eigenenergieerzeugung – etwa durch Photovoltaik und Wärmepumpe – zusammen mit grünem Reststrombezug erheblich weniger Investitionen als eine Dämmung in Richtung eines KfW55-Standards.

Politiker müssen sich schon die Frage stellen lassen, ob diese schnelle und für den Eigentümer tragbare Lösung zusammen mit einem gesellschaftlich getragenen stärkeren Ausbau der Erneuerbaren nicht der bessere Weg ist.

Immer mehr Bauvorhaben werden verschoben oder storniert. Welche Folgen wird das für die Wirtschaft und den Wohnungsmarkt haben?

Matthias Günther: Es gibt Befürchtungen, dass in der zweiten Jahreshälfte der Bau um bis zu 20 Prozent einbricht. In der klassischen gesamtwirtschaftlichen Betrachtung unter Berücksichtigung der Lieferverflechtungen mit der übrigen Wirtschaft im In- und Ausland würde das auf das gesamte Jahr 2022 einen Rückgang des BIP um etwa 2 Prozent und einen Rückgang der Beschäftigung in etwa der gleichen Größenordnung zur Folge haben. Das kommt nur zum Tragen, wenn die freiwerdenden personellen Kapazitäten nicht an anderer Stelle der Wirtschaft unmittelbar eingesetzt werden können. Sollte dies der Fall sein, wofür bei der niedrigen Arbeitslosquote einiges spricht, werden die gesamtwirtschaftlichen Folgen geringer ausfallen. Allerdings besteht für den Baubereich das große Problem, dass es bei einer solchen Entwicklung sicher schwierig wird, die dann möglicherweise abgewanderten Arbeitskräfte zurückzugewinnen, wenn sich die Situation im Bau wieder normalisiert.

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