Novellierung des Behindertengleichstellungsgesetzes des Bundes

Leben ohne Barrieren

Das novellierte Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) des Bundes ist am 27. Juli 2016 in Kraft getreten.[1] Nach § 8 dieses Gesetzes übernimmt darin die Bundesverwaltung eine Selbstverpflichtung zum barrierefreien Bauen. Barrierefrei planen und bauen heißt, für alle zu bauen, auch für Menschen mit motorischen, visuellen, auditiven sowie kognitiven Einschränkungen. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit hat bereits 2014 den Leitfaden Barrierefreies Bauen[2] als untergesetzliche Planungshilfe für die Bundesbauverwaltung eingeführt, der durch das novellierte BGG eine zusätzliche Rechtfertigung erhält.[3]

Die UN-Behindertenrechtskonvention

Die Verabschiedung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) im Dezember 2006 durch die UN-Generalversammlung in New York hat eine neue Ära in der internationalen Behindertenpolitik eingeläutet. Wer sich über Hintergründe und Entstehungsgeschichte der UN-BRK vertieft informieren möchte, dem sei ein Aufsatz von Theresia Degener ans Herz gelegt.[4] Erstmals in der Geschichte der Vereinten Nationen wurden die Menschenrechte für behinderte Menschen verbindlich festgeschrieben. Deutschland hat die UN-BRK im Februar 2009 ratifiziert. Am 26. März 2009 ist das Übereinkommen in Deutschland in Kraft getreten. Die UN-BRK steht im Rang eines einfachen Bundesgesetzes und bindet Bund und Länder. Auch in Deutschland sind damit die im Übereinkommen enthaltenen Leitgedanken von Teilhabe und Selbstbestimmung handlungsleitend für eine Politik geworden, die dem Gedanken der Inklusion verpflichtet ist. So hat sich die Bundesregierung ausdrücklich im Koalitionsvertrag vom November 2013 zur Leitidee der inklusiven Gesellschaft bekannt und erklärt, weitere Maßnahmen zur Umsetzung der UN-BRK zu ergreifen. Zu den Faktoren, die gesellschaftliche Teilhabe behindern, gehören nicht nur Barrieren in den Köpfen, sondern vor allem strukturelle Barrieren in vielen Bereichen, im Bildungswesen, auf dem Arbeitsmarkt, in der Kommunikation und in der gebauten Umwelt.

Mit dem Ziel einer vollen Verwirklichung aller Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle Menschen mit Behinderungen verpflichtet Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe e der UN-BRK die Vertragsstaaten, alle geeigneten Maßnahmen zur Beseitigung der Diskriminierung aufgrund von Behinderung durch Personen, Organisationen oder private Unternehmen zu ergreifen.

Die Barrierefreiheit ist einer von insgesamt acht allgemeinen Grundsätzen der UN-BRK, die in einem eigenen Artikel 9 geregelt wird. Während in den verbindlichen Wortlauten der UN-BRK von „Zugänglichkeit“ die Rede ist, hat sich in Diskussion und Gesetzgebung in Deutschland (der deutsche Wortlaut gehört nicht zu den verbindlichen) der Begriff „Barrierefreiheit“ durchgesetzt.

Die Vertragsstaaten haben nach Artikel 9 Absatz 1 der UN-BRK geeignete Maßnahmen zu treffen, um Menschen mit Behinderungen einen gleichberechtigten Zugang unter anderem zur physischen Umwelt sowie zu Gebäuden und Einrichtungen in Gebäuden zu gewährleisten. Artikel 9 Absatz 1 Satz 2 der UN-BRK stellt klar, dass die Maßnahmen die Feststellung und Beseitigung von Zugangshindernissen und -barrieren einschließen.

Teilhabe am Leben in der Gesellschaft

Während die UN-BRK, die die universellen Menschenrechte für die speziellen Bedürfnisse und Lebenslagen behinderter Menschen konkretisiert, muss das Behindertengleichstellungsgesetz des Bundes als eine wichtige gesetzgeberische Maßnahme zur weiteren konkreten Umsetzung angesehen werden. Sie besteht in der Verpflichtung, Barrierefreiheit auch in der gebauten Umwelt herzustellen, damit sich gesellschaftliche Teilhabe behinderter Menschen verwirklichen kann. Kernstück des Gesetzes ist die Herstellung einer umfassenden Barrierefreiheit. Dabei geht es nicht nur um die Beseitigung von Barrieren für diejenigen Menschen, die gehbehindert oder auf den Rollstuhl angewiesen sind, sondern auch um Kommunikation blinder, seh- oder hörbehinderter Menschen.

Die Herstellung einer barrierefreien Umwelt ist jedoch eine wesentliche Voraussetzung für eine unabhängige Lebensführung. Das barrierefreie Planen und Bauen schafft nicht nur Verbesserungen der Lebenssituation behinderter Menschen, sondern erleichtert ebenso den Alltag von Familien mit Kindern, älteren Menschen oder solchen, die nach einem Unfall temporär in ihrer Mobilität eingeschränkt sind.

Herstellung von Barrierefreiheit im Bereich Bau

Nach dem Grundgesetz liegt in Deutschland die Gesetzgebungskompetenz für allgemein verbindliche Regelungen zur Barrierefreiheit in Gebäuden ausschließlich bei den Ländern, die hierzu Vorgaben in den jeweiligen Landesbauordnungen getroffen haben. Der Bund hat sich bei der Durchführung seiner Bauvorhaben dem jeweiligen Landesrecht zu unterwerfen.

Nach § 8 des BGG übernimmt die Bundesverwaltung eine Selbstverpflichtung zum barrierefreien Bauen. Dem Ziel des BGG folgend sollen Dienststellen und sonstige Einrichtungen des Bundes für Menschen mit Behinderungen möglichst barrierefrei gestaltet sein. Zur barrierefreien Gestaltung sollen die allgemein anerkannten Regeln der Technik grundsätzlich berücksichtigt werden; zu ihnen gehören im Bereich des barrierefreien Bauens insbesondere die DIN-Normen 18040-1: 2010-10 (öffentlich zugängliche Gebäude), 18040-2: 2011-09 (Wohnungen) und 18040-3: 2014-12 (Öffentlicher Verkehrs- und Freiraum).

§ 8 Absatz 1 BGG
Zivile Neu-, Um- und Erweiterungsbauten im Eigentum des Bundes einschließlich der bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts sollen entsprechend den allgemein anerkannten Regeln der Technik barrierefrei gestaltet werden. Von diesen Anforderungen kann abgewichen werden, wenn mit einer anderen Lösung in gleichem Maße die Anforderungen an die Barrierefreiheit erfüllt werden. Die landesrechtlichen Bestimmungen, insbesondere die Bauordnungen, bleiben unberührt.

Für zivile Neubauten und große zivile Um- oder Erweiterungsbauten des Bundes bestand nach der bislang geltenden Fassung des Satzes 1 bereits seit dem Jahr 2002 eine grundsätzliche Verpflichtung zur barrierefreien Gestaltung, so dass Bundesbauten seit dem Inkrafttreten dieser Regelung am 1. Mai 2002 in ihrer Barrierefreiheit schon deutlich verbessert werden konnten. Bislang lautete Satz 1, dass zivile Neubauten sowie große zivile Um- oder Erweiterungsbauten des Bundes einschließlich der bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts entsprechend den allgemein anerkannten Regeln der Technik barrierefrei gestaltet werden sollen.

Umfassende Barrierefreiheit ist über den bislang geltenden Satz 1 jedoch nicht erreichbar, so dass unter Berücksichtigung der Vorgaben der UN-BRK eine weitergehende Selbstverpflichtung des Bundes zur schrittweisen barrierefreien Umgestaltung von Bestandsbauten erforderlich ist. Künftig umfasst die Regelung in Satz 1 daher neben den Neubauten auch die Um- oder Erweiterungsbauten, unabhängig von ihrer Kostenhöhe. Die bislang enthaltene Einschränkung, dass es sich bei den Um- oder Erweiterungsbauten um „große“ Baumaßnahmen im Sinne der Richtlinien für die Durchführung von Bauaufgaben des Bundes (RBBau) mit einem Ausgabevolumen von mehr als 2 Mio Euro handeln muss, wurde gestrichen. Somit sollen künftig auch anlässlich der Durchführung von „kleinen“ Um- oder Erweiterungsbaumaßnahmen zugleich Maßnahmen zur Herstellung von Barrierefreiheit durchgeführt werden. Mit dieser Regelung werden auch nachträgliche Anpassungen bestehender Gebäude an die Barrierefreiheit sukzessive im Zuge ohnehin anstehender Baumaßnahmen, wie Umbauten, erreicht, ohne die Verpflichteten unverhältnismäßig zu belasten. Dabei sind die baulichen Gegebenheiten in angemessener Weise zu berücksichtigen. Die Maßnahmen müssen baustrukturell und bautechnisch möglich und wirtschaftlich verträglich sein.  Art und Umfang der barrierefreien Ausgestaltung sind wie bisher in jedem Einzelfall im Rahmen der Bedarfsplanung von den jeweiligen Nutzern zu bestimmen und den obersten Instanzen der Nutzer im Sinne der RBBau zu billigen. Die Sätze 2 und 3 sind unverändert geblieben.

§ 8 Absatz 2 BGG
Der Bund einschließlich der bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts soll anlässlich der Durchführung von investiven Baumaßnahmen nach Absatz 1 Satz 1 bauliche Barrieren in den nicht von diesen Baumaßnahmen unmittelbar betroffenen Gebäudeteilen, soweit sie dem Publikumsverkehr dienen, feststellen und unter Berücksichtigung der baulichen Gegebenheiten abbauen, sofern der Abbau nicht eine unangemessene wirtschaftliche Belastung darstellt.

Der Bund verpflichtet sich auch zur Feststellung und zum Abbau baulicher Barrieren in den Teilen des von einer Umbau- oder Erweiterungsbaumaßnahme nach Absatz 1 Satz 1 betroffenen Gebäudes, die nicht Gegenstand der Umbau- oder Erweiterungsbauplanung im engeren Sinne sind und soweit diese Gebäudeteile dem Publikumsverkehr dienen. Dies dient dem Zweck, vorrangig die Herstellung von Barrierefreiheit in den Gebäudeteilen mit Publikumsverkehr weiter zu verbessern. Gebäudeteile mit Publikumsverkehr sind solche, die von Besuchern, Kunden oder anderen externen Benutzern aufgesucht werden können. Dies sind insbesondere die in § 50 der Musterbauordnung aufgeführten, dem Besucher- und Benutzerverkehr dienenden Teile z.B. von Verwaltungsgebäuden, wie Eingangsbereiche, Foyers, öffentliche Sanitäranlagen, Büros mit Besucherfunktion, Schalter und Wartebereiche, Veranstaltungssäle, dazugehörige Erschließungsflächen etc.. Art und Umfang der barrierefreien Ausgestaltung sind auch in diesen Fällen im Rahmen der Bedarfsplanung von den jeweiligen Nutzern zu bestimmen.

§ 8 Absatz 3 BGG
Alle obersten Bundesbehörden und Verfassungsorgane erstellen über die von ihnen genutzten Gebäude, die im Eigentum des Bundes einschließlich der bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts stehen, bis zum 30. Juni 2021 Berichte über den Stand der Barrierefreiheit dieser Bestandsgebäude und sollen verbindliche und überprüfbare Maßnahmen- und Zeitpläne zum weiteren Abbau von Barrieren erarbeiten.

Nach Absatz 3 müssen bis zum 30. Juni 2021 Statusberichte zum Stand der Barrierefreiheit erstellt werden. Damit wird ohne Zweifel und bewusst der Druck auf die Akteure erhöht, bei der Durchführung von Bundesbaumaßnahmen noch stärker auf eine bedarfsgerechte barrierefreie Ausgestaltung zu achten. Es wäre zu wünschen, wenn in der Bundesverwaltung Mitte 2021 eine positive Bilanz gezogen werden könnte.

Die Pflicht zur Erstellung der Statusberichte trifft alle obersten Bundesbehörden und Verfassungsorgane, soweit es sich um von Ihnen genutzte Gebäude im Eigentum des Bundes oder der bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts handelt. Die Berichtspflicht der obersten Bundesbehörden umfasst auch deren Geschäftsbereich.  Die obersten Bundesbehörden und Verfassungsorgane leiten die Berichte dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales zwecks Auswertung im Rahmen der Evaluation der Neuregelungen des BGG zu.

§ 8 Absatz 4 BGG
Der Bund einschließlich der bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts ist verpflichtet, die Barrierefreiheit bei Anmietungen der von ihm genutzten Bauten zu berücksichtigen. Künftig sollen nur barrierefreie Bauten oder Bauten, in denen die baulichen Barrieren unter Berücksichtigung der baulichen Gegebenheiten abgebaut werden können, angemietet werden, soweit die Anmietung nicht eine unangemessene wirtschaftliche Belastung zur Folge hätte.

In Absatz 4 wird ausdrücklich geregelt, dass der Bund bei Anmietungen unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit undSparsamkeit Barrierefreiheit zu berücksichtigen hat. Mit Anmietungen im Sinne dieser Regelung sind sogenannte Drittanmietungen umfasst. Satz 1 findet keine Anwendung, wenn die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben Vermieterin ist.  Satz 2 regelt, dass künftig nur noch barrierefreie Bauten oder Bauten angemietet werden sollen, in denen die baulichen Barrieren unter Berücksichtigung der baulichen Gegebenheiten abgebaut werden können. Die Regelung verpflichtet nicht dazu, bestehende Mietverhältnisse zu kündigen. Mit diesen Regelungen werden die allgemeinen Verpflichtungen des Gesetzes für den Bereich der Anmietung von Gebäuden konkretisiert und klar geregelt. Bereits nach bislang geltender Rechtslage ist die Bundesverwaltung verpflichtet, die Ziele des § 1 BGG aktiv zu fördern und bei der Planung von Maßnahmen zu beachten.

§ 8 Absatz 5 BGG
Sonstige bauliche oder andere Anlagen, öffentliche Wege, Plätze und Straßen sowie öffentlich zugängliche Verkehrsanlagen und Beförderungsmittel im öffentlichen Personenverkehr sind nach Maßgabe der einschlägigen Rechtsvorschriften des Bundes barrierefrei zu gestalten. Weitergehende landesrechtliche Vorschriften bleiben unberührt.

Die Regelungen waren bislang in Absatz 2 enthalten. Als Folgeänderung werden sie ohne inhaltliche Änderungen zu Absatz 5. Unverändert werden Fernstraßen des Bundes von den Regelungen des § 8 BGG nicht erfasst. Ausgenommen sind daher sowohl Nebenanlagen (insbesondere Straßenmeistereien) als auch Nebenbetriebe (insbesondere Rastanlagen). Die Barrierefreiheit wird insoweit durch § 3 Bundesfernstraßengesetz (FStrG) sichergestellt. Dies gilt sowohl für die als öffentliche Straße gewidmeten, für jedermann zugänglichen Bereiche der Straßen als auch für die nicht öffentlich zugänglichen Gebäude, sofern sie nach § 1 Absatz 4 FStrG Bestandteile von Bundesfernstraßen sind.

Schlussbemerkung

Mit den Regelungen nach § 8 des BGG wird ein Prozess aufgesetzt, der dazu führt, dass Bundesbauten schrittweise barrierefrei werden. Insbesondere durch Einbeziehung der zahlreichen kleineren investiven Baumaßnahmen dürfte es in den nächsten Jahren gelingen, beim Abbau von Barrieren sukzessive voranzukommen. Eine Umwelt, die nur noch wenige oder überwindbare Barrieren aufweist, leistet einen entscheidenden Beitrag für die Nachhaltigkeit – im sozialen Sinne. Nachhaltiges Planen und Bauen darf nicht auf die Energieeffizienz reduziert werden.

Die zugunsten von Beschäftigten mit Behinderungen geltenden Regelungen, insbesondere im Neunten Sozialgesetzbuch und in der Arbeitsstättenverordnung, gelten neben dem BGG, so dass auch für Gebäude und Gebäudeteile ohne Publikumsverkehr, die den Beschäftigten zugänglich sind, zunehmend Barrierefreiheit herbeigeführt wird.

Die Herstellung von mehr Barrierefreiheit in der gebauten Umwelt muss zu einem zentralen Anliegen in der Planungspraxis werden, und das nicht nur für den öffentlichen Bauherrn Bund. Barrierefreiheit ist ein Mehrwert für alle.

[1] Gesetz zur Weiterentwicklung des Behindertengleichstellungsrechts vom 19. Juli 2016 (BGBl. I S. 1757) | Artikel 1 – Änderung des Behindertengleichstellungsgesetzes

[2] Leitfaden Barrierefreies Bauen des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB), März 2014. Der Leitfaden ist auf der Homepage des BMUB abrufbar. Er liegt digital in 4. Auflage vor und ist unter www.leitfadenbarrierefreiesbauen.de zugänglich.

[3] Die Abb. sind dem Leitfaden Barrierefreies Bauen entnommen.

[4] Vgl. Theresia Degener, Die UN- Behindertenrechtskonvention – ein neues Verständnis von Behinderung; in: Handbuch Behindertenrechtskonvention. Teilhabe als Menschenrecht – Inklusion als gesellschaftliche Aufgabe, S. 55-74, Bundeszentrale für politische Bildung, Schriftenreihe Band 1506, Bonn 2015

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