Digitalisierung und Nachhaltigkeit: Mehr Mut zu Innovationen
Digitalisierung und Nachhaltigkeit zwingen Bauindustrie und Wohnungswirtschaft zum Umdenken. Die Digitalisierung verändert Geschäftsprozesse und lässt neue Marktplayer auftreten. Zudem sind die Ansprüche der Immobiliennutzer im digitalen und ökologischen Zeitalter gestiegen. Etablierte Marktteilnehmer tun gut daran, diese Entwicklungen aktiver anzunehmen und sie konsequent am Nutzer orientiert umzusetzen.
Anders als zum Beispiel die Informations- und Kommunikationstechnikbranche, die Innovationszyklen von durchschnittlich drei bis fünf Jahren kennt, ist die Bau- und Immobilienwirtschaft vergleichsweise träge. Das spiegelt sich auch in der seit Jahren unbefriedigenden energetischen Sanierungsrate im Wohnungsbestand wider. Das Problem: Die bestehenden Produkte und Leistungen sind allein nicht attraktiv genug, um die teils erheblichen Investitionen zu rechtfertigen beziehungsweise ohne staatliche Subventionen oder Anschubprogramme auszukommen.
Wirklich disruptive Innovationen sind derzeit aber kaum in Sicht. Innovationshemmend wirkt einerseits die heterogene Marktstruktur aus. Es gibt zu viele Marktteilnehmer mit zu unterschiedlichen Interessenlagen. So ist etwa der spätere Nutzer des Gebäudes oder einer Wohnung in der Regel nicht identisch mit dem Bauherrn. Kundennahe Leistungen im Sinne von mehr Lebenskomfort und Entlastung für den Bewohner stehen damit nicht zwangsläufig im Fokus der Planung. Auch das mangelnde Zusammenwirken der Gewerke in der hoch arbeitsteiligen Bauphase erschwert, dass innovative Ansätze einen Weg zur schnellen Marktdurchdringung finden. Hinzu kommt, dass es für Neubau und Sanierung bislang zu wenig standardisierte Lösungsansätze gibt.
Kann angesichts dieser komplexen Gemengelage alles so bleiben wie bisher in der Branche? Eher nicht. Die Digitalisierung und der Wertewandel zu einem ökologischeren Lebensstil verändern unsere Erwartung an Produkte und Services sowie deren Einsatz tiefgreifend. Zudem vollziehen sich die technologischen Entwicklungen so schnell, dass wir sie innerhalb weniger Jahre erleben. Ein Beispiel dafür ist die Steuerung und Überwachung von Haustechnik über Smartphone-Apps. Innerhalb von fünf Jahren haben sich die Apps von einem netten Gimmick zur verbreiteten Alltagstechnik entwickelt.
Wandel als Chance
Der Wandel ist indes eine Chance für jedes Unternehmen, überfällige Veränderungen und Verbesserungen einzuleiten. Denn es sind nicht unbedingt die größten oder stärksten Unternehmen, die sich dauerhaft behaupten, sondern jene, die veränderte Bedingungen am besten für sich nutzen können. Es gilt, über neue Produkte und Leistungen nachzudenken, die den Endnutzer und seine Bedürfnisse stärker adressieren und damit für Kunden und das Unternehmen gleichermaßen wertschöpfend sind.
Dabei zeigt sich das Wertschöpfungspotenzial auf verschiedenen Ebenen. Mit Innovationen lassen sich zum einen unmittelbar monetäre Werte heben. Zum anderen schafft die Kommunikation über Produkte und ganze Geschäftsmodelle, die positive Auswirkungen auf Mensch und Umwelt bieten, einen Marken-Mehrwert. Dieser Aspekt gewinnt im Hinblick auf die Nachhaltigkeits-Berichtspflicht, die viele Unternehmen ab 2017 trifft, und dem Trend zu wirkungsorientiertem Investieren an Gewicht.
Die Megatrends Digitalisierung und ökologische Nachhaltigkeit eröffnen der Bauindustrie und der Wohnungswirtschaft gleich mehrere große Handlungsfelder für Veränderungsprozesse:
1.) Gebäude – grüne Energie und autark
Der Anteil erneuerbarer Energien in Deutschland nimmt stetig zu. Doch viele Bundesbürger wollen noch mehr. 62 % der Deutschen wünscht sich laut einer Umfrage des Herstellers Stiebel Eltron eine komplett grüne Stromversorgung. Und in einer jüngst veröffentlichten repräsentativen Umfrage im Auftrag von Greenpeace sprechen sich 86 % für einen raschen Ökostrom-Ausbau aus. 87 % möchten weiterhin gleichbleibende oder bessere Möglichkeiten, sich an der Energiewende zu beteiligen.
Der Ausbau regenerativer Energien treibt das Thema „dezentrale Energieerzeugung“ weiter voran. Gefragt sind Lösungen, die das Gebäude oder ein Quartier weitgehend energieautark machen – gemeint sind vor allem gesamtsystemische Lösungen mit denen sich Energie lokal selbst erzeugen und vor Ort speichern lässt und die die Anbindung an die lokalen Netze möglich machen. Im Hinblick auf eine direkte Beteiligung der Mieter sind vor allem selbstlernende, vorausschauende Steuerungen des eigenen Verbrauchs gefragt.
Sinken die Stromkosten aus erneuerbaren Quellen, werden auch nutzerzentrierte, elektrische Raumklimalösungen wie etwa Plug-and-Play Heizungen oder -lüftungen sowie Wärmewandsysteme wirtschaftlich interessanter. Unter ökologischen Gesichtspunkten sind sie es ohnehin bereits. Bei allen haus- und gebäudetechnischen Lösungen übernimmt die Software eine zunehmend bestimmende Rolle. Dies kann dazu führen, dass nicht mehr das Produkt allein im Zentrum von Entwicklung und Vermarktung stehen darf. Vielmehr werden Hersteller, die beim Betrieb ihrer Geräte den passenden Support, regelmäßige Updates und nicht zuletzt eine verständliche, eingängige Bedienoberfläche bieten, die Nase vorn haben werden.
2.) Internet of Things – neue Anwendungen durch Sensortechnik
Das Internet der Dinge (Internet of things, IoT) bezeichnet die Verknüpfung einer Zustandsinformation eines identifizierbaren Gegenstandes bzw. einer Gerätekomponente oder eines Baustoffes mit einem Netzwerk, von wo aus die Information weiterverarbeitet werden können. Die rasante Entwicklung der Sensortechnik in Kombination mit dem exponentiellen Wachstum in der Geschwindigkeit der Datenverarbeitung sowie Apps als Nutzeroberfläche ermöglicht bereits heute, neue Produkt- und Serviceleistungen für Endkunden mit überschaubarem Aufwand aufzusetzen.
IoT wird in der Branche vor allem im Zusammenhang mit den Stichworten Smart Home und Smart Living verbunden. Hier sollte der Reiz von IoT-Lösungen aber nicht in eigenen Effizienzgewinnen, der Benutzerdatengewinnung oder Entwicklung eigener Standards liegen, sondern im höheren Kundennutzen. Für den Kunden sind vor allem Energieeinsparmöglichkeiten, Sicherheit und eine höhere Wohnqualität relevant. Bevorzugtes Steuergerät bleibt zunächst das Smartphone. Erfolgreiche Umsetzungen bauen dabei auf einfache Handhabung und eine lebensnahe und emotionale Ansprache. Beispiele: einfach ausführbare, konkrete Handlungsempfehlungen zur Energieeinsparungen oder Frühwarnsysteme bei Schimmelgefahr im Wohnraum. Um Flops zu vermeiden, sollte der spätere Nutzer so früh wie möglich in die Design-Entwicklung eingebunden werden. Hierzu bietet sich die Design-Thinking-Methode an, die schnelles, nutzerzentriertes Erkunden und Testen von Ideen ermöglicht.
3.) Planung bzw. Modellierung weiter digitalisieren
Mit der Initiative „planen-bauen 4.0“ wird derzeit branchenübergreifend eine Standardisierung bzw. die Kompatibilität von Daten und Softwaresystemen angesteuert. Für die Industrie und für die Ausführenden in der Gebäudewirtschaft ist das dringend erforderlich. Denn je digitaler Betriebsprozesse werden, desto wichtiger ist es, bereits im Planungsprozess die unterschiedlichen Systemkomponenten sauber verknüpfen zu können.
Daneben zeigen junge, gerade in den Markt eintretende Unternehmen, dass auch komplexe Prozesse wie das Planen und Beraten etwa bei der Heizungssanierung deutlich vereinfacht werden können. Schließlich erfahren bereits digital etablierte Prozesse in der Planung und im Dokumentenmanagement durch neue Cloud Funktionalitäten erweiterte Integrationsmöglichkeiten. In der Folge können weitere (Gewerke-) Schnittstellen bzw. (Medien-) Brüche eliminiert werden und Big Data in Echtzeit in die Entscheidungsfindung einfließen.
Spätestens beim erkennbaren Trend zur Systembauweise mit vorgefertigten Komponenten und damit der industriellen Vorfertigung ist das sogenannte Building Information Modeling (BIM) ohnehin integraler Bestandteil. Die Systembauweise betrifft dabei sowohl den Neubau als auch die Bestandssanierung.
4.) Virtuelle und erweiterte Realität
Die computergestützte Erweiterung der Realität ist an sich keine neue Technologie. Sie ist aber dank immer leistungsfähigerer Prozessoren und Hardware inzwischen praktisch nutzbar geworden. Datenbrillen mit Augmented und Virtual Reality (basierend auf BIM-Daten) bieten eine völlig neue Möglichkeit, Mieter und Eigentümer in Bau- und Sanierungsprozesse einzubinden. Der Kunde kann virtuell durch seine künftige Wohnung wandern und die Räume direkt mitgestalten. Auch im Bereich altersgerechtes Wohnen und Assistenzsysteme sind Anwendungen denkbar und haben das Potenzial, das Smartphone als Steuergerät abzulösen.
Zum Einsatz kommen Datenbrillen bereits in anderen Industrien in der Logistik und zur Montage und Wartung. So können Augmented-reality-fähige Brillen, die Anweisungen auf dem Display einblenden, zukünftig sowohl geschulten Technikern als auch ungelernten Arbeitern die Montage und Wartung von gebäudetechnischen Anlagen oder anderen Bauteilen deutlich erleichtern.
5.) Geschäftsabläufe optimieren
Auch die eigenen Kerntätigkeiten der Wohnungswirtschaft wie zum Beispiel der Gebäudebetrieb verändert sich nachhaltig. Die digitale Erfassung von Nutzerdaten ist hierbei nur ein erster Schritt. Diese reicht vom Ablesen der Zähler ohne Wohnungszugang aus dem Treppenhaus bis hin zur komplexeren Datenerfassung aus Cloud bzw. webunterstützten Steuerungs- und Sensorsystemen. Auch Überwachungs- und Wartungsarbeiten im laufenden Betrieb lassen sich durch vielfältige Sensordaten zentralisieren – Aufwand und Kosten reduzieren sich dadurch. Weitere Beispiele sind ein cloudbasiertes Fuhrparkmanagement, mobile Apps für Abnahme- und Übergabeprotokolle oder eine digitalisierte Schadensabwicklung.
Ganz neu in diesem Themenkomplex ist der Einsatz von Drohnen zur Begutachtung und Bewertung, sowie bei der Reparatur von Anlagen. Drohnenbilder der Außensituation, auch von schwer zugänglichen Bereichen wie dem Dach, ersparen den Wohnungseinlass, dienen als Angebots- und Rechnungsbasis und – in der Cloud hinterlegt – auch der Durchführungsprüfung bzw. Dokumentation. Solche Lösungen sind integrierter oder zumindest verknüpfter Teil der branchenspezifischen ERP Systeme.
6.) Natürliches Wohnen – klimafreundlich und mit den richtigen Materialien
Energieautarkes Wohnen basierend auf regenerativen Energiequellen ist gerade mit Blick auf das Thema C02 Einsparung ein zentrales Thema für nachhaltiges Wohnen. Bisher ungenutzte Fassadenflächen in großem Maßstab zur Solarstromgewinnung einzusetzen, kann zukünftig deutlich an Akzeptanz gewinnen, wenn PV-Module auch in Weiß und anderen Trendfarben realisierbar sind. Zusätzlich werden neue Miet-Geschäftsmodelle für Solaranlagen und Energiespeicher die Energiewende weiter unterstützen.
Der Einsatz von „richtigen“ Materialien spielt beim nachhaltigen Wohnen aus gesundheitlichen, aber zunehmend auch aus ökologisch-ökonomischen Gründen eine Rolle. Im Wohnungsbau kommen Bau- und Wohnungsausstattungsmaterialien in der Regel in großen Mengen zum Einsatz. Daher sollte der Gesamtlebenszyklus stärker in den Fokus rücken. Als zukunftsfähig erweist sich nach Ansicht der Autoren das Cradle-to-Cradle-Prinzip („von der Wiege zur Wiege“).
Kern dieses Prinzips ist, von Anfang an in kompletten Produktkreisläufen zu denken. Produkte werden von vornherein so hergestellt, dass direkt auch ihr Ende mitgedacht wird. Alles verwendete Material kann nach Gebrauch weiterverwendet oder ohne schädliche Rückstände kompostiert werden. Für die Wohnungswirtschaft bedeutet das: Unternehmen sollten sich verstärkt Gedanken darüber machen, wie eingesetzte Materialien ohne Qualitätsverlust wiederverwertet werden können und darüber zurück in den technischen oder biologischen Kreislauf gelangen. Die Vorteile: Die Unternehmen sparen spätere Entsorgungskosten und zeigen, dass sie sorgsam mit Rohstoffen umgehen.
Hierauf basierende Geschäftsmodelle beinhalten zum Beispiel die Rücknahme der Materialien durch den Hersteller. Dieser führt quasi ein „Rohstofflager beim Kunden“.
Keine Angst vor Nachhaltigkeit
Egal über welche neuen Produkte oder Leistungen die Branchenakteure nachdenken – einen echten Wettbewerbsvorteil haben all die Neuentwicklungen, die den Nutzer ins Zentrum stellen und Nachhaltigkeitsaspekte gleich mit berücksichtigen.
Dabei sollte sich das grüne Verständnis nicht nur auf „mehr Energieeffizienz“ und „erneuerbare Energien“ reduzieren. Ökologische Verantwortung lässt sich in vielen Bereichen des unternehmerischen Handelns umsetzen. Darüber wiederum sollten Firmen wirksam kommunizieren. Und zwar so lange, bis in den Köpfen und Herzen der Öffentlichkeit ankommt, wie engagiert und innovativ das Unternehmen ist.
Die Megatrends Digitalisierung und ökologische Nachhaltigkeit eröffnen der Bauindustrie und der Wohnungswirtschaft gleich mehrere große Handlungsfelder für Veränderungsprozesse.
Einen echten Wettbewerbsvorteil haben all die Neuentwicklungen, die den Nutzer ins Zentrum stellen und Nachhaltigkeitsaspekte gleich mit berücksichtigen.