Mieterstrom: Raus aus der Nische

Lange war es der Immobilienwirtschaft nicht möglich, ihren Mietern Solarstrom direkt vom Dach oder BHKW-Strom aus dem Heizungskeller als Stromtarif anzubieten. Durch Prozessinnovationen und sinkende Kosten ändert sich das seit knapp drei Jahren. Wie sich Mieterstrom-Projekte im Gebäudestand, bei Neubauten und in ganzen Stadtquartieren heute erfolgreich umsetzen lassen, illustrieren drei aktuelle Praxisbeispiele der NATURSTROM AG.

Was bringt Mieterstrom?

Die Vorteile von Mieterstrom liegen auf der Hand: Die Immobilienwirtschaft erhält durch Mieterstrom-Projekte neue Möglichkeiten zur energetischen Weiterentwicklung und Aufwertung ihrer Bestandsimmobilien. Dadurch werden Mieter langfristig gebunden, zudem kann die Energiewende im Gebäudebestand zusätzlich Fahrt aufnehmen. Und im Neubau trägt Mieterstrom dazu bei, die gestiegenen Anforderungen der Energieeinsparungsverordnung (EnEV) zu erfüllen – und hierfür die Investitionskosten zu reduzieren. Denn die EnEV-Anforderungen ausschließlich über die Gebäudedämmung und andere passive Maßnahmen zu erfüllen, ist aufwändig und teuer. Stattdessen können Bauträger und Bauherren die Investition in Energieerzeugungsanlagen, den Anlagenbetrieb und die Versorgung der Bewohner an einen Dienstleister auslagern und somit Aufwand und Kosten sparen. In größeren Contracting-Projekten kann Mieterstrom als einer von mehreren Bausteinen neben der Wärme- und Kälteversorgung fungieren.

Die Mieter wiederum beziehen sauberen, lokal erzeugten Strom zu einem günstigen Preis. Denn für den direkt im Hausnetz genutzten Solar- oder BHKW-Strom werden weder Netzentgelte, noch Konzessionsabgabe oder Stromsteuer fällig. Bei solarem Mieterstrom liegt der Anteil des vor Ort erzeugten Stroms je nach Dimensionierung und Ausrichtung der Anlage bei 25 bis 45 % des Gesamtbedarfs der Mieterstromkunden. Damit lässt sich für die Mieter ein wettbewerbsfähiger Preis machen.

Aufwertung des Bestands: Mieterstrom in Mosbach

Ein Beispiel für Mieterstrom im Gebäudebestand ist die Zusammenarbeit mit der Baugenossenschaft Familienheim Mosbach eG aus der Kreisstadt Mosbach im Neckar-Odenwald-Kreis und dem Photovoltaik-Projektierer WIRSOL. Auf mehreren Wohngebäuden der Baugenossenschaft in Mosbach und umliegenden Gemeinden wurden Photovoltaikanlagen mit einer Leistung von zusammen über 650 Kilowattpeak (kWp) errichtet. Das Projekt war zum Start im Sommer 2015 das größte Vorhaben seiner Art mit vielen kleinen Anlagen verteilt auf viele Häuser. Physikalisch werden gut 50 % der Solarstromerzeugung direkt im Gebäude genutzt. Bei einer Beteiligungsquote von hundert Prozent ließen sich durch diese Strommengen gut 30 % des Kundenbedarfs decken.

NATURSTROM bietet Strom aus diesen Solaranlagen seit dem Herbst 2015 in 37 Häusern für zusammen rund 350 Wohneinheiten im Rahmen eines Mieterstrom-Produkts an. Das Produkt ist günstiger als sämtliche Tarife des lokalen Versorgers. Rund 20 % der Mieter sind mittlerweile in den Mieterstrom-Tarif ge­­wechselt. Im Bestand gilt dies als eine gute Quote, da die Bewohner anders als beim Erstbezug eines Neubaus bereits einen Stromvertrag haben und somit aktive Vertriebsarbeit geleistet werden muss.

Mit Mieterstrom die EnEV-Anforderungen erfüllen: der Domagkpark in München

Wie sich mit Mieterstrom die EnEV-Anforderungen und die teils hohen Erfordernisse kommunaler Bauordnungen erfüllen lassen, zeigt ein im Sommer 2016 realisiertes Projekt in München: Auf dem 24,3 ha großen Gelände der früheren Funkkaserne im Münchener Norden entsteht seit 2013 ein neues Stadtquartier – der Domagkpark. Das Areal wird von mehreren Baugemeinschaften bebaut und umfasst etwa 1.600 Wohnungen, einen Park sowie soziale Einrichtungen. 2017 sollen die Arbeiten abgeschlossen werden.

Gemäß der Münchner Bauordnung müssen die Gebäude im Domagkpark eine nicht-negative Primärenergiebilanz aufweisen. Zwei Bauherrengemeinschaften, die Gemeinsam Größer GbR und die Domagkstraße GbR, haben sich dazu entschieden, dieses Ziel u.a. mit Mieterstrom zu erreichen.

Die vier Häuser der beiden Baugemeinschaften wurden unter Führung der Conplan Betriebs- und Projektberatungsgesellschaft mbH sowie der Bürgerbau AG im KfW 40-Standard und teils in Holz-Hybrid-Bauweise gebaut. Auf zwei Dächern ließ NATURSTROM Photovoltaikanlagen mit einer Leistung von 16 und 25 kWp errichten, die pro Jahr zusammen voraussichtlich rund 46.000 Kilowattstunden (kWh) Sonnenstrom erzeugen. Diesen Sonnenstrom liefert NATURSTROM direkt über das Hausnetz an die 50 Wohnparteien. Rund 30 % des Bedarfs werden so gedeckt. Überschüsse aus den Solaranlagen werden hingegen kaum anfallen: Die Anlagen sind so ausgelegt, dass je nach Eigentümergemeinschaft zwischen 60 und 77 % des erzeugten Stroms direkt verbraucht werden können.

Zu den Herausforderungen des Projekts gehörte, bei der Dimensionierung der Photovoltaikanlagen die Mindestanforderungen der Bauordnung einzuhalten und zugleich eine möglichst hohe Eigenverbrauchsquote zu erreichen. Die Anlagen sind daher so groß wie nötig und so klein wie möglich. Entsprechend fußt der Erfolg des Projekts auf einer hohen Beteiligungsquote in den vier Häusern. Diese wurde dank der konstruktiven und vertrauensvollen Zusammenarbeit mit den Bauherrengemeinschaften auch erreicht: Nahezu hundert Prozent der Bewohner beziehen Mieterstrom.

Mieterstrom im Quartier: der Berliner Möckernkiez

In Berlin-Kreuzberg zeigen NATURSTROM und die Möckernkiez Genossenschaft für selbstverwaltetes, soziales und ökologisches Wohnen eG aktuell, wie Mieterstrom in größeren Quartieren realisiert und mit einer nachhaltigen Wärmeversorgung kombiniert werden kann.

Der Möckernkiez am Rand des Kreuzberger Gleisdreieck-Parks ist derzeit eines der ambitioniertesten Bauprojekte in Berlin. Es geht zurück auf eine lokale Bürgerinitiative im Jahr 2007. Deren Ziel: barrierefreies, soziales und ökologisches Wohnen für Menschen aller Generationen. Zur Verwirklichung des Vorhabens wurde 2009 die Möckernkiez eG gegründet, die das Projekt seitdem entwickelt hat, jetzt verwirklicht und künftig verwalten wird.

Auf einem 30.000 m² großen Areal entstehen 14 Wohngebäude im Passivhausstandard mit rund 470 Wohnungen, 20 Gewerbeeinheiten, 98 Tiefgaragen-Stellplätzen und Raum für soziale Versorgungseinrichtungen. Spätestens wenn Mitte 2018 die letzten Mieter eingezogen sind, wird das ganze Quartier mit Mieterstrom und Mieterwärme versorgt.

Der Wärmebedarf des Areals von rund 2 Mio. kWh pro Jahr wird klimafreundlich in einem mit hundertprozentigem Biogas betriebenen Blockheizkraftwerk (BHKW) und einem Gas-Spitzenlastkessel gedeckt. Das BHKW verfügt über eine elektrische Leistung von 140 kWel und eine thermische Leistung von 207 kWth, der Spitzenlastkessel hat eine Leistung von 900 kWth.

Den Strom, welchen das BHKW neben der Wärme produziert, bietet NATURSTROM zusammen mit Strom aus mindestens zwei Photovoltaikanlagen den Haushalten und Unternehmen auf dem Gelände als günstigen Mieterstromtarif an. Aktuell prüfen die Partner die zusätzliche Installation von Photovoltaikanlagen auf drei weiteren Dachflächen.

Die in Südausrichtung geplanten Photovoltaikanlagen sind als Gestaltungselemente ins Gebäude integriert. Sie werden über eine installierte Leistung von jeweils 49,9 kWp verfügen und pro Jahr durchschnittlich einen Ertrag von rund 48.000 kWh liefern. Um die 40 % dieser Stromerzeugung können direkt vor Ort verbraucht werden. Solar- und BHKW-Strom werden zusammen knapp 30 % des Strombedarfs im Quartier decken. Für die Wohneinheiten, die Gewerbeflächen und den Allgemeinstrom kalkuliert NATURSTROM mit rund 1,5 Mio. kWh pro Jahr.

Erlebt Mieterstrom bald einen Boom?

Künftig könnten Mieterstrom-Projekte sogar noch attraktiver werden. Denn derzeit wird der Roll out noch durch die Belastung mit der vollen EEG-Umlage gebremst – eine klare und nicht gerechtfertigte Benachteiligung gegenüber dem solaren Eigenverbrauch. In der aktuellen Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) wird das Bundeswirtschaftsministerium zu einer Verordnung ermächtigt, diesen Missstand zu beseitigen. Wird Mieterstrom mit dem solaren Eigenverbrauch in Anlagen mit mehr als 10 kWp gleichgestellt, würde also künftig die EEG-Umlage für den direkt vom Dach genutzten Sonnenstrom auf 40 % reduziert.

Doch ob mit oder ohne Verordnung, Mieterstrom hat die Pilotphase hinter sich gebracht. Im Neubau und in vielen Bestandsobjekten kann die Immobilienwirtschaft schon heute gemeinsam mit spezialisierten Energiedienstleistern den Mietern ein attraktives Paket aus Wohnen und nachhaltiger Energieversorgung bieten.

Durch Mieterstrom-Projekte kann die Energiewende im Gebäudebestand zusätzlich Fahrt aufnehmen.

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