BBB im Gespräch: …, damit die Wohnungswirtschaft die Datenhoheit behält
Herr Dr. Alflen, die Aareon AG spricht von einem Digitalen Ökosystem. Was verstehen Sie darunter?
Wir verwenden den Begriff, um zu verdeutlichen, dass sich unsere Lösungskomponenten harmonisch ergänzen. So wie in einem Ökosystem ganz viele Organismen zusammenleben, so ist rund um die ERP-Systeme eine Lösungswelt entstanden, deren Einheiten nicht solitär oder konkurrierend zueinanderstehen, sondern miteinander integriert sind und sich optimal ergänzen, um komplette Prozesse abzubilden. Der Begriff stammt nicht von uns. Wir haben ihn aus dem englischsprachigen Raum übernommen, wo er für IT-Systeme durchaus üblich ist. Wir finden ihn aber sehr gut, weil er das Gesamtbild treffend beschreibt.
Was ist die für Sie aktuell spannendste Neuerung für die Wohnungswirtschaft?
In den verschiedenen Bereichen der Aareon Smart World herrschen unterschiedliche Dynamiken. Viel Bewegung sehen wir im Mieter-Management und bei der Mieter-Kommunikation über digitale Wege. Nehmen wir zum Beispiel das Projekt der Joseph-Stiftung, Bamberg. Es wurde im Ursprung für Studenten realisiert, ist aber grundsätzlich für alle Mieter einsetzbar ist. Hier wurde wirklich vom Exposé über Bewerbung, Auswahl des Mieters und Vertragsunterschrift bis hin zur Wohnungsübergabe alles digital umgesetzt. Das heißt konkret: Die Wohnungsunternehmen sehen den Mieter das erste Mal bei der Wohnungsübergabe vor Ort – aber auch die läuft digital. Anschließend ist der Mieter im Mieterportal aktiv, chattet und ist darüber mit allen anderen Mietern vernetzt, die in seinem Quartier wohnen. Auf diesem komplett digitalen System rund um den Mieter sehen wir aktuell viel Momentum. Wir erwarten darüber hinaus, dass die ersten Wohnungsunternehmen mit diesem komplett digitalen System rund um den Mieter neue Ideen entwickeln und auch Services wie Wäschedienste und Verbindungen zu Lebensmittelgeschäften anbieten.
Ein weiteres, aktuelles Thema mit Schwung ist die Mobilisierung der Arbeitsprozesse in den Wohnungsunternehmen. Dies betrifft alle Themen, die die Mitarbeiter bearbeiten können – beginnend bei technischen Vorgängen wie Schadensmeldungen bis hin zu kaufmännischen Prozessen, sodass beispielsweise der Mitarbeiter vor Ort notwendige Informationen über den Mieter bzw. über das Gesamtobjekt erhält bzw. abrufen kann.
Darüber hinaus ist die Anbindung ans Gebäude ein wichtiges Thema. Damit meine ich die Bereiche Sensorik und Metering, die im Ausland bereits weiterentwickelt sind.
Ich sehe eine Diskrepanz zwischen dem, was IT-technisch möglich ist und dem, was in der Praxis und in den Wohnungen umgesetzt wird.
Wahrscheinlich, da steht sofort das Thema Datenschutz im Raum. Ich glaube jedoch, dass die Wohnungsunternehmen aufgrund ihrer langjährigen, vertrauensvollen Beziehung zu den Mietern gute Voraussetzungen haben. Daher denke ich, dass sich in dieser Hinsicht etwas ändern wird. Wenn der Messdienstleister engmaschig Wärmedaten erfassen kann, dann ist das heute ein datenschutzrechtliches Thema. Was aber der Mieter beispielsweise über seinen Fitness-Tracker – freiwillig – nach außen gibt, ist ein Vielfaches an Informationen, was der Messdienstleister aus dem Sensor am Heizkörper erfahren könnte. Der Unterschied besteht darin, dass Wohnungsunternehmen an den Datenschutz gebunden sind. Der Mieter hingegen gibt, wenn es um Convenience und Service geht, ganz viele private Daten preis. Das kann umgekehrt heißen, dass der Mieter bei entsprechenden Angeboten und Services anders denkt und der Datennutzung zustimmt.
Aareon arbeitet mit Start-ups zusammen. Was sind das für Unternehmen und was versprechen Sie sich davon?
Auf dem Start-up-Markt gibt es viele interessante Ansätze und Ergänzungen für uns. Wir diskutieren gerade mit Start-ups, die Exposés von Wohnungen in Form von Filmen erstellen. Das Stichwort ist hier Augmented Reality, also die computerunterstützte Kombination von realer und virtueller Wahrnehmung. Ein weiteres Beispiel ist unsere Vertriebskooperation zum schlüssellosen Türzugangssystem mit dem Berliner Start-up KIWI. In einem ersten Schritt werden wir den Service KIWI in das Service-Portal Mareon integrieren. Damit können Handwerker ohne Schlüssel einen präzise getimten Zugang zum Objekt erhalten.
Auch für den Mieter könnte eine solche Lösung interessant sein, wenn er beispielsweise Gäste zu einer Feier einlädt. Er hat so die Möglichkeit, bestimmen Gästen den Zutritt digital über das Smartphone freizuschalten. Auch für die Start-ups sind wir mit unserem digitalen Ökosystem von Interesse, da sie mit ihren Innovationen oft nur einen kleinen Prozessschritt abdecken. Wenn wir aber ihr Angebot integrieren, sind sie Mitglied der kompletten Kette. Das gleiche gilt für die Wohnungswirtschaft. Ist das Angebot eines Start-ups eingebunden, dann entfallen u. a. die Schnittstellenprobleme.
Was sind Ihrer Meinung nach die Erfolgsfaktoren der Digitalisierung für die Wohnungswirtschaft?
Das sind die bereits angesprochenen Themen. Dies gilt insbesondere natürlich für das Mietermanagement, damit die Wohnungswirtschaft die Datenhoheit behält. Ich halte das für essenziell. Es kann sonst passieren, dass über Convenience-Angebote andere Unternehmen in die Wohnung kommen und ihre eigenen Geschäftsmodelle aufbauen. Die Digitalisierung ist eigentlich nur das Instrument. Wichtig ist meiner Meinung nach, dass die Wohnungswirtschaft ihre Prozesse entsprechend umstellt. Nehmen wir das Beispiel eines Mieterportals. Ein Mieter gibt abends ein, dass der Wasserhahn tropft und erwartet am nächsten Morgen eine Reaktion. Er möchte weiterhin den Stand der Beauftragung verfolgen und vereinbart mit dem Handwerker direkt digital den Termin. Die damit verbundenen Arbeitsschritte müssen in die Abläufe eines Wohnungsunternehmens integriert sein und das ist heute noch nicht State-of-the-Art. Schnelle und hochtransparente Medien wie Mieterportale oder Mieter-Apps verlangen schnelle Prozesse und darauf müssen die Abläufe im Hintergrund abgestimmt sein.