„energetisch sanieren gestalten – Baubestand nachhaltig weiterentwickeln“
Was haben ein Fachwerkhaus in Johannisberg aus dem 16. Jahrhundert, eine Zeilenbebauung in München aus dem Jahre 1954, eine Blockrandbebauung in Köln von 1904 und ein Bauernhaus in Oltingen von 1850 gemeinsam? Sie gehören zu einer Reihe von guten Beispielen, bei denen durch die Sanierung eine erhebliche energetische Verbesserung erreicht (durchschnittlich wurden 85 % des ursprünglichen Energiebedarfs eingespart) und gleichzeitig hohe architektonische Qualitätsansprüche verwirklicht wurden. Sie werden mit 14 weiteren Projekten im Leitfaden „energetisch sanieren gestalten – Baubestand nachhaltig weiterentwickeln“ mit ihrem gesamten Planungskonzept dargestellt.
Der Leitfaden ist das Ergebnis des Forschungsprojekts der Technischen Universität Darmstadt, Fachbereich Architektur, Fachgebiet Energieeffizientes Bauen unter Leitung von Prof. Manfred Hegger. Das Forschungsvorhaben hatte das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) mit dem Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) in Auftrag gegeben, um Entscheidungsträger für den Qualitätsanspruch an energetische Sanierungen weiter zu sensibilisieren.
Vorwort von Minister Dr. Peter Ramsauer
Gerade vor dem Hintergrund weiter steigender primärenergetischer Anforderungen dürfen andere Faktoren, insbesondere das architektonische Erscheinungsbild und die städtebaulichen Einbindung der Gebäude bei der energetischen Sanierung nicht aus dem Blickfeld geraten. „Die Identifikation mit unserer räumlichen Umwelt, die Weitergabe unseres vielseitigen baugeschichtlichen und regionaltypischen Erbes an folgende Generationen und nicht zuletzt die Vermittlung von Baukultur in der Öffentlichkeit hängt davon ab, wie sensibel wir mit unserer Bausubstanz umgehen! Eine ganzheitliche Betrachtung von Sanierungsmaßnahmen entspricht dem Grundsatz der Nachhaltigkeit.“ führt Minister Dr. Peter Ramsauer im Vorwort des Leitfadens aus.
Ein ganzheitliches Planungskonzept, bei dem je nach Lage des Einzelfalls alle Einflussfaktoren in einem Abwägungsprozess mit den Beteiligten berücksichtigt werden und so zu einer für die Nutzer maßgeschneiderten Lösung führen, steht im Focus dieser Untersuchung. Die verschiedenen Varianten der energetischen Sanierung, vom reinen Erhalten bis zur teilweisen Überformung des Bestandsgebäudes werden anhand der Beispiele anschaulich dargestellt.
Konsequente Planung
Intensiv wurden die Planungsprozesse der einzelnen Projekte recherchiert und mit Experten und Planern der Projekte in zwei Workshops diskutiert. Dabei hat sich gezeigt, dass die Interessenkonflikte zwischen der energetischen Sanierung, des Förderungs- und Finanzierungsrahmens und der Einhaltung von Denkmalpflegeauflagen oder der Verwirklichung eines hohen baukulturellen Gestaltungs- und Qualitätsanspruchs eine frühzeitige Abstimmung aller Akteure und die konsequente planungs- und baubegleitende Verfolgung der einmal gemeinsam festgelegten Ziele durch den Planer erfordern. Bei allen Projekten wurde deutlich, dass die Grundlage eines ganzheitlichen Planungsansatzes immer die Beauftragung eines Architekten war. Wenn es diesem gelingt, insbesondere den Bauherren, die genehmigenden und fördernden Behörden der Kommune, den Energieberater und die Bauunternehmen in ein Team einzubinden, dass über den gesamten Planungs- und Bauprozess die festgelegten Ziele beständig verfolgt und in einer guten Struktur kommuniziert, sind die Er-folgschancen für ein ganzheitlich qualitätvolles Gebäude hoch.
Es entstehen eine Vielzahl unterschiedlicher Lösungen, die nur für den einen konkreten Fall die richtigen sind: Dies kann heißen, Gebäude mit Innendämmung zu versehen, um die historischen Backsteinfassaden zu erhalten und dafür die Gebäudetechnik für ein konsequent energiesparendes Konzept mit einem zentralen Nahwärmenetz bestehend aus einem Hackschnitzelwerk und einer Dach-Photovoltaik vollständig zu erneuern (Kaserne Normand in Speyer). Dies kann auch bedeuten, Fassaden zwar mit Wärmedämmverbundsystemen zu dämmen, aber die Detailausbildung von Dachtraufe, Sockel und Balkonen so sensibel auszubilden und die Lage der Fenster in der Laibung zu korrigieren, dass die filigrane Anmutung der 1950er Jahre Bauten neu betont wird (Werkzeile Siemens Wohngesellschaft München). Auch Maßnahmen wie das Abtrennen von Balkonen, die im Bestand häufig eine starke Wärmebrücke darstellen, und Ersetzen durch eine vorgestellte eigenständige Struktur, können den Jahresheizwärmebedarf wesentlich senken (Wohnsiedlung Hamburg). Weiterhin können auch funktionale Neuordnungen wie bei einem Wohn- und Bürohaus in Darmstadt, bei dem die Gründerzeitfassade erhalten blieb, das Bestandsgebäude aber um einen modernen Neubau im Passivhausstandard mit integrierter Photovoltaik- und Solarthermieanlage ergänzt und die Erschließung in einem gemeinsamen Treppenhaus zwischen Alt- und Neubau neu organisiert wurde, zu gestalterisch und energetisch guten Lösungen führen. Der Leitfaden widmet sich vor allem der Planung von Umbauten oder Sanierungen von Wohngebäuden. Die Lösungsansätze sind auf Nichtwohngebäude zumindest teilweise übertragbar. Gleichwohl wird erwogen, eine Handlungsempfehlung der vorliegenden Art auch für diese Gebäude zu erarbeiten. Insbesondere für die Sanierung von Schulen mit einem großen Bestand von Gebäuden aus den 1960er und 1970er Jahren ist ein sensibler Umgang mit vorhandener Bausubstanz von Bedeutung. Junge Menschen sind die Entscheidungsträger von morgen. Sie gilt es, für den Erhalt architektonischer Qualität zu sensibilisieren.