Im Triathlon ans Klimaziel
Der kommunale Bestand ist ein Sanierungsfall: Rund 85 Prozent der 180.000 Schulen, Kitas, Rathäuser, Sporthallen und Verwaltungsgebäude sind unzureichend oder gar nicht gedämmt, werden mit Gas- oder Öl beheizt und verbrauchen fünfmal mehr Energie als heutzutage technisch möglich wäre.
Entsprechend hoch sind die Kosten: Fast fünf Milliarden Euro geben die 12.000 deutschen Städte, Landkreise und Gemeinden für die Wärme- und Stromversorgung ihrer Liegenschaften aus. Im Rahmen der Berliner Energietage 2024 stellte die Deutsche Energie-Agentur (dena, www.dena.de) drei Lösungsbausteine vor, mit denen Kommunen ihre Bestände fit für die klimaneutrale Zukunft machen können.
Einsparziel: 60 Prozent
Zum Einstieg fasste Agatha Majcher, Expertin für Effizienzdienstleistungen und Finanzierung im Projekt „Quartier und Stadt“ bei der dena, die wichtigsten Ergebnisse der Studie „Fit für 2045: Zielparameter für Nichtwohngebäude im Bestand“ zusammen: „Um die Klimaziele in den verbleibenden 21 Jahren zu erreichen, muss der Energieverbrauch kommunaler Nichtwohngebäude um 60 Prozent sinken. Das ist nur mit dem anspruchsvollen Effizienzhaus 40 Standard sowie einer deutlichen Erhöhung der Sanierungstiefe und -geschwindigkeit möglich.“
Im Rahmen der Studie definierten die Experten der dena spezifische Höchstgrenzen für Energieverbräuche sowie CO2-Emissionen und formulierten konkrete Maßnahmen. Empfohlen wird eine Sanierung der Gebäudehülle, um den Bestand kompatibel für Heizungslösungen im Niedertemperaturbereich (z.B. Wärmepumpen) zu machen. Im zweiten Schritt sollte der Umstieg auf eine regenerative Wärmeversorgung folgen.
Digitalisierung: 30 Prozent CO2-Reduktion
Digitale Technologien können einen großen Beitrag zur Energieeinsparung und CO2-Reduktion leisten. Allerdings werden die Potenziale bislang bei weitem nicht ausgeschöpft. Dabei könnte die digitale Transformation im Gebäudebereich Energieeffizienz auf ein neues Level heben. Durch konsequentes Umsetzen ließen sich bis 2030 rund 15 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Das entspricht 30 Prozent des im Klimaschutzgesetz festgelegten Reduktionsziels für Gebäude.
Zumal sich die Nachrüstung meist ohne großen baulichen Aufwand umsetzen lässt und mit diversen Förderprogrammen unterstützt wird. „Digitale Lösungen sind die sogenannten Low Hanging Fruits, weil sich die Klimabilanz von Gebäuden mit ihrer Hilfe relativ schnell und vergleichsweise kostengünstig verbessern lässt“, betonte Dr. Marcus Rackel vom KEDi. Sie seien aber kein Ersatz für eine Sanierung oder den Umstieg auf erneuerbare Energien, sondern vielmehr eine sinnvolle Ergänzung, um maximale Einsparpotenziale im Bestand zu erzielen.
In Deutschland beträgt das durchschnittliche Alter von Heizungen 14 Jahre und ein Großteil wird fossil und analog betrieben. Welche Einspareffekte sich durch Digitalisierung allein im Heizungskeller realisieren lassen, zeigen die Lösungen zur Fernüberwachung und Optimierung von Heizungsanlagen von metr. Die Software erfasst kontinuierlich die wesentlichen Betriebs- und Verbrauchsdaten der Heizungsanlagen, wertet sie mithilfe eines Machine Learning Algorithmus aus, verknüpft sie mit aktuellen Wetterprognosen und passt die Einstellungen der Heizungsanlage dementsprechend an.
„Ein Großteil des CO2-Fußabdrucks von Gebäuden wird durch das Heizen verursacht. Digitale Lösungen helfen dabei, Fehleinstellungen zu identifizieren. Durch die bedarfsgerechte Optimierung von Heizungsanlagen können bis zu 25 Prozent des Energieverbrauchs und rund 48 Prozent der Betriebskosten eingespart werden“, skizzierte Samuel Billot, CPO von metr Building Management Systems GmbH, die bisher gemachten Erfahrungen.
Serielles Sanieren: Bis zu 90 Prozent Energieeinsparung
Ein weiterer Lösungsbaustein zur Steigerung der Sanierungsgeschwindigkeit öffentlicher Gebäude ist das serielle Sanieren. Der innovative energetische Modernisierungsansatz kombiniert digitale Planung mit automatisierter Vorfertigung und standardisierten Prozessen. So lassen sich mit weniger Fachkräften mehr Bestandsgebäude in kürzerer Zeit klimaneutral modernisieren. Aufgrund ihrer einfachen Gebäudekubatur sind Schulen, Kindergärten, Sporthallen und Verwaltungsgebäude optimal für das neuartige Verfahren geeignet.
„Eine mehrjährige Pilotphase im Mehrfamilienhaussegment hat gezeigt, dass selbst Worst Performing Buildings mit seriellen Sanierungslösungen energetisch auf Neubauniveau gebracht werden können und Energieeinsparungen von bis zu 90 Prozent möglich sind“, so Timo Sengewald, Seniorexperte für das serielle Sanieren von Nichtwohngebäuden bei der dena. Im Rahmen der Bundesförderung effiziente Gebäude (BEG) wird die Sanierung von Nichtwohngebäuden mit zinsverbilligten Krediten und Tilgungszuschüssen in Höhe von 50 Prozent unterstützt. Darüber hinaus stehen auf regionaler Ebene attraktive Programme zur Verfügung, die kommunale Gebäudeenergieeffizienzmaßnahmen mit bis zu 90 Prozent fördern.
In Charlottenburg-Nord geht die BIM Berliner Immobilienmanagement GmbH voran und lässt die erste Feuerwache in Deutschland seriell sanieren. Das Projekt könnte zum Vorbild für die schnelle und wirtschaftliche energetische Modernisierung kommunaler Liegenschaften werden. „Um die Berliner Landesliegenschaften fit für die klimaneutrale Zukunft zu machen, setzen wir auf nachhaltige Baustoffe und innovative Verfahren. Dazu gehören auch zukunftsweisende Themen wie das serielle Sanieren, die in unserem InnoLab vorangetrieben und als BIM-Standards etabliert werden“, machte Martin Sowinski, Mitglied der Geschäftsleitung der BIM Berliner Immobilienmanagement GmbH, deutlich.
Die rund 2.750 m² große Feuerwache erhält für rund zwei Mio. Euro eine neue Gebäudehülle aus 86 bis zu 8,58 Meter hohen und 2,36 Meter breiten Fassadenelementen in Holztafelbauweise. Diese werden inklusive Dämmung, Fenstern, Lüftung und Sonnenschutz im Werk vorgefertigt, per Tieflader auf die Baustelle transportiert und dort nur noch moniert. Die Erneuerung der Gebäudehülle dauert mit dem innovativen Verfahren nicht länger als vier Wochen. Nach der Sanierung reduziert sich der Energiebedarf der zweigeschossigen Feuerwache um 255.000 Kilowattstunden pro Jahr, die jährliche CO2-Einsparung liegt bei rund 53 Tonnen.
Energiespar-Contracting: 100 Prozent Investitionskostenersparnis
Ein zukunftsweisendes Konzept für Kommunen, die energetische Optimierung ihrer Liegenschaften trotz angespannter Haushaltslage voranzutreiben, ist das Energiespar-Contracting (ESC). Dabei übernimmt ein Dienstleister die Finanzierung, Planung und Umsetzung individuell auf ein Gebäude oder einen Gebäudepool zugeschnittener Effizienzmaßnahmen. Die Refinanzierung der Investition erfolgt innerhalb einer Laufzeit von acht bis zwölf Jahren über vertraglich garantierte Energiekosteneinsparungen.
„Viele Kommunen verfügen weder über das Know-how noch die personellen und finanziellen Ressourcen, um die energetische Modernisierung ihrer Liegenschaften aus eigener Kraft zu stemmen. Insofern ist ESC ein attraktives Business-Modell für die öffentliche Hand. Zumal die vom Contractor errichteten Anlagen bereits zu Beginn in das Eigentum des Auftraggebers übergehen. Nach der Vertragslaufzeit kommen die Einsparungen der Kommune dann in vollem Umfang zugute“, erklärte Dr. Jonathan Flesch, Teamleiter Quartier & Stadt bei der dena.
Initiiert vom Kompetenzzentrum Contracting begleitet die Deutsche Energie-Agentur ausgewählte Kommunen auf ihrem Weg in die Klimaneutralität. Die ESC-Modellprojekte sollen Städten, Gemeinden und Landkreisen Orientierung für eigene Modernisierungspläne bieten und zum Nachahmen anregen.
Zu den kommunalen Vorreitern im Bereich Contracting zählt Krefeld. Die nordrhein-westfälische Stadt hat sich das ambitionierte Ziel gesetzt, bis 2035 klimaneutral zu sein. Ein großer Hebel sind die rund 740 Bestandsliegenschaften, die vom Zentralen Gebäudemanagement (ZGM) betrieben, entwickelt und verwaltet werden. Im Rahmen des ESC-Modellvorhabens wurden in einem ersten Schritt 42 Liegenschaften mit insgesamt 130 Gebäuden identifiziert, die mithilfe maßgeschneiderter Contracting-Konzepte in den nächsten zehn Jahren energetisch optimiert werden.
„Aus unserer Sicht ist Energiespar-Contracting derzeit ein hoch effizientes Instrument, um die Energiewende in Städten, Landkreisen und Gemeinden auf den Weg zu bringen. Dass wir dabei mit fachlichem Know-how und finanziellen Ressourcen erfahrener Contracting-Dienstleister unterstützt werden, ist ein doppelter Gewinn“, so das Zwischenfazit von Carola Schellhorn aus der Stabsstelle Grundsatzentscheidungen Energie beim Zentralen Gebäudemanagement (ZGM) der Stadt Krefeld. Nach europaweiten Recherchen habe man die Ausschreibungsphase gestartet. Läuft alles nach Plan, könnte die Umsetzung der Maßnahmen noch in diesem Jahr beginnen.
Gebäude sind für 30 Prozent des Energieverbrauchs und 35 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich. Vor diesem Hintergrund sind sie auf dem Weg in die Klimaneutralität eine der größten Herausforderungen – gleichzeitig aber auch einer der größten Hebel. Mit einem Maßnahmenmix aus Digitalisierung, serieller Sanierung und Contracting lässt sich auf kommunaler Ebene die maximale Hebelwirkung erzielen.