Neubau-Quartiere mit Altbau-Charme

Zukunftsfähig, klimaneutral, digital, vielfältig und gemeinschaftlich – das wollen alle Quartiere sein. Stephan Aumann, Geschäftsführer der KonvOY GmbH, spricht darüber, wie man diese Ziele auch in Zeiten der Baukrise erreicht und teilt seine Erfahrungen bei der Konversion der Münsteraner Kasernenflächen York und Oxford.

Herr Aumann, Sie sind Konversionsmanager der beiden Quartiere York und Oxford und Geschäftsführer der KonvOY GmbH. Vor welchem Hintergrund wurde die KonvOY gegründet und was ist Ihre Rolle?

Stephan Aumann: Die Stadt Münster hat 2018 im Zuge des Erstrechtszugriffs die Konversionsflächen von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben erworben. Einen Teil der Flächen hat sie für Grundschule, Turnhallen und Kitas behalten. Weitere Flächen hat das Wohnungsunternehmen der Stadt übernommen, damit ein Großteil des sozialen Wohnungsbaus frühzeitig errichtet werden kann. Der Großteil der Flächen ist aber an die KonvOY gegangen, eine GmbH mit der Stadt Münster als einzige Gesellschafterin. Städte gründen häufig Entwicklungsgesellschaften, die sich um Erschließung und Vermarktung von Grundstücken kümmern. Häufig führt das dazu, dass die GmbH eigene privatwirtschaftliche Ziele verfolgt, die gegenläufig zu den allgemeinwohlorientierten Wünschen der Stadt sind.

Bei der KonvOY wurde der Schwerpunkt bewusst anders gesetzt: Ich verzahne in meiner Rolle als Stabstelle beim Stadtbaurat und Geschäftsführer die privatwirtschaftliche Umsetzung der GmbH mit den hoheitlichen Instrumenten der Stadtentwicklung. Diese hohe Gewichtung der planerischen Ziele bei der Entwicklung zeigt sich auch in meinem Hintergrund: Die Geschäftsführerstelle wurde bewusst nicht durch jemanden mit einem kaufmännischen Hintergrund besetzt, ich selbst bin Stadtplaner.

Wie sieht die Finanzierung bei einem solchen Ansatz aus?

Stephan Aumann: Mit der Erschließung der Flächen – also dem Abriss von Gebäuden und Kanälen, der Wiederverwertung der Materialien, dem Ausbau des Ver- und Entsorgungsnetzes und der Errichtung der Grünflächen – geht die KonvOY erstmal in Vorleistung. Häufig gehen hohe staatliche Investitionen in die Reaktivierung von Flächenbrachen.

Die Entwicklung der beiden Quartiere York und Oxford funktioniert im Gegensatz dazu nach einer Vollkostenrechnung. Die Refinanzierung der entstandenen Kosten erfolgt vollständig über den Erlös der Flächen, die durch die Baureifmachung inwertgesetzt werden. Fördergeld spielt nur eine geringfügige Rolle. Ein großer Vorteil der Gesellschaftsgründung ist, dass diese mit einem eigenen Wirtschaftsplan arbeitet, der nicht über den städtischen Haushalt läuft.

Trotzdem findet eine enge Zusammenarbeit statt: Einen Teil der Erschließungsaufgaben erledigen städtische Ämter. Das Tiefbauamt kümmert sich um die Kanäle und Leitungen, das Umweltamt um die Parkanlagen. Das sorgt für eine effiziente Aufgabenverteilung und Planung der öffentlichen Straßen und Grünflächen.

Sie sagten, im Fokus stehen die gemeinwohlorientierten, stadtplanerischen Ziele. Wie stellt man deren Erfüllung sicher?

Stephan Aumann: Kurz gesagt: Über den Zuschlag entscheidet nicht der höchste Gebotspreis, sondern der beste Beitrag zur Stadtentwicklung. Wir wollen die richtigen Investoren auf die Fläche bringen, die die Klimaanforderungen bewältigen, gute Mobilität ermöglichen und eine gute Mischung an Wohnformen anbieten – also nicht nur die höherpreisigen, die sich oftmals am Markt durchsetzen, sondern auch geförderten Wohnraum, preiswerte Eigentumswohnungen, Reihen- und Doppelhäuser für Familien oder gemeinschaftliche Wohnformen.

Sichergestellt wird das über das Prinzip der Konzeptvergabe, einer Methode zur Ermittlung von Grundstückskäufern. Im Detail kann der Begriff Konzeptvergabe unterschiedliche Herangehensweisen bedeuten. Oft meint man damit, dass perfekt ausgearbeitete Konzepte in den Wettbewerb um ein Grundstück treten. Das funktioniert heute aber nicht mehr: Bauen an sich und die Finanzierung von Bauprojekten haben sich verteuert, die Entwicklung eines Grundstücks ist risikohaft geworden. Deshalb sind Interessenten zurückhaltend, bevor sie zu viel in einen Wettbewerb mit beschränkten Erfolgsaussichten investieren.

Wir haben in unseren Verfahren auf diese aktuellen Bedingungen am Immobilienmarkt reagiert und arbeiten mit kooperativen Konzeptvergaben. Entscheidend für unsere Wahl sind inhaltliche Ziele, die der Investor verfolgt, z. B. Bestandserhalt und –nutzung oder Umsetzungssicherheit. Klassische wettbewerbsähnliche Vorphasen werden eher reduziert, stattdessen wird mit dem Investor in einem kooperativen Prozess der konkrete Plan entsprechend der Gestaltungsleitlinie, des Bebauungsplans und den Zielen der Stadtentwicklung entworfen.

Mit dem York- und Oxford-Quartier entstehen gleich zwei Projekte parallel: Was sind Unterschiede und Gemeinsamkeiten in Bezug auf die Stadtentwicklung?

Stephan Aumann: Die Aufgabenstellungen sind erst einmal identisch: die Entwicklung lebenswerter Quartiere. Der Fokus ist aber ein leicht anderer: Oxford hat vor allem das Ziel, Wohnraum in all seinen Facetten zu schaffen, denn der Stadtteil Gievenbeck verfügt bereits über zwei funktionale Zentren. Die Fläche liegt zwischen Alt-Gievenbeck und einem Neubaugebiet aus den 1980er-Jahren. Bei York stehen eher die Erweiterung und Stabilisierung des bestehenden Stadtteilzentrums im Vordergrund. Das Quartier hat eine integrale Lage und erweitert Gremmendorf entlang seiner Hauptverkehrsstraße.

Natürlich ist Wohnen auch hier die dominierende Nutzung, wird aber ergänzt durch Gewerbeeinheiten. Der augenscheinliche Unterschied ist die Größenordnung: Im Oxford-Quartier entstehen auf 26 Hektar 1.200 Wohneinheiten, im York-Quartier sind es 50 Hektar und 1.800 Wohneinheiten. Für die Menschen, die dort einmal leben werden, ist die größte spürbare Gemeinsamkeit der umfangreiche historische Bestand. Beide Kasernen sind eingetragene Baudenkmäler. Vor allem die Mannschaftsgebäude, in denen schon immer gewohnt wurde, bleiben weitgehend erhalten.

Viele der Funktionsgebäude der Kasernen mussten abgerissen werden, da sie nicht mehr sanierbar waren. Neubauten ergänzen also Altbauten zu einem sinnvollen Gefüge. Gerade die vielen sehr alten Bäume, die man in klassischen Neubauvierteln in der Größe vergeblich sucht, sorgen für Qualität. Das Ergebnis ist ein Neubau-Quartier mit Altbau-Charme.

Sie erwähnten bereits die Baukrise, die zwischenzeitlich die Branche beeinflusst. Wie geht man mit sich ändernden Rahmenbedingungen um?

Stephan Aumann: Wichtig ist hinzunehmen, dass es dauert, und es als Chance zu begreifen. Die Baureifmachung allein beansprucht mehrere Jahre – das ermöglicht, genau im richtigen Moment die richtige Entscheidung für das jeweilige Baufeld zu treffen. Wir können Entwicklungen beobachten und von einer Konzeptvergabe zur nächsten entscheiden, welche Facette, welche Wohnform oder welche Nutzungsart noch fehlt.

Ein weiterer Vorteil ist, dass wir der Stadt entgegenkommen können und zum Beispiel einige der Flächen als Zentrale Unterbringungseinrichtung des Landes oder als Flüchtlingsunterkunft der Stadt temporär zur Verfügung stellen können. Die GmbH verzichtet an der Stelle aus dem Allgemeinwohlgedanken heraus auf schnelle Erlöse.

Im Zuge so einer großen Quartiersentwicklung ergeben sich auch neue Ziele der Stadt.Ein Beispiel ist da eine zweizügige Grundschule, die im Oxford-Quartier geplant war. Neuere Bevölkerungsprognosen haben ergeben, dass auch eine Erweiterung einer nahegelegenen Schule den Bedarf deckt. Dadurch entstehen neue Möglichkeiten für Projekte auf dem ursprünglich vorgesehenen Grundstück an einer zentralen Stelle im Quartier. Der städtebauliche Entwurf muss angepasst werden und wir können neu über passende Nutzungen am Quartiersplatz nachdenken. Das macht eine Quartiersentwicklung besonders: Sie dauert mehrere Jahre und bietet dadurch Chancen, die man vorher noch nicht gesehen hat.

Die Entwicklung eines ganzen Stadtteils bietet auch die Chance, alles richtig zu machen: von den Wohnkonzepten bis zur Mobilität. Was bedeutet das?

Stephan Aumann: Ja, es ist eine Chance, alles richtig zu machen. Aber dieses „alles richtig machen“ ändert sich mit der Zeit. Es muss Ziel sein, Strukturen zu schaffen, die sich auch in zwanzig Jahren noch an neue Gegebenheiten anpassen können: sei es die Anzahl der Kitaplätze, die Mobilität oder die Art der Wohnungen. Die Strukturen, die wir heute bauen, müssen später einmal umgenutzt werden können.

Die KonvOY betreibt zwei umfangreiche Webseiten und Quartiersmagazine. Welche Rolle spielt Bürgerinformation während der Konversionen?

Stephan Aumann: Wir behalten immer die Masterpläne im Blick, die damals unter Bürgerbeteiligung zustande gekommen sind, und betrachten es als unsere Aufgabe, konstant zu kommunizieren – nicht als Marketing für Investoren, sondern als Erklärung für Bürger und politische Entscheidungsträger, wie das Quartier sich entwickelt. So ein Projekt dauert. Umso wichtiger wird es, zu erklären, warum Änderungen am Masterplan notwendig werden, was das Verkehrskonzept umfasst, welche Grünflächen geplant sind und warum wir uns für oder gegen einen Investor entschieden haben.

Die Internetseiten übernehmen dabei eine große Rolle, aber auch das traditionelle Printmedium, das für viele immer noch am leichtesten zugänglich ist. Die Magazine werden an die Haushalte der Stadtteile verteilt und sind der Versuch, möglichst alle im räumlichen Einzugsbereich zu informieren – nicht fach- oder verwaltungstechnisch, sondern bürgernah.

Wo steht die Quartiersentwicklung aktuell?

Stephan Aumann: Die Entwicklungen der einzelnen Baufelder befinden sich aktuell an sehr unterschiedlichen Meilensteinen: Auf den Flächen des städtischen Bauunternehmens haben sich bereits die ersten Bewohner eingelebt. Andere befinden sich im Hochbau, wieder andere in der Baureifmachung. Während sich an der einen Stelle schon eine Quartierskultur entwickelt, Kitas und eine Grundschule fast fertig sind, laufen an anderer Konzeptvergaben und Abstimmungen.

Im York-Quartier ist der Anschluss an die Hauptverkehrsstraße schon abgeschlossen, die Anbindung des Oxford-Quartiers ist in ein bis zwei Jahren so weit. Fast alle nicht nachnutzbaren Gebäude sind abgerissen und das Material ist wiederverwertet, insgesamt ist etwa die Hälfte der neuen Straßen, Kanäle und Leitungen gebaut. Und in beiden Quartieren entstehen schon Teile der Grünflächen.

2018 erfolgte der Ankauf der Flächen, die Fertigstellung der Quartiere ist für 2030 geplant. Was würden Sie jetzt, 2024, nach sechs Jahren anderen Quartiersentwicklern raten, die sich gerade auf den Weg machen?

Stephan Aumann: Nutzen Sie die Flexibilität, die der lange Entwicklungsprozess bietet, und erhalten Sie die Kommunikation mit Bürgerschaft sowie Stadtpolitik aufrecht. Die Entwicklung von Quartieren erfordert von allen Entscheidungsträgern einen langen Atem – die öffentliche Hand geht dabei erstmal in Vorleistung. Auf lange Sicht führen die Investitionen aber zu positiven gesellschaftlichen und fiskalischen Effekten: Es entstehen stabile Quartiere, die neue Menschen in die Stadt ziehen.

Investitionen und adäquate Erlöse fallen bei Brachflächenentwicklungen zeitlich weit auseinander, wenn man nicht immer die erstbeste Lösung nimmt. Aber allein die Entscheidung für eine graue Fläche ist schon eine Entscheidung für eine nachhaltige Stadtentwicklung. So wichtig eine gute Planung auch ist, halte ich es zudem für entscheidend, offen für Ideen von außen zu bleiben, Innovationen privater Bauvorhaben im Blick zu behalten, zu erkennen und zu fördern.

Ein Beispiel aus unserem Vorhaben ist die Genossenschaft Grüner Weiler, deren Wohnprojekt im Oxford-Quartier zusätzlich gemeinschaftliche Räume wie ein Nachbarschaftscafé, eine Fahrradwerkstatt und gewerbliche Flächen vorsieht. Das hätten wir so nicht planen können, bereichert die Entwicklung aber enorm.

Gleichzeitig darf man nicht den Fehler machen, von jedem Bauvorhaben zu erwarten, dass es einen überwältigenden innovativen Charakter hat oder alle Aufgaben des Quartiers in sich erfüllt. Nicht alle werden beste Mobilität und geförderten Wohnraum und Passivhausstandard bieten. Wichtig ist die Summe: Jedes Vorhaben ist ein Puzzleteil, das zu einem vielfältigen Quartier mit einem zukunftsfähigen Verkehr, klimaverträglichen Lösungen und einer stabilen Gesellschaft beiträgt.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

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