Nachhaltige Forschungs- und Laborgebäude
Bewertungssystem als Planungs- und Qualitätssicherungsinstrument
Das Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen (BNB) ist ein ganzheitliches Bewertungsverfahren für die Nachhaltigkeit von Bauvorhaben. Es betrachtet den gesamten Lebenszyklus von Gebäuden unter Berücksichtigung ökologischer, ökonomischer, soziokultureller sowie technischer und prozessualer Aspekte.
Das BNB besteht aus Systemvarianten für die Bewertung verschiedener Nutzungsarten mit den Modulen Neubau, Nutzen und Betreiben sowie Modernisierung.
Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) führt jetzt das neue Nutzungsprofil für den Neubau von Forschungs- und Laborgebäuden in der Bundesbauverwaltung ein.
Entwicklung einer Systemvariante Forschungs- und Laborgebäude
Auf Initiative des Bundesbauministeriums wurde im Oktober 2011 ein Forschungsprojekt im Rahmen der Forschungsinitiative „Zukunft Bau“ initiiert, um für den Neubau von „Forschungs- und Laborgebäuden“ eine neue Systemvariante mit speziell angepassten Kriteriensteckbriefen zu entwickelt und an ausgewählten Pilotobjekten zu erproben. Der Bund reagierte damit auf eine verstärkte Planungs- und Bautätigkeit im Bereich nachgeordneter Institute sowie auch bei Zuwendungsmaßnahmen, auf Grund einer deutlich ausgebauten Forschungsförderung. Mit der neuen Systemvariante sollten auch für diese Gebäudekategorien verbindliche Bewertungsregeln zur Verfügung gestellt werden.
Die wissenschaftliche Entwicklung des Bewertungssystems wurde vom beauftragten Forschungsnehmer, dem Büro ee concept gmbh durchgeführt, unterstützt von einem ehrenamtlichen Begleitkreis in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB), bestehend aus Laborexperten, Planern und der Bauverwaltung , der in regelmäßigen Abständen tagte. Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt-und Raumforschung (BBSR) war für das Forschungsmanagement verantwortlich.
Die Kriterien sind grundsätzlich am Bewertungssystem für Büro- und Verwaltungsgebäude orientiert, die Benchmarks sowie Gewichtung im Gesamtsystem sind bei Bedarf angepasst. Um auf die besonderen Anforderungen von Laborgebäuden reagieren zu können, wird bei der Bewertung der Ökobilanz sowie der Lebenszykluskosten das zu bewertende Gebäude mit einem virtuellen Laborgebäude verglichen. Das virtuelle Gebäude hat eine identische Kubatur und Nutzung (ähnlich dem Referenzgebäudeverfahren nach DIN V 18599) und weist die gesetzlichen Mindestanforderungen aus. Für das virtuelle Gebäude werden der Energiebedarf und die Investitions- und Betriebskosten nach exakten Vorgaben definiert.
So sind etwa die energetische Qualität der Gebäudehülle und Gebäudetechnik sowie die Vorgehensweise der Kostenermittlung für das virtuelle Gebäude in den Kriteriensteckbriefen genau definiert. Neu kommt hinzu, dass Prozessenergiemengen ebenfalls in Ökobilanz und Lebenszykluskosten bilanziert werden. Das Maß der Über- oder Unterschreitung der Kennwerte des Vergleichsgebäudes bestimmt die Bewertung des realen Gebäudes. Die Verbesserung gegenüber dem gesetzlichen Standard wird positiv gewertet.
Außerdem fließt die Qualität der Gebäudetechnik mit einem vergleichbaren Stellenwert wie Ökobilanz und Lebenszykluskosten in das System ein. Hierfür gibt es drei neu entwickelte Kriteriensteckbriefe: Flexibilität, Wartungs- und Bedienfreundlichkeit sowie Systemqualität der Technischen Gebäudeausrüstung. Da Laborgebäude in der Regel „High-end“-Gebäude sind, ist ein hoher Anteil der Technik an der Gesamtbewertung gerechtfertigt. Gefordert werden darüber hinaus ein Betriebskonzept, in dem die geplante Nutzung und die Randbedingungen für das Gebäude genau definiert sind, sowie mindestens ein Sicherheits-, Explosionsschutz- und Abfallentsorgungskonzept.
Bei der Ermittlung der Lebenszykluskosten werden die realen Investitionskosten des Gebäudes mit einer variablen Kostenbenchmark des virtuellen Gebäudes, basierend auf den sogenannten KFA-Werten, verglichen. Diese Flächen- und Kostendaten werden von der Informationsstelle Wirtschaftliches Bauen (IWB) in Baden-Württemberg auf der Grundlage abgerechneter Baumaßnahmen entwickelt und veröffentlicht. Mit diesen KFA-Werten kann das geplante Gebäude in seiner Raumzusammensetzung und definierten Nutzungsanforderungen genau abgebildet werden.
Zunächst bedeutet der Aufbau des virtuellen Vergleichsgebäudes einen Mehraufwand in der Zertifizierung gegenüber Bürogebäuden, insbesondere die Anpassung der energetischen Berechnungen, die detaillierter erfolgen müssen, als dies der gesetzliche EnEV-Nachweis vorsieht. Die Berücksichtigung der Prozessenergien und des insgesamt höheren Energiebedarfs führen dazu, dass der Betrieb bei der Nachhaltigkeitsbewertung von Laborgebäuden eine höhere Gewichtung hat als bei Bürogebäuden.
Die Pilotprojekte haben gezeigt, dass das Bewertungssystem für Laborprojekte sinnvoll und gut umsetzbar ist, sich gut in die Planung integrieren lässt und bei frühzeitiger Berücksichtigung zu einer hohen Qualität von Forschungs- und Laborgebäuden beiträgt.
Wissenschaftliche Begleitung der Erstanwendung
Um die Einführung in die Praxis zu unterstützen, wird die planungsbegleitende Anwendung der neuen Systemvariante durch einen weiteren Forschungsauftrag wissenschaftlich begleitet und ausgewertet.
Im Zuge des Forschungsprogrammes sollen die Kriteriensteckbriefe sowie das Gesamtsystem kritisch bewertet werden. Dabei sollen die Benchmarks unter Berücksichtigung der Ergebnisse aus der Anwendungserprobung sowie der Hinweise des Auftraggebers bzw. des Begleitkreise überprüft und ggf. angepasst werden. Neben der Abgabe von Vorschlägen zur Gewichtung der einzelnen Kriterien soll auch eine Überprüfung der Kriterien zur Lebenszyklusbetrachtung sowie möglicher Vereinfachungen oder Präzisierungen stattfinden.
Ausgewählt wurden dafür die Neubauvorhaben des Julius-Kühn-Instituts (JKI) in Dossenheim sowie des Berlin Institute for Medical Systems Biology (BIMSB) in Berlin. Neben der Auftaktbesprechung in Berlin wurden weitere Abstimmungstermine und Workshops mit den jeweiligen Projektbeteiligten durchgeführt. Die ausgewählten Projekte werden über die verschiedenen Projektphasen (Aufstellung ES-Bau, EW-Bau, Erstellung der Leistungsverzeichnisse im Rahmen der Ausschreibung und Vergabe sowie bis in die Ausführungsphase) vom Auftragnehmer begleitet und unterstützt.
Umsetzung in der Bundesbauverwaltung
Mit BMUB-Erlass vom 11. Juni 2014 ist diese Systemvariante seitens der Bundesbauverwaltung ab dem 1.10.2014 bei der Planung neuer Forschungs- und Laborgebäude mit Bauinvestitionskosten > 2 Mio. € zu beachten und deren nachhaltige Gebäudequalität nachzuweisen. Dabei sind ein Gesamterfüllungsgrad von 65 % und damit der Silberstandard nach BNB zu erreichen. Bei kleineren Bauvorhaben sind die Anforderungen sinngemäß anzuwenden. Sofern Neubaumaßnahmen im Zuwendungsverfahren von der Bundesbauverwaltung begleitet werden, ist die Anwendung mit den Zuwendungsgebern abzustimmen. Bei laufenden Planungen, für die noch keine baufachliche Genehmigung und Kostenfestsetzung erfolgt ist, entscheidet die Oberste Technische Instanz über die BNB-Anwendung und das zu erreichende Nachhaltigkeitsziel im Einzelfall in Abstimmung mit dem Maßnahmenträger.
Zur Sicherstellung eines bundeseinheitlichen Bewertungsstandards wurde die Konformitätsprüfung für Maßnahmen der Bundesbauverwaltung für das Nutzungsprofil Forschungs- und Laborgebäude der Oberfinanzdirektion Karlsruhe – Bundesbau Baden-Württemberg Betriebsleitung – im Sinne einer Leitstelle übertragen. Das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung nimmt jedoch für Baumaßnahmen, die in eigener Verantwortung durchgeführt werden, weiterhin die Konformitätsprüfung auch für diese Systemvariante wahr.
Das neue Nutzungsprofil steht als „BNB Laborgebäude – Neubau (BNB_LN)“ im Internet unter www.nachhaltigesbauen.de frei zugänglich zur Verfügung.
Dipl.-Ing. Andreas Rietz (BBSR, Referat II 5 Nachhaltiges Bauen)