Städtebaulicher Rahmenplan Luisenstadt

Die Wiederentdeckung von Stadt ist das Leitbild der städtebaulichen Rahmenplanung.

Auch 20 Jahre nach dem Mauerfall ist die städtebauliche Aufwertung der traditionsreichen Berliner Luisenstadt, in der die Bezirke Mitte und Kreuzberg zusammentreffen, nur teilweise bzw. teilräumlich gelungen. Ein hoher Handlungsbedarf besteht nach wie vor in der Vernetzung vielfältiger historischer Epochen ihrer Bebauung, in der Re­­konstruktion des öffentlichen Raums und in der Vervollständigung der öffentlichen Infrastruktur.

Mit dem städtebaulichen Rahmenplan Luisenstadt, der durch das Büro Herwarth + Holz im Auftrag des Bezirksamtes Mit­­te von Berlin im Zusammenwirken mit dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg erarbeitet wurde, ist eine in­­tegrierte, ganzheitliche Entwicklung angestoßen worden, die der nachhaltigen und identitätsstiftenden Entwicklung der Luisenstadt dient.

Ziel ist, die vorhandenen Lücken und Brüche im Stadtgefüge aufzuheben und die Luisenstadt als attraktiven und lebenswerten Stadtteil für Bewohner, Beschäftigte und Besucher wiederzugewinnen. Hierzu sind öffentliche Anschubmaßnahmen mit vielfältigen privaten Investitionen zu verbinden.

 

Zukunftspotenziale im Gebiet

Wie in kaum einem anderen Stadtteil Berlins bilden sich in der 210 ha großen Luisenstadt die unterschiedlichen Phasen der Berliner Stadtentwicklungsgeschichte ab. Hierzu ge­­hören die Befestigungsanlagen des 17. und die Stadterweiterungen des 19. Jahrhunderts, die Verdichtungen und Gestaltungen der Gründerzeit aber auch Kriegszerstörungen, die Eingriffe zur Manifestierung der Teilung der Stadt, die Kahlschlagsanierungen der Nachkriegsjahre, aber auch die behutsame Stadterneuerung der IBA und die Aufwertungen und Neubebauungen der Nachwendezeit. In der Luisenstadt ist die Beziehung zum historischen Stadtzentrum im Norden, zur Friedrichstadt im Westen sowie zu den Kreuzberger Kiezen im Süden und Osten von Bedeutung. Im gesamten Stadtteil finden sich zahlreiche und flächenmäßig große Brachen, die als wichtige Zukunftspotenziale zu sehen sind.

 

Städtebauliche Struktur

Während die Luisenstadt um 1900 von einer dichten Mischnutzung geprägt war, stellt sie sich heute im Wesentlichen dreigeteilt dar: Eine Mantelzone erstreckt sich im Übergang zur historischen Mitte und zur südlichen Friedrichstadt sowie entlang der Spree. Sie ist vor allem gewerblich und dienstleistungsstrukturell geprägt.

Durchgrünte Wohnquartiere finden sich von der Mantelzone bis hin zum Luisenstädtischen Kanal. Das hier ehemals vorhandene, dichte Quartier der Gründerzeit war nach weitgehenden Zerstörungen im Zweiten Welt­krieg einer Flächensanierung ausgesetzt. Hier entstand eine neue Siedlung mit nahezu reiner Wohnnutzung in aufgelockerter Zeilenbauweise. In den geschaffenen Strukturen spiegeln sich die in Ost und West faktisch identischen städtebaulichen Ideologien und Planungen der Nachkriegsjahrzehnte wider. Im Kreuzberger Teil der Luisenstadt ist im Wesentlichen die gründerzeitliche Bebauung erhalten geblieben, obwohl auch für diesen Bereich in den Nachkriegsplanungen Flächensanierungen vorgesehen waren. Infolge dieser Planungen standen viele Häuser leer oder sie blieben unsaniert, was die Basis für die Um­­setzung alternativer Lebensentwürfe und die bis heute hohe Akzeptanz des Wohnraums bei Migrantenfamilien war. Mit dem Paradigmenwechsel zur behutsamen Stadterneuerung ging nicht nur der Erhalt der charakte-ristischen Bebauungsstruktur, sondern auch der typischen Nutzungsmischung aus Wohnen und Arbeiten einher.

 

Entwicklungskonzept

Die „Justierung der Luisenstadt zwischen der (Über)Urbanisierung der Gründerzeit und der (Unter)Urbanisierung der Moderne – Wiederentdeckung von Stadt“ ist das Leitbild der städtebaulichen Rahmenplanung. Es wird zugrunde gelegt, dass alle zeitlichen und städtebaulichen Schichten in der Luisenstadt ihre Berechtigung haben und eine differenzierte Auseinandersetzung mit ihren Qualitäten und Defiziten verlangen. Im Rahmenplan wird diesem Ansatz durch einen toleranten und respektvollen Umgang mit allen stadtgeschichtlichen Zeugnissen Rechnung getragen. Der historische Stadtgrundriss wird als historisches Gedächtnis der Stadt erhalten und genutzt, gleichzeitig werden die vorhandenen Qualitäten der Moderne bewahrt. Über eine Vielzahl an Interventionen werden Brüche überwunden und Gegensätze zusammengeführt, hiervon sind auch die Entwicklung des Spreeraums und der sonstigen Wasserlagen berührt. Im Besonderen wird der Überdehnung des öffentlichen Raums entgegengewirkt. Vorhandene Grünzüge werden im städtebaulichen Kontext ausgebaut und vernetzt, historische Straßenräume gestärkt und wieder ablesbar gemacht. Besondere Bedeutung nimmt dabei auch die Definition und Entwicklung von zentralen Orten unter anderem zur Verbesserung der Nahversorgung ein.

 

Städtebauliches Gestaltungskonzept

In der Mantelzone werden zahlreiche private und öffentliche Bauvorhaben vorgeschlagen, um eine weitere Qualifizierung dieses lebendigen und vitalen Innenstadtgürtels im Kontext des historischen Zentrums zu erreichen. Die offene, durchgrünte Zeilenstruktur der Gebiete der Nachkriegsmoderne wird als Ausdruck eines eigenständigen städtebaulichen Leitbildes bewahrt und weiterentwickelt. Das Wohnumfeld wird gestalterisch und funktional aufgewertet, wobei bauliche Ergänzungen innerhalb der Quartiere unter Respektierung sowie im Kontext der vorhandenen Baustruktur vorgeschlagen werden. In den Gründerzeitquartieren sind Maßnahmen vor allem darauf ausgerichtet, die kleinteilige Mischung aus Wohnen und Gewerbe zu erhalten und auszubauen. Die städtebauliche Entwicklung der brachliegenden Areale im ehemaligen Mauerstreifen ist als das entscheidende Po­­tenzial für das Zusammenwachsen der Luisenstadt zu sehen. Hier finden innovative Neubauvorhaben, vielfach getragen von Baugruppen, ihren Platz.

Die Vernetzung des Stadtteils insgesamt wird im Wesentlichen über die Wiedergewinnung und Aufwertung historischer Achsen gefördert. Sektorale Vertiefungen erfolgten zu den Themen Verkehr, Grün und soziale Infrastruktur. Jedes Handlungsfeld weist vielfältige Maßnahmenbündel und die Vernetzung von Mehrzielprojekten auf.

 

Maßnahmen

Der Maßnahmenplan zeigt in der Übersicht alle notwendigen Schritte zur Umsetzung der Entwicklungsziele auf. Die unterschiedlichen sektoralen Handlungsfelder werden dabei, soweit sie sich räumlich verorten lassen, im Plan zusammengeführt. Das Zusammenwirken öffentlicher Maßnahmen, vor allem im öffentlichen Raum und in der sozialen Infrastruktur, und privater Maßnahmen bei der Sanierung oder Neuerrichtung von Gebäuden wird plakativ veranschaulicht. In Ergänzung der baulich-investiven Maßnahmen werden verfahrensbezogene Empfehlungen ausgesprochen, die sich aus den lokal unterschiedlichen städtebaulichen Rahmenbedingungen und Zielen ableiten. Im Ergebnis werden vier Interventionsräume definiert, die aufgrund der vorhandenen Entwicklungshemmnisse einerseits und zum Teil divergierender Entwicklungsinteressen andererseits einen hohen Entwicklungs- und Steuerungsbedarf aufweisen. Die vier Interventionsräume besitzen individuelle, sehr spezifische Charakteristika, die sich in differenzierten Leitthemen der Entwicklung widerspiegeln:

– Urbanisierung

Der zu urbanisierende Teil der Luisenstadt berührt Alt-Berlin und damit auch Teile des historischen Zentrums. Im Fokus stehen Brüche im Stadtgefüge und die teilweise Überformung historischer Strukturen.

– Strukturwandel

Gegenstand des Themas Strukturwandel sind Brachflächen, Leerstände, schwierige Gemengelagen von Wohnen und Gewerbe, Funk-tionsschwächen, zu große Grundstückszuschnitte, das unerschlossene Spreeufer sowie vielfältige Erschließungs- und Entwicklungshemmnisse.

– Wohnumfeldaufwertung

Mit einer nachhaltigen und stadtbildprägenden Wohnumfeldaufwertung wird Funktionsdefiziten, Wohnumfeldmängeln, Defiziten in der sozialen Infrastruktur, Defiziten in der wohnungsnahen Grünversorgung sowie un­­genügenden Fuß- und Radwegverbindungen entgegengetreten.

– Grenzüberwindung

Anhaltende starke städtebauliche Brüche im Be­­reich des Mauerstreifens, große Flächenpotenziale zur wohnbaulichen Entwicklung, die Notwendigkeit zur Zu­­sammen­­führung der historischen Zeugnisse der Teilung, aber auch früherer Epochen, sowie des Zusammenwachsens der geteilten Luisenstadt und der Bezirke Mitte / Friedrichshain-Kreuzberg sind hier die bestimmenden Themen.↓

Fazit

In der Gesamtschau ist die Rahmenplanung ganzheitlich und unterschiedliche Interessen integrierend angelegt. Ihr wesentliches Ziel ist, Stagnationen aufzubrechen, eine nachhaltige Entwicklung einzuleiten und zu verstetigen.

Übergeordnetes und gesamtstädtisch wichtiges Ziel ist, die Brüche und Lücken im Stadtgefüge zu überwinden. Die derzeitige Entwicklungsprognose geht dabei von einem Anstieg der Einwohnerzahl um 5 000 auf insgesamt etwa 26 500 Einwohner aus. Die Rahmenplanung wurde von den Bezirken als zukünftige Leitlinie des Handels beschlossen und durch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung in allen wesentlichen Punkten in der Neufassung des Planwerks Innenstadt berücksichtigt. Sie bildet damit eine wichtige Grundlage für künftige Förderentscheidungen der öffentlichen Hand und Investitionsentscheidungen Privater. Aktuell wurde ein Teilgebiet der Luisenstadt förmlich als Sanierungsgebiet festgelegt.




In den geschaffenen Strukturen spiegeln sich die in Ost und West faktisch identischen städtebaulichen Ideologien und Planungen der Nachkriegsjahrzehnte wider.

In den Gründerzeitquartieren sind Maßnahmen vor allem darauf ­ausgerichtet, die kleinteilige Mischung aus Wohnen und Gewerbe zu erhalten und auszubauen.

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