Im Bestand liegt die Zukunft
Eine höhere Sanierungsrate von Gebäuden ist unerlässlich, um die Klimaschutzziele in Deutschland zu erreichen. Prof. Dr. Anja Rosen von der re!source Stiftung betont in diesem Kontext das Potenzial des Bestands.
Die Senkung des Energie- und Ressourcenverbrauchs sind drängende Themen in der Bau- und Immobilienbranche. Oftmals werden dabei besonders innovative Neubauprojekte in den Fokus gerückt. Allerdings sind in Deutschland über 15 Mrd. Tonnen an Baumaterial in bereits bestehenden Gebäuden verbaut. Im Laufe der Zeit können sich hier die Ansprüche an Gestaltung und Nutzung ändern – die Lösung sollte nicht im Neubau liegen. Denn mit dem Abriss verschwindet nicht nur ein Stück kulturelles Erbe.
Zugleich ist das Bauen im Bestand ein wesentlicher Punkt, um Klimaziele zu erreichen und gleichzeitig Wohnraum zu schaffen. Dies gilt insbesondere für die energetische Sanierung älterer Gebäude. Denn zwei Drittel aller Wohngebäude in Deutschland wurden vor 1979 – und entsprechend auch vor der ersten Wärmeschutzverordnung – erbaut. Diese verbrauchen laut Umweltbundesamt im Schnitt fünfmal mehr Energie als Gebäude, die nach der Jahrtausendwende errichtet wurden.
Auch Prof. Dr. Anja Rosen, Vorstandsmitglied der re!source Stiftung, sieht die Weiterentwicklung des Bestands als ein zentrales Anliegen: „Wenn wir den Umwelt- und Klimaschutz ernst nehmen, müssen wir das nutzen, was bereits da ist, denn mittlerweile entfallen rund die Hälfte des Energieverbrauchs und der Emissionen von Gebäuden auf deren Herstellung.“
Neuer Verwendungszweck im Bestand
Aus ökologischer Sicht sind der Abriss und Neubau von Gebäuden nicht tragbar. Auch wenn beim Abriss das Konzept des Urban Mining beachtet wird – und Rohstoffe durch die Bewirtschaftung des anthropogenen Lagers gewonnen werden – hat sich gezeigt, dass so zwar die stofflichen Ressourcen geschont werden, aber der Ausstoß von Klimagasen nur in geringem Maße sinkt. Stattdessen sollte auf die verschiedenen Konzepte der Nutzung, Sanierung und Wiederverwendung beim Bestand gesetzt werden. So kann eine gelungene Transformation des Bestands auch die Akzeptanz für diese Gebäude in der Gesellschaft erhöhen.
Ein Ansatz ist die Umnutzung von Gebäuden. Während die äußeren Merkmale des Baus in den meisten Fällen bestehen bleiben, wird schlicht der Verwendungszweck verändert. Die Grundlage ist eine vorhergehende Bestandsanalyse auf potenzielle Schadstoffe und eine ausreichende Qualität der Bausubstanz. In vielen Gemeinden wird die Umnutzung bereits gefördert. Daher werden Genehmigungen oftmals schneller als bei Abriss und Neubau erteilt. Eine Baugenehmigung für einen umfangreichen Umbau wird allerdings nur erteilt, wenn auch das Gebäudeenergiegesetz eingehalten wird. Eine energetische Sanierung kann hier für mehr Effizienz sorgen.
Verbesserte Effizienzstandards
Eine energetische Sanierung von Bestandsgebäuden kann Emissionen verringern und für langfristig effizientere Gebäude sorgen. Hier sind unterschiedliche Vorgehensweisen möglich: ob Dämmung, die Erneuerung von Lüftungs- und Heizungsanlagen oder der Einbau von Fotovoltaikanlagen: Die Maßnahmen steigern den Wert des Objekts, und in vielen Fällen kann auf eine Förderung durch den Staat zurückgegriffen werden. Serielles Sanieren erweist sich als besonders zeitsparend für große Sanierungsprojekte. Statt Stück für Stück zu sanieren, können zum Beispiel ganze Fassaden für Gebäudekomplexe vorgefertigt und zügig montiert werden.
Vorschriften als Hürde
In puncto Datengrundlage können sich bei der Sanierung von Bestandsbauten erste Probleme ergeben. Wenn wenig über ein Gebäude bekannt ist und eventuelle Unterlagen aus vergangenen Jahrzehnten fehlen, wird die Einschätzung des vorhandenen Materials schwierig und zeitaufwendig. Ein weiteres Problem ist die Erfüllung von Normen und Vorschriften. Bestandsbauten fallen unter den Bestandsschutz und dürfen auch dann unverändert bleiben, wenn sie nicht mehr den aktuellen, gesetzlichen Regelungen entsprechen. Nach der Sanierung müssen sie jedoch die Bauverordnungen der Länder erfüllen. Oft gibt die Bausubstanz neueste Standards nicht her. Gleichzeitig besteht hier die Gefahr, dass nachträgliche Einbauten die Kosten in die Höhe treiben.
Den Überblick bei der Vielzahl an Bauvorschriften zu behalten, ist nicht leicht. Dass ein Bestandsbau auch nach der Sanierung von höchster Qualität und Sicherheit sein muss, steht außer Frage. Doch kann dies eine Hürde für Immobilienbesitzer darstellen. Denn zwischen dem, was technisch möglich ist und dem, was gesetzlich vorgeschrieben ist, gibt es Unterschiede. Hier bedarf es unabhängiger Beratungsexpertise.
Lösungsansätze und Anreize
Ein weiteres Problem sind die schwachen Abrissvorschriften in Deutschland. Denn während in anderen Ländern eine Abrissgenehmigung vorgeschrieben ist, gibt es diese hierzulande nicht oder nur in bestimmten Fällen. Dabei würde ein Genehmigungsverfahren eine zusätzliche Hürde darstellen und den klimaschädlichen Abriss unattraktiver machen. Die re!source appelliert in diesem Zusammenhang an die Politik, bei der die Umsetzung der gesetzlichen Grundlagen liegt. Gleichzeitig muss die Arbeit mit dem Bestand attraktiver werden.
Neben Förderprogrammen sind Tools zur Bewertung und Zertifizierung von Bestandsgebäuden ein Ansatz. Auch wenn Neubauten im Betrieb weniger CO2 ausstoßen als Bestandsbauten, muss der Bauprozess als solcher mit seinem Ressourcenverbrauch in die Rechnung einfließen. Tools zur Bewertung können helfen, das Potenzial des Bestands einzuschätzen und damit Anreize für eine Sanierung bieten.
Ein Beispiel ist das Tool zur Risikobewertung von Bestandsgebäuden der Deutschen Unternehmensinitiative Energieeffizienz (DENEFF). Eine Modellierung zeigt, wie sich der Energieverbrauch auf den Immobilienwert auswirken kann. Und auch eine Zertifizierung mit anschließender Wertsteigerung, wie beispielsweise von der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB), setzt ökonomische Anreize für Eigentümer.
Das Bewusstsein für den Bestand und für dessen Relevanz beim Erreichen von Klimazielen muss auf allen Ebenen geschärft werden. Ein Neubau sollte nur realisiert werden, wenn dies unumgänglich ist. Grundvoraussetzung ist, das Gebäude in diesem Fall so energieeffizient wie möglich und über den gesamten Lebenszyklus klimaneutral zu bauen. Der Fokus muss auf dem Bestand liegen. Hier sind Innovation, der passende gesetzliche Rahmen, aber auch Flexibilität gefragt. „In Deutschland leben viele Menschen in zu groß gewordenen Wohnungen. Teilen und Tauschen wäre eine soziale und ökologische Antwort auf den Bedarf an Wohnraum.“, so Prof. Dr. Rosen. „Die Länder könnten dies fördern, indem z.B. die Grunderwerbsteuer erstattet wird, wenn beim Kauf einer Wohnung innerhalb einer bestimmten Frist eine wesentlich größere Wohnung verkauft wird“.
Weitere Informationen gibt es unter www.re-source.com