Energietechnisches Konzept
Die Wohnungswirtschaft nutzt vielfältige Wege zur Kostensenkung und Effizienzsteigerung. Ein häufig praktizierter Ansatz ist das Outsourcing. Eine attraktive Alternative ist die Übertragung der Wärmeversorgung an Contracting-Dienstleister. Bei der Planung des Mehrgenerationen-Wohnprojektes „Südliche Furth“ kooperierte die Neusser Bauverein AG mit einem Contractor.
Die Neubaumaßnahme „Südliche Furth“ ist das ehrgeizigste Projekt, das der Neusser Bauverein in seiner 117-jährigen Geschichte verwirklicht hat. Auf dem 28 349 m² großen Gelände des ehemaligen Neusser Container-Bahnhofes entstanden mit Unterstützung des Landes Nordrhein-Westfalen in den Jahren 2006/2007 insgesamt 255 barrierefreie Mietwohnungen einschließlich 36 Appartements in Wohn- und Pflegegruppen. Wo früher Güterzüge rangiert wurden, errichtete man ein Vorzeige-Neubauquartier mit einer Nettowohnfläche von rund 18 500 m², in der das Konzept des generationenübergreifenden Wohnens erfolgreich umgesetzt wird.
Bei der Planung legte der Bauverein großen Wert darauf, dass junge und alte Menschen nicht nur neben-, sondern auch miteinander leben können. So existieren Pflegewohnplätze und betreute Wohngruppen. Neben der Idee des integrativen Wohnens stand bei der Planung die innovative Baustruktur im Mittelpunkt des Interesses. Überlegungen bezüglich der architektonisch sinnvollen Umsetzung des Konzeptes, welches das Areal hinter der Bahn optisch aufwerten sollte, führten letztlich zu einer Anlage, in der Wohnkörper und Freiflächen miteinander korrespondieren und die Idee der Quartiersbildung qualitätsvoll umgesetzt wurde. So erreichte der ambitionierte Entwurf des Architekturbüros Agirbas und Wienstroer bereits bei der weltweit größten Messe für Immobilien, der MIPIM, die Endrunde um die Mipim Awards 2008 für innovative Bauprojekte.
Komplettlösung aus einer Hand
Der Ehrgeiz des Neusser Bauvereins äußerte sich nicht nur in der anspruchsvollen architektonischen Realisierung des Bauvorhabens, sondern auch in dem Bestreben, den künftigen Bewohnern eine optimale, zuverlässige und effiziente Energieversorgung zu gewährleisten. Daher entschloss man sich bereits in der Planungsphase dazu, in Zusammenarbeit mit dem Fachingenieur des Bauherren Konzeption, Finanzierung, Installation und Betrieb der Wärmeerzeugungsanlage komplett in professionelle Hände an einen Contracting-Dienstleister zu übergeben. So stellt der Dienstleister seinen Kunden ohne Erstinvestitionen innovative Energietechnik sowie die benötigte Wärme zur Verfügung. Abgerechnet wird über einen monatlichen Grundpreis zuzüglich der Kosten für die verbrauchte Wärmemenge. Dabei wird ein bestimmter Jahresnutzungsgrad über die gesamte Vertragslaufzeit garantiert.
Um die Investitionskosten für den Neubau möglichst gering zu halten, entschied sich der Neusser Bauverein für das von german contract angebotene Neubaumodell. Die Zusammenarbeit startete bereits in der Planungsphase des Projektes. Ausgehend von detaillierten Analysen entwickelte der Dienstleister ein maßgeschneidertes Energiekonzept für die Wohnsiedlung. Dabei übernahm der Contractor nicht nur die technische Planung, die Installation und den Betrieb der neuen Heiztechnik, sondern finanzierte diese auch. Die Liquidität des Bauvereins wurde somit nicht belastet, wodurch dieser während der Bauphase über einen höheren finanziellen Planungsspielraum verfügte.
Speziell auf das Objekt ausgerichtete innovative Technik bildete die Grundlage für eine optimale Energiebilanz. Dabei wählten die Verantwortlichen nicht den konventionellen Weg, die insgesamt 14 einzelnen Gebäude über eigene Kessel mit Wärme für Heizung und Warmwasserbereitung zu versorgen, sondern installierten in einem separaten Gebäude ein erdgasbetriebenes Blockheizkraftwerk (BHKW) der Firma Sokratherm. Das BHKW-Modul mit einer elektrischen Leistung von 50 kW und einer thermischen Leistung von 83 kW wird ergänzt durch zwei Viessmann-Kesselanlagen mit einer Wärmeleistung von jeweils 460 kW. Nach Planung durch german contract erfolgte die fachkundige Installation der Anlagentechnik, des Wärmenetzes sowie der Gebäudestationen durch eine qualifizierte Heizungsbaufirma, die auch die Installation der bauseitigen Heizungsverteilung durchführte.
Das Blockheizkraftwerk erzeugt auf Basis der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) Strom und Wärme direkt vor Ort. „Durch die direkte Nutzung der am Motor anfallenden Abwärme lässt sich eine große Menge Primärenergie einsparen“, erklärt Dirk Hunke, Geschäftsführer von german contract, einen der Beweggründe für die Installation des BHKW. Darüber hinaus erzielt die Anlage gegenüber dem herkömmlichen Mischbetrieb aus lokaler Heizung und zentraler Stromversorgung einen deutlich höheren Nutzungsgrad.↓
Das BHKW wird wärmegeführt betrieben und erreicht eine Laufzeit von 8000 Stunden jährlich. Dabei wird das eingesetzte Erdgas zu ca. 90 % in Strom bzw. Nutzwärme umgesetzt. „Die richtige Dimensionierung des Blockheizkraftwerks sowie die optimale Verbindung mit den Kesselanlagen stellt sicher, dass das BHKW nicht die Hälfte des Jahres still steht und unproduktiv ist, also keine Wärme und damit auch keinen Strom produziert“, so Hunke weiter. Der erzeugte Strom wird zu den gesetzlich festgelegten Konditionen ins öffentliche Netz eingespeist. Die erzielte Stromvergütung wirkt sich mindernd auf die Nebenkosten der Mieter aus. „Während man bei herkömmlicher Wärmeversorgung dieses Objektes auf heizungsgebundene Nebenkosten inklusive der anteiligen Contracting-Rate von ca. 1 €/m² und Monat kommt, lassen sich diese Kosten durch den Spardoseneffekt des Blockheizkraftwerkes um rund 20 ct reduzieren“, bringt es Hunke auf den Punkt.
Die Versorgung der einzelnen Wohngebäude mit Heizwasser erfolgt über ein speziell errichtetes Wärmenetz mit separaten Unterstationen. In diesen erfolgen auch die Warmwasserbereitstellung sowie die Wärmemengenmessung für jedes einzelne Gebäude.
Betrieben wird die moderne Anlagentechnik über einen vertraglich fixierten Zeitraum von 15 Jahren auf Rechnung und Risiko des Contractors. Auf die Neusser Bauverein AG entfällt dabei keinerlei personeller oder administrativer Aufwand. Die monatlichen Aufwendungen, die durch das Contracting entstehen (Contractingrate und verbrauchsabhängiger Wärmearbeitspreis), werden bei Neuvermietung der Wohnungen über eine zusätzliche Klausel im Mietvertrag nach den Bestimmungen der HeizkVO auf die Mieter umgelegt, ohne dabei die Gesamtkosten für diese zu erhöhen. Ein zusätzlicher Pluspunkt: Die Heizkostenabrechnung erfolgt direkt über den Dienstleister und erspart dem Bauverein diesen Verwaltungsaufwand. „Die administrative Entlastung durch Auslagerung des gesamten Energiemanagements ist für uns natürlich besonders interessant“, erklärt Frank Lubig, Vorstandsvorsitzender des Neusser Bauvereins.
Energiemanagement garantiert Effizienz
Den störungsfreien Betrieb der Anlage garantiert die systemgestützte Fernüberwachung. Eventuell auftretende Störungen werden umgehend registriert und beseitigt, bevor es zu Beeinträchtigungen kommt. Aufwand bezüglich Wartungen oder Reparaturen sowie damit einhergehende außerplanmäßige Instandhaltungskosten kommen dabei nicht auf den Bauverein zu. Vielmehr wird das Betriebsrisiko der Anlage komplett auf den Contractor verlagert. Dieser bietet einen umfassenden 24-Stunden Notdienst zur Störungsbeseitigung. „Wir schätzen diesen Service, weil er die Versorgungssicherheit für das gesamte Objekt an 365 Tagen im Jahr sicherstellt“, so Frank Lubig.
Gewerbliche Wärmelieferung (Contracting) setzt sich i.d.R. aus einem Wärmegrundpreis und einem Wärmearbeitspreis zusammen. Der Grundpreis ist verbrauchsunabhängig und beinhaltet z.B. die Kosten für die Investition der Anlage. Der Arbeitspreis ist die verbrauchsabhängige Größe für die Lieferung der Wärme und vollständig auf den Mieter umlegbar, da seine Höhe vom tatsächlichen Verbrauch abhängt.
Nach der geltenden Rechtsprechung bedarf es der Zustimmung des Mieters, wenn der Wärmegrundpreis – insbesondere die investitionsabhängigen Komponenten – auf die Nebenkosten umgelegt werden sollen. Bei bereits abgeschlossenen Mietverträgen ist deshalb zunächst zu prüfen, ob eine ausdrückliche Regelung zur Umlage der Wärmelieferungskosten auf den Mieter enthalten ist. Ist dies der Fall oder wird bei neuen Mietverträgen eine entsprechende Passage eingeführt, so bestehen gegen die Umlage der Kosten rechtlich keine Bedenken.
Ist dies nicht der Fall, hat der Vermieter zwei Möglichkeiten: Entweder teilt der Contractor schriftlich mit, welche Kostenbestandteile des Wärmepreises auf den Mieter umlegbar sind und welche nicht. Die beim Vermieter verbleibenden Kosten können je nach Unternehmensform ggf. steuermindernd geltend gemacht werden. Die zweite Möglichkeit besteht darin, die Zustimmung der Mieter zum Contracting einzuholen. Bei all diesen Betrachtungen sollte die sog. „Warmmietenneutralität“ im Vordergrund stehen. Das heißt, der Mieter zahlt in der Summe aus Kaltmiete und Nebenkosten nicht mehr als vorher. Dann ist seine Zustimmung meist kein Problem. I.d.R. gelingt es den Contractoren sogar, dass der Mieter künftig geringere Kosten hat.
Bei neuen Mietverträgen sollte stets die vollständige Umlage der Kosten der Wärmelieferung vereinbart werden. Zu beachten ist dabei, dass die Regelung so eindeutig und transparent sein muss, dass auch ein Laie den wirtschaftlichen Gehalt erkennen kann.