Mit Papier ist bald Schluss
Der Planungs- und Bauprozess wird immer digitaler – beginnend beim Bestandaufmaß per Laserscan über die Open BIM-Planung bis hin zum digitalen Zwilling und dem Einsatz des Gebäudemodells für das Facility Management. Das Baugenehmigungsverfahren kann hierbei allerdings noch nicht Schritt halten: Die Prüfabläufe und Verfahren sind in vielen Bereichen weiterhin analog. Doch das verändert sich, wie beispielsweise die Stadt Wien am breit angelegten Forschungs- und Entwicklungsprojekt BRISE zeigt.
Baugenehmigungsverfahren dauern bisweilen sehr lang und sind zu oft nervenaufreibend. Aktenordner voller Unterlagen und in vielfacher Ausführung müssen vorgelegt werden, um die eingebundenen Ämter und Fachabteilungen über das Bauvorhaben zu informieren. Diese prüfen alles auf eine baurechtlich, konstruktiv und nach technischen Normen und Richtlinien korrekte Planung und erteilen im besten Fall nach einigen Monaten die ersehnte Baugenehmigung. Im ungünstigen Fall jedoch sind weitere Gutachten nachzureichen, spezifische Fachplanungen zu ergänzen und Pläne zu korrigieren. Der Zeitpunkt für die Genehmigung und den Baustart kann sich dann nochmals weiter verzögern.
BIM vereinfacht und beschleunigt das Genehmigungsverfahren
Es muss allerdings nicht ewig dauern. Planungsmethoden wie BIM schaffen zukünftig die Grundlage für ein digital unterstütztes Genehmigungsverfahren. So haben die Ruhr-Universität in Bochum und Prof. Markus König in Zusammenarbeit mit dem Architekturbüro DA Drahtler Architekten und der Stadt Dortmund an einem inzwischen gebauten Projekt nachgewiesen: Der BIM-basierte Bauantrag, seine Prüfung und eine BIM-basierte Baugenehmigung sind inzwischen möglich. Das Projekt kann dem Bundesland NRW und anderen als Basis für die breite Einführung eines BIM-basierten Bauantrags dienen. Wünschenswert ist es allemal, denn schauen wir zu unseren europäischen Nachbarn Finnland oder Norwegen, ist dort eine BIM-basierte Antragsprüfung längst Alltag. In Singapur liegt die Baugenehmigung, stets basierend auf BIM, sogar nach nicht einmal einem Monat vor. Anders ist es hingegen noch in Deutschland und Österreich. Bis die Baugenehmigung (D) bzw. Baubewilligung (AT) erteilt wird, vergehen – je nach Komplexität und prüfendem Bundesland – ein gutes halbes Jahr und deutlich länger.
Das Forschungs- und Entwicklungsprojekt BRISE in Wien
In Österreich, genauer im Bundesland Wien, wird die Digitalisierung des Baubewilligungsverfahrens ebenfalls vorangetrieben. In dem von der EU geförderten Forschungsprojekt BRISE (Building Regulations Information for Submission Envolvement) im Rahmen der Initiative „Urban Innovative Actions“ (UIA) werden BIM-Methode, Künstliche Intelligenz (KI) und Augmented Reality (AR) zu einem digitalen Genehmigungsverfahren kombiniert. Projektpartner sind unter anderem die TU Wien, die Stadt Wien und die Kammer der ZiviltechnikerInnen für Wien, Niederösterreich und Burgenland.
In BRISE sind ca. 15 reale Projekte über ganz Wien verteilt und aus allen Gebäudetypologien eingeschlossen. Da die Pilotphase aktuell noch läuft, kann die Zahl nicht genauer angegeben werden. Sie umfassen unter anderem Wohnbauprojekte, Gewerbebauten, und ein Infrastrukturprojekt. Die BRISE-Prüfung bezieht sich auf das Baurecht und die Bereiche gemäß der Wiener Bautechnikverordnung, die in der Verantwortung des Wiener Magistrats, allen voran der MA 37-Baubehörde (MA, Magistratsabteilung), liegen.
Das Büro bolldorf2architekten aus Wien ist eines der Teilnehmer:innen am BRISE-Projekt und unterstützt das Projekt mit einer digitalen Einreichung. Sophie Ronaghi-Bolldorf, Partnerin im Büro, sieht den Nutzen für alle Beteiligten: „In Wien ist in den letzten Jahren die Bautätigkeit und parallel die Anforderungen nach mehr Planinformationsdichte in den Bauansuchen gestiegen. Gleichzeitig müssen die Verfahren vereinfacht und beschleunigt werden. Die Idee ist jetzt, dass man digitale Kapazitäten nutzt und das Prüfverfahren um digital abprüfbare Punkte automatisiert. Damit wird die Qualität des Prüfverfahrens verbessert und die Verfahrenszeit optimiert sowie verkürzt.“
Ebenfalls mit BRISE vertraut ist das Wiener Architekturbüro AllesWirdGut. Seit vielen Jahren arbeitet das Büro digital, 3D- und modellbasiert. Der vielfältige Nutzen der BIM-Methode beim modellbasierten Bauantragsverfahren steht für Agron Deralla außer Frage. Der Architekt und BIM-Manager bei AllesWirdGut ist bestens vernetzt in der österreichischen BIM-Szene. Obwohl sein Büro aktuell kein Bauvorhaben zum Forschungs- und Entwicklungsprojekt eingereicht hat, erkennt Agron Deralla die Notwendigkeit einer schnellen sowie automatisierten Bearbeitung von Bauanträgen: „Ich verfolge das Pilotprojekt äußerst interessiert. Für uns hat die BIM-basierte Einreichung große Priorität. BRISE Ist daher ein wichtiger Schritt für Wien und ganz Österreich. Das Team in der Baubehörde, das die Anträge bearbeitet, kann daraus viel ableiten und neue, effiziente Prozesse entwickeln.“
Ein weiterer positiver Effekt ist die die bessere Beteiligung von Behörden und Öffentlichkeit anhand eines virtuellen Modells. Agron Deralla: „Es gibt uns die Möglichkeit, mehr Transparenz bei der Bevölkerung zu schaffen. Durch ein virtuelles Modell können wir unseren Entwurf wirkungsvoll visualisieren. Es lässt sich zum Beispiel als ‚Augmented Reality‘ am Tisch in der Behörde oder sogar draußen auf dem Bauplatz zeigen. Man sieht das fertige Projekt! Die Zugänglichkeit und das Verständnis für den Entwurf werden damit viel größer.“
Schritt für Schritt zur digitalen Einreichung
Wie sieht aber der Verfahrensablauf bei BRISE aus? Sophie Ronaghi-Bolldorf macht deutlich, dass die Basis ihrer Einreichung eine exakte Modellierung in ihrer BIM-Software Archicad, nach eigenen Standards und Richtlinien, war. Hinzu kamen spezifische BRISE-Anforderungen, die ebenfalls einflossen. Denn eine Prüfbarkeit ist nur dann möglich, wenn bestimmte Vorgaben, zum Beispiel bei der Attribuierung und Klassifizierung der Bauteile im Modell, von allen berücksichtigt sind. Die Teilnehmer:innen des Pilotprojekts erstellten aus dem Vorgabendokument zusätzliche Klassifizierungen und Eigenschaften nach den BRISE-Standards und übernahmen anschließend möglichst viele Informationen aus dem 3D-Modell. Sophie Ronaghi-Bolldorf: „Mit unserer Planungssoftware Archicad beispielsweise, konnten wir Vorlagen sowie Prüfungshilfen mit interaktiven Listen und grafischen Überschreibungen erstellen. Dadurch werden wir effizienter.“
Ihr Projekt konnte sie im Vorfeld hochladen und mittels Vorprüfung testen lassen. Das bewahrheitete sich im BRISE-Pilotprojekt als enorme Verfahrensbeschleunigung. Die Prüfung auf Plausibilität des Modells und weiterer eingereichter Unterlagen, bedeutete im Vorfeld bereits die Sicherheit, alles komplett vorzulegen. Diese Arbeitsweise spart Zeit im gesamten Verfahrensprozess, weil weniger Fehler weniger Rückfragen aus dem Bauamt implizieren. Nach der Ergänzung des Architekturmodells um die notwendigen Informationen, wird das Bauantragsmodell dann endgültig als offene IFC-Datei über das BRISE-Portal „Mein.wien.gv.at“ eingereicht und in der Baubehörde mit dem Prüfprogramm Solibri nach dem Kollisionsprinzip geprüft. Ebenfalls gefordert und nach BRISE-Standard einzureichen ist ein Vermesserplan, der die Grundlage für den Abgleich mit den geltenden Bebauungsbestimmungen war.
Genehmigungsverfahren schneller und effizienter umsetzen
Die erste Prüfung erfolgt automatisiert und gibt Prüfprotokolle nach einem Ampelsystem GRÜN-GELB-ROT aus. Die Einreicher:innen erhalten das Prüfergebnis nach einer Beurteilung durch den zuständigen Baupolizisten im PDF- sowie im offenen BCF-Format, versehen mit Kommentaren. Diese können anschließend in die BIM-Software Archicad bei bolldorf2architekten eingelesen und abgearbeitet werden. Danach erfolgt der weitere Dialog mit der Baubehörde idealerweise via BCF-Austausch, dem in Zukunft die Baugenehmigung folgen soll.
Das große Ziel hinter dem Forschungsprojekt BRISE ist es, in Zukunft Behördenwege zu verkürzen und die Genehmigungsprozesse schneller sowie effizienter werden zu lassen. Abgeschlossen wird es bis zum März 2023. Danach werden die Ergebnisse aus diesem Projekt für das Ausrollen im Livebetrieb evaluiert. Bis der digitale BIM-basierte Bauantrag zum Standard oder gar zur Pflicht wird, vergeht in Österreich und ebenso in Deutschland also noch einige Zeit.
Der PDF-basierte Bauantrag – ein sinnvoller Zwischenschritt
Auf dem Weg zum durchgängig digitalen Baugenehmigungsverfahren ist der PDF-basierte Bauantrag eine schon heute angewandte Zwischenlösung. Seit Anfang 2020 ist es in Wien möglich, Unterlagen digital einzureichen. Und man sollte es tun, wo immer es machbar ist. Agron Deralla: „Eine PDF-basierte Einreichung minimiert Wege und spart uns Zeit, da wir die Unterlagen nicht alle persönlich im Amt vorbeibringen müssen. Auch können wir unsere Unterlagen unabhängig von den Öffnungszeiten einfach über ein Portal hochladen. Das lässt und sehr viel flexibler werden.“ Ebenso sieht Sophie Ronaghi-Bolldorf Vorteile: „Viele Dinge, für die eine Assistenz bei den Ämtern in den Einlaufstellen gebraucht wird – so für das Sichten auf Vollständigkeit, Setzen des Eingangsvermerks, Scannen der Unterlagen, Vergeben der Aktenzeichen – entfällt und wird bereits beim PDF-basierten Antrag automatisiert.“
Ergebnisse zügig in die breite Anwendung bringen
Sowohl Sophie Ronaghi-Bolldorf wie Agron Deralla sehen keinen Weg vorbei am BIM-basierten Bauantrag. Die aktuelle, eher teildigitale, Lösung über eine PDF-basierte Einreichung erleichtert die Abgabe der Unterlagen und ist ein wichtiger Schritt hin zum komplett digitalen Antragsverfahren. Dennoch müssen weiterhin die Ordner in mehrfacher Ausfertigung und mit allen Unterlagen und Plänen physisch vorliegen und in den einzelnen Abteilungen geprüft werden. Das ist in Deutschland wie Österreich identisch. Hier passende Prozesse und Routinen zu schaffen und zukünftig ab einer bestimmten Größe einer Bauaufgabe die BIM-basierte Baugenehmigung verpflichtend zu machen, ist eine große Herausforderung – aber ebenso eine riesige Chance, wertvolle Zeit und Arbeit auf allen Seiten zu sparen.